Stuttgart:Harmloser Bienenschwarm

Lesezeit: 3 min

Der hoch ambitionierte VfB Stuttgart hatte in fast allen Kategorien die besseren Werte als die Kölner - und doch siegten die Gäste mit 3:1. (Foto: Dennis Grombkowski/Bongarts/Getty Images)

Der Überfall-Fußball des VfB führt nicht zum Ziel. Doch dank guter Ansätze bleibt Coach Zorniger zuversichtlich.

Von Frieder Pfeiffer, Stuttgart

Nein, es ist nicht wahrscheinlich, dass die Geschäftsstelle des VfB Stuttgart in dieser Woche ein paar Anträge an die Deutsche Fußball Liga (DFL) faxt. Völlig unverständlich wäre es allerdings auch nicht, wenn Trainer Alexander Zorniger und Sportvorstand Robin Dutt nach dem Saisonauftakt gegen Köln beschlossen hätten, dass es an der Zeit sei für so manche revolutionäre Reform. Da wäre zum Beispiel das Recht auf einen Gegner-Joker. So hätte der VfB einige Sorgen weniger, wenn er in Zukunft sagen könnte: Für das Heimspiel gegen Köln ziehen wir unseren Joker! Das Spiel findet nicht statt! Denn seit 1996 hat der Klub zu Hause nicht gegen den FC gewonnen. Damals coachte noch Joachim Löw das Stuttgarter Team, in dem sich gerade erst die berühmteste geometrische Figur der schwäbischen Moderne entwickelte: das magische Dreieck.

Fast 20 Jahre später spielen in Stuttgart wieder ein paar Fußballer zusammen, die das Format haben für geometrische Analogien. Daniel Didavi, 25, Filip Kostic, 22, und Daniel Ginczek, 24, beispielsweise sind imstande, Kurven und Geraden so zusammenzuführen, dass der Gegner nur noch den Kreis sieht, in dem er sich dreht. Im Spiel gegen eigentlich gut geordnete Kölner führte diese Offensiv-Potenz zu 28 Torschüssen, 13 Ecken und 33 Flanken. Das alles sah mitunter spektakulär aus, reichte aber nur für ein Tor. Ein Antrag, der den Einfluss der Statistik auf das Ergebnis in die Regularien aufnimmt, wäre also für den VfB ebenfalls zielführend: Fünf Torschüsse ein Tor, drei Ecken ein Elfer, zehn Flanken auch. All das hätte den stürmischen Stuttgartern an diesem Sonntag mit großer Wahrscheinlichkeit gereicht.

Und so knetete Trainer Zorniger nach dem Spiel das Papier mit den Statistiken derart rabiat, als wolle er damit die Zahlen, die nahezu alle für den VfB sprachen, in die oberste Zeile drücken. Dorthin, wo sich das Ergebnis aus Stuttgarter Sicht einen Scherz erlaubte. 1:3 stand da, der Sieg für ein Kölner Team, das in der zweiten Halbzeit viermal aufs Tor geschossen und dabei drei Treffer erzielt hatte. "Es soll ja nicht ganz unwichtig sein, das Ergebnis", sagte Zorniger während er das Papier malträtierte. So habe ihm genau das gefehlt: "Chancen nutzen, fertig, Punkt."

Der Schwabe konnte sich gar nicht mehr an alle großen Möglichkeiten erinnern. "Ich muss es noch einmal anschauen", sagte er. Er wird beim Videostudium unter anderem Didavis Lattenknaller sehen (7.), Christian Gentners Pfostentreffer (12.), den gefährlichen Kopfball von Adam Hlousek (22.), seiner Innenverteidiger-Erfindung, Ginczeks Seitfallzieher (47.) und einige Gelegenheiten, die Martin Harnik ausließ. "Verdammt ärgerlich" sei dieser Ausgang. Der Bundesliga-Neuling Zorniger, 47, hatte beim VfB in der Sommerpause mit der Vehemenz und dem Selbstbewusstsein eines Meistertrainers mehr als ein Taktik-Revolutiönle eingeleitet: kompromissloses, überfallartiges Gegenpressing, danach auf schnellstem Weg, gerne durch die Mitte, zum Tor.

Die Fragen vor dem Auftakt waren: Wie lange reicht die Kraft für den sprintinten- siven Eroberungsfußball? Werden die Flügel, und dabei vor allem Linienflitzer Kostic, dabei nicht vernachlässigt? Die Antworten bestätigten, warum Zorniger "Spaß am Spiel der Mannschaft" hatte: Stuttgart drängte bis zum Schluss aufs Kölner Tor und flankte viermal häufiger als der Gegner - Kostic gab nur eine Torschussvorlage weniger (5) als das gesamte Kölner Team. "Ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen. Sie hat viel von dem gezeigt, wie wir uns vorstellen, Fußball zu spielen", sagte Zorniger, der deswegen weiter so unbeirrt seinen Weg gehen will, wie Kostic an der Außenlinie entlang sprintet. "Es gibt keinen Anlass, an der Konzeption etwas zu ändern." Er sei sicher, dass in vier Wochen die Fehler, die zu den Gegentoren geführt hätten, abgestellt seien. "Wir sind in der sechsten oder siebten Woche. Da muss man eben auch ein bisschen warten."

Es sieht also so aus, als bekomme Zorniger die Zeit, um in aller Ruhe auf die Risiken der Bienenschwarm-Taktik einzugehen und die zentrale Abwehr um den 19-jährigen Timo Baumgartl und den ehemaligen Linksverteidiger Hlousek weiter zusammenzubringen. Am Sonntag war die Euphorie in Stuttgart größer als der überraschende Kölner Doppelschlag nach Abstimmungsproblemen durch Anthony Modeste (75., Elfmeter) und Simon Zoller (77.). Auch wenn Yuya Osako in der Nachspielzeit die Anfeuerungen nach Didavis Elfmetertreffer (79.) verstummen ließ, gab es Applaus für das Zorniger-Team.

"Die Zuschauer unterstützen unsere Art zu spielen, das hat man gesehen", sagte Christian Gentner. Und Hoffnung machte ihnen auch der "überglückliche" Gäste-Trainer Peter Stöger: "Ich denke, dass es sehr schwierig wird, hier künftig Punkte mitzunehmen." Er schien zu wissen, dass dieses Spiel eher von den Stuttgartern verloren als von seinem Team gewonnen worden war.

© SZ vom 18.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: