Süddeutsche Zeitung

Süchtig nach Macht:Imperator Klinsmann

Nun ist klar, warum Jürgen Klinsmann sein Amt als Bundestrainer aufgab: Er wird wohl die amerikanische Nationalmannschaft traineren - und mit jenen Vollmachten ausgestattet werden, die er in Deutschland nie hatte.

Jürgen Schmieder

Es war nur ein kleiner Satz in einem Vertrag. Als Jürgen Klinsmann 1995 zu Bayern München wechselte, hatte er eine Klausel im Kontrakt, die ihm einen Stammplatz zusicherte. Im Klartext: Auch bei einer Krise würde er immer von Anfang an spielen. Er war der erste Spieler in der Geschichte des FC Bayern, dem Uli Hoeneß ein derartiges Zugeständnis machte.

Der Spieler Jürgen Klinsmann war 1995 ein Weltstar, er hätte eine Stammplatzgarantie gar nicht nötig gehabt. Außerdem sind Sportler gemeinhin selbstbewusst genug, um zu sagen: Egal, wer da noch da ist, ich setze mich durch! Warum also die Klausel? Es war eine Machtdemonstration von Klinsmann: Ich bin der Star, ich stelle mich selbst auf.

Als Trainer ist Jürgen Klinsmann kein bisschen anders: Kompromisslos geht er seinen Weg, gnadenlos räumt er Widersacher aus dem Weg. Intimfeind Lothar Matthäus bezeichnete ihn einmal als "Killer" - und lag damit gar nicht so falsch. Torwarttrainer Sepp Maier rasierte er zu Beginn der T-Frage "Kahn oder Lehmann", die er mit der viel diskutierten Nominierung Lehmanns beendete. Was stört, muss weg, so das Prinzip Klinsmann.

Man kann diese Art durchaus positiv sehen. Man kann es als geradlinig bezeichnen, als kompromisslos - und als erfolgreich. Er führte die deutsche Elf bei der WM ins Halbfinale und bescherte Deutschland damit das "Sommermärchen". Und das, obwohl ihn nach dem 1:4 gegen Italien im März viele Journalisten wegschreiben wollten.

Nach der WM trat Klinsmann zurück. "Ausgebrannt" fühlte er sich und sagte: "Es ist mein großer Wunsch, zu meiner Familie und in die Normalität zurückzukehren." Aha. Nun, genau 110 Tage später, erscheint die Meldung, dass er Trainer der amerikanischen Nationalelf wird. Eine spontane Entscheidung, weil er es daheim nicht mehr aushält? Mitnichten.

Klinsmann wusste bereits im Juli, dass der Posten von Bruce Arena erst 2007 frei werden würde. Es wäre tatktisch unklug gewesen, schon damals zu verkünden, dass ihn die Stelle reizen würde. Also sagte er kryptisch: "Ich will ein halbes Jahr pausieren." Ein Blick auf den Kalender genügte, um Klinsmanns Pläne zu durchschauen.

Warum aber ausgerechnet die USA? Weil es keine Wohnortdebatte geben wird? Vielleicht. Weil es weniger öffentliches Interesse gibt, weniger Erwartungen, weniger Kritik? Auch eine Möglichkeit.

Der wichtigste Aspekt für die Entscheidung Klinsmanns sind jedoch die Zugeständnisse, die der amerikanische Verband machen wird.

Klinsmann wird nicht nur Teamchef, sondern ist verantwortlich für die Olympia-Auswahl und den gesamten Nachwuchsbereich. Sein gesamtes Team darf er sich selbst zusammenstellen. Kurz: Jürgen Klinsmann wird zu einem mächtigen Mann im amerikanischen Fußball. Viel mächtiger, als er es in Deutschland jemals war.

Er wird sich nicht herumschlagen müssen mit Journalisten, die eh alles besser wissen. Bei Personalentscheidungen wird er keine Kämpfe ausfechten, um dann Matthias Sammer akzeptieren zu müssen. Die Fans werden ihn noch mehr verehren als hierzulande - Klinsmann gilt einer Umfrage der New York Times zufolge in den USA als der bekannteste Fußballspieler hinter Pelé. Vor Beckenbauer. Vor Maradona.

Die Zusage, die amerikanische Mannschaft zu übernehmen, ist also nicht nur die zweite Station einer Trainerkarriere. Es ist ein weiterer Ausbau eines Imperiums - mit Klinsmann als Herrscher.

(sueddeutsche.de)

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