Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Taktisch gute Nachrichten

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Nach der Rückkehr auf die Bank des VfB Stuttgart wird Bruno Labbadia beim 1:1 gegen Mainz 05 gepriesen. Sein neuer Sportchef Fabian Wohlgemuth versucht, das Image des Trainers als "Drillmeister" zu widerlegen.

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Kurz vor Schluss lieferte das Spiel noch mal ein paar Gefühlsaufwallungen fürs geneigte Publikum. Die 87. Minute lief, als der eingewechselte Stuttgarter Josha Vagnoman den Ball freistehend aus vier Metern übers Tor jagte und so dem Großteil der 46 000 Zuschauer kurz Kummer bereitete. Als bald darauf Schluss war, blieb es zunächst merkwürdig still im Publikum der Cannstatter Kurve, das wie der Rest des Stadions zu überlegen schien, wie dieses 1:1 des VfB gegen Mainz 05 einzuordnen war.

Ein knapp verpasster Sieg und eine ziemlich ordentliche zweite Halbzeit einerseits. Aber andererseits halt auch nur ein Punkt - und damit zwei zu wenig, damit das Spiel als echter Hinweis darauf durchgehen könnte, dass unter dem neuen Trainer Bruno Labbadia nun alles besser wird. Die wenigen Besucher, die in den letzten Minuten bis zum Abpfiff doch ein wenig vor sich hin pfiffen, fanden jedenfalls, dass drei Punkte gegen an diesem Tag nicht unbedingt hinreißend spielende Mainzer eine gute Sache gewesen wären.

Ein Erweckungserlebnis war das im ersten Durchgang zähe Spiel also nicht unbedingt. Aber es gab durchaus Positives zu berichten vom Stuttgarter Kampf um den Klassenerhalt. Taktisch beispielsweise, denn die schärfste Mainzer Waffe, das gute Konterspiel, kam auch deshalb nicht zum Einsatz, weil Stuttgart nach Ballverlusten an den Gegenspielern dranblieb und so die weiten Bälle über die eigenen Linien verhinderte. Genau das betonten nach dem Spiel auch der neue VfB-Sportdirektor Fabian Wohlgemuth und Labbadia ausführlich.

Die beiden hatten zuvor allerdings dieselben 90 Minuten gesehen wie die Zuschauer. Und damit auch eine Mainzer Elf, die nach einem ordentlichen ersten Durchgang einen schwachen zweiten hinlegte. Trotz 60 Prozent Ballbesitzes für Stuttgart, drei, vier weiteren guten Torchancen und eines Lattentreffers von Serhou Guirassy (60.) blieb es beim schön herausgespielten 1:0 durch Guirassy (35.), das der Mainzer Marcus Ingvartsen kurz darauf per Elfmeter ausglich (40.).

Stuttgarter Fans sollen "mit einem guten Gefühl nach Hause fahren können"

Beim Versuch, die Stimmungslage nach diesem 1:1 in Worte zu kleiden, bewies Wohlgemuth das Sprachgefühl, das er offenbar seiner Tochter ("die hat eine Eins in Deutsch") vererbt hat. Papa Wohlgemuth behauptete zuerst, er sei "sehr, sehr zufrieden", relativierte dann aber auf Nachfrage, man möge das erste "sehr" wieder aus den Notizen streichen. Derart übertriebene Formulierungen habe er offenbar "aus den sozialen Medien übernommen".

Den nicht wenigen VfB-Freunden, die all die Personalrochaden der Vorwochen - neuer Trainer, neuer Sportdirektor - nicht verstanden hatten, erklärte Wohlgemuth dann detailliert, warum auch sie "mit einem guten Gefühl nach Hause fahren können". Die Mannschaft habe schließlich "bis zum Ende alles gegeben" und aufgrund der guten zweiten Hälfte einen Sieg verdient. Im Übrigen sei er den bisherigen Eindrücken nach sicherer denn je, dass gerade der richtige Mann auf der VfB-Bank sitze.

In den sechs Wochen seit seiner Vertragsunterschrift hat Bruno Labbadia die Trainingsintensität deutlich erhöht und bis zu drei Einheiten am Tag abhalten lassen - die Fitnesswerte einiger Spieler sollen zuvor dem Tabellenstand entsprochen haben. Vor allem der frühe Dienstbeginn um 7.30 Uhr hatte zu Schnappatmungen auf dem Boulevard geführt, weshalb Wohlgemuth am Samstag dementierte, dass er mit einem Wiedergänger von Felix Magath zusammenarbeite: "Dass Bruno ein Drillmeister ist, kann man ins Reich der Fabel verweisen. Er weiß genau, wann die Spieler Ruhepausen brauchen und wie man ihnen gegenüber den richtigen Ton trifft."

Der derart Gepriesene zeigte sich derweil in der wahrscheinlich längsten Stuttgarter Pressekonferenz dieses Jahrhunderts aufgeräumt und auskunftsfreudig. Und es war wohl kein Zufall, dass Labbadia dabei noch einmal hervorhob, wie kommunikativ und kameradschaftlich sein Führungsstil sei. Die aufkommenden "Quälix"-Analogien will auch er offenbar im Keim ersticken. Ansonsten habe er "einen guten Auftakt - leider nur mit einem Punkt" gesehen - zu Beginn eines "Marathonlaufs" bis zum Klassenerhalt, den Labbadia seinem Team prognostiziert.

Dieser Marathon sieht in den kommenden drei Wochen neben dem Pokalspiel beim SC Paderborn fünf Bundesligapartien vor, darunter die beiden Baden-Württemberg-Duelle in Hoffenheim und Freiburg. In allen drei Spielen herrscht für den VfB eine fiese Ausgangslage: Siege werden nicht nur ersehnt, sondern erwartet. Und im Falle von Niederlagen ist mit Hohn und Spott in den Fan-Foren zu rechnen. Vielleicht sogar mit sehr, sehr viel Hohn und Spott.

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