Süddeutsche Zeitung

Stuttgart - Hamburg:Trendwende mit Tannenbaum

Nach der 2:6-Blamage im Liga-Duell am Wochenende findet Stuttgarts Trainer Tim Walter einen Weg zum Pokalsieg beim HSV.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Ein bisschen hat Tim Walter das Glück eines erfolgreichen Trainers wiedergefunden. Als in der 114. Minute der eingewechselte Silas Wamagituka nur den Pfosten traf, war es noch wie bei den jüngsten drei verlorenen Ligaspielen des VfB Stuttgart: Das Pech gesellte sich zu eigenen Fehlern hinzu. Doch im Nachsetzen kam der erst 209 Sekunden zuvor aufs Feld geschickte Hamadi Al Ghaddioui an den Ball, er drehte sich und platzierte die Kugel "kurz und trocken", wie er fand, in die Ecke des HSV-Tores. Es war das 2:1 für den VfB, der 77 Stunden zuvor an gleicher Stelle im Spitzenspiel der zweiten Liga historisch hoch mit 2:6 Toren "auf die Fresse" bekommen hatte, wie es der Trainer Walter ausdrückte. Der "Lucky Punch" in der Verlängerung bescherte den Stuttgartern 702 000 Euro Fix-Prämie für den Einzug ins Achtelfinale des DFB-Pokals.

Zudem bringt das Ende der Niederlagenserie zumindest sportlich wieder etwas Ruhe in den Klub, dessen Gremien derzeit viel dafür tun, um Nachahmer des HSV in puncto schlechter Vereinsführung zu werden. Bei der Suche nach einem neuen Präsidenten, der im Dezember gewählt werden soll, stünden "Missgunst, Lügen und Verunglimpfung" auf der Tagesordnung, zürnte vor dem Spiel der ehemalige VfB-Nationalspieler Thomas Berthold.

Der Trainer Tim Walter, ein Verfechter des Ballbesitzes, hat nun einige Elemente zur fußballerischen Krisenbewältigung beigesteuert, die sonst nicht unbedingt auf seinem Lehrplan stehen. Das neue Tannenbaum-System (4-3-2-1) im Pokal, mit nur einer echten Sturmspitze, dem temperamentvollen Argentinier Nicolas Gonzalez, führte dazu, dass der VfB im Mittelfeld dem HSV mehr entgegenstellen konnte. Statt vieler kurzer Pässe wurde diesmal zuweilen auch ein langer Ball eingestreut. Trotz weniger Ballbesitz (55 Prozent statt 61 wie beim 2:6) gelang es, 19 Torschüsse abzugeben (HSV: 15).

Vor allem aber reduzierten zwei Personalwechsel diesmal Missgeschicke. Walter ersetzte die Fehlerteufel Insua und Awoudja durch seine beiden erfahrensten Profis (neben Dauer-Bankdrücker Mario Gomez): Gonzalo Castro kam auf der ungewohnten Position des Linksverteidigers zum Zug, auch der für Ligaspiele noch gesperrte Holger Badstuber kehrte ins Team zurück. "Erfahrung und Präsenz" bescheinigte Walter beiden, und die neue Sicherheit der Alten hob das Selbstbewusstsein, das nach drei Niederlagen angeknackt hätte sein können, sofort wieder auf jenes Niveau, das der sehr selbstsichere Walter seinen Profis einimpft: "Wir waren trotz der Niederlagen auf einem guten Weg."

"Wir waren immer überzeugt von uns", sagte auch Castro, der seinen Job links hinten als "Dienst an der Mannschaft" verstand. Durch dieses Erfolgserlebnis erwartet er einen Schub für das Sonntagsspiel gegen Dresden. "Wir haben alles rausgehauen", sagte Torschütze Al Ghaddioui. Sportdirektor Sven Mislintat, der Walters Offensiv-System bedingungslos stützt, lobte "Mentalität und Teamgeist".

Gleichwohl hätte es am Schluss des Pokalabends zum Elfmeterschießen kommen können gegen einen "superstarken HSV", wie Mislintat behauptete. Doch so gut wie am vorigen Samstag waren die Hamburger nicht. Elfmeter gab es trotzdem - und zwar ganz am Anfang. Schon nach 33 Sekunden verursachte Gideon Jung mit einem Foul an Philipp Förster das Stuttgarter 1:0 durch Gonzalez. Auch das 1:1 durch Aaron Hunt kam durch einen Strafstoß zustande (16.). Da hatte Ascacibar den Hamburger Kinsombi über die Klinge springen lassen. Doch wie von Walter erwartet, passierten dem VfB danach kaum noch Fehler.

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SZ vom 31.10.2019
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