Aus des VfB Stuttgart:Der Computer versagt

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Sah vermutlich noch nie in dieser Saison seine Mannschaft so chancenlos wie in der ersten Halbzeit gegen PSG: Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß. (Foto: Tom Weller/dpa)

Zehn Punkte sollten laut einer Modellrechnung eigentlich fürs Weiterkommen in der Champions League reichen, Stuttgart ist dennoch raus. Trotzdem überwiegt beim VfB die Erleichterung, ab jetzt weniger Spiele bestreiten zu müssen.

Von Martin Schneider, Stuttgart

Die Bewegung des Abends in Stuttgart war das Schulterzucken, es ging einmal durch alle Hierarchiestufen und Kleiderordnungen des Klubs: Fabian Wohlgemuth, der Sportvorstand, hob die Schultern im Champions-League-Dreiteiler, Linksaußen Maxi Mittelstädt im Trainingsanzug, Trainer Sebastian Hoeneß hob sie im schwarzen Pulli. Alle drückten damit eine Frage aus: Was hätten wir machen sollen?

Die Antwort ist: Vermutlich nichts, zu deutlich war der Unterschied auf allen Ebenen im Vergleich zu Paris Saint-Germain, das Ergebnis von 1:4 und das 0:3 zur Halbzeit entsprach den Kräfteverhältnissen. „Wir haben heute mal gesehen, was die Weltspitze ist“, sagte Hoeneß. Von einem „Horrorspielverlauf“ sprach er angesichts des frühen 0:1 in der sechsten Minuten durch Bradley Barcola nach einem unnötigen Eckball. Wohlgemuth sah einen Gegner, der uns „ein Stück weit überfordert“ und „an unsere Grenzen gebracht hat“. Mittelstädt, der in der deutschen Nationalmannschaft schon mal ein gutes Spiel gegen Ousmane Dembélé zeigte, erwischte wie die gesamte VfB-Abwehr diesmal keinen guten Tag gegen den dreifachen Torschützen („Der ist nicht umsonst in seiner Karriere mehrere Male für hunderte Millionen gewechselt“). Er konnte sich nur bedingt damit trösten, dass es seinem Kollegen Josha Vagnoman auf der anderen Seite gegen Barcola noch schlechter erging.

Mit zehn Punkten ist der VfB ausgeschieden, was Hoeneß zur sarkastischen Bemerkung veranlasste, dass die „KI doch nicht so dolle ist“. Der Statistikanbieter Opta hatte vor der neuen Gruppenphase den Computer rechnen lassen, weil es keine Erfahrungswerte gab. Und die Prognose ergab eine 99-prozentige Wahrscheinlichkeit, mit zehn Punkten die Playoffs zu erreichen. Es beschämt die Maschine noch mehr und tröstet Stuttgart möglicherweise ein bisschen, dass Zagreb sogar mit elf Punkten ausgeschieden ist. Die Gedanken von Wohlgemuth oder auch von Mittelstädt wanderten daher zu den Partien, in denen man mehr Chancen hatte als gegen PSG: Zu Hause gegen Prag (1:1) und vor allem in Belgrad bei Roter Stern (1:5).

Trotzdem war natürlich keiner sauer, nicht mal ein bisschen, im Gegenteil, die Cannstatter Kurve feierte die Mannschaft trotz des 1:4 minutenlang. Es überwog der schwäbische Stolz, es in die Champions League geschafft und dort über acht Spiele lang Wettbewerbsfähigkeit bewiesen zu haben. Als bis dahin einzige Mannschaft in Europa bei Juventus Turin gewonnen zu haben, sticht als Höhepunkt heraus, an Prämien und Preisgeldern kommen auch ohne K.-o.-Phase mehr als 40 Millionen Euro zusammen.

Immerhin, und das klang bei Wohlgemuth nicht nur durch, ist jetzt der Drei-Tages-Spielrhythmus vorbei, der den Klub auf allen Ebenen an seine Grenzen brachte. „Wir sind in einem Anpassungsprozess. Nach 14 Jahren (da war der VfB zuletzt in der Champions League, Anm. d. Red.) muss nicht nur die Mannschaft, auch der ganze Verein lernen, mit so einer Belastung umzugehen.“ Wobei: Erstmal geht es im Drei-Tages-Rhythmus weiter. Am Wochenende kommt Gladbach, am Dienstag ist schon wieder DFB-Pokal gegen Augsburg. In der Bundesliga sind die Stuttgarter aktuell Vierter. Im Kampf darum, diesen Platz zu verteidigen, spielen sie bis Saisonende mit ein paar Tagen mehr Pause meist gegen Gegner, die den VfB nicht um zwei Klassen überragen.

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