Es lief die 83. Minute in Stuttgart - und Borna Sosa trat in Erscheinung, mal wieder. Der kroatische Außenverteidiger des VfB war am Samstagabend so oft die Seitenlinie rauf und runtergelaufen, dass man ihm die Olympianorm als 10 000-Meter-Läufer zugetraut hätte, möglicherweise auch mit Hürden, die vermutlich ebenso wenig Hindernisse für den Kroaten darstellen würden wie Gladbacher.
Die Arena in Cannstatt allerdings hat keine Tartanbahn mehr, weshalb Sosa bis auf Weiteres auf dem Rasen laufen wird, so wie eben in der 83. Minute, als er erneut zwei zu zaghafte Gladbacher umkurvte. Kurz bevor ihm der dritte oder die Torauslinie in die Quere kommen konnte, spielte Sosa dann einen flachen Ball in den Rücken der Gladbacher, wo Sasa Kalajdzic bereitstand und den Ball zum 3:2 ins rechte Eck und damit den VfB Stuttgart zum Comeback im Abstiegskampf schoss.
1:1 gegen Leverkusen:Unterhaltungsfaktor Bayern-Abwehr
Wiedermal ist die Bayern-Defensive das Thema des Spiels: Die Münchner haben Glück, dass Leverkusen seine Chancen nicht nutzt. Und ausgerechnet Niklas Süle, der im Sommer zum BVB geht, ist gerade der beste Verteidiger.
"Wir haben so viele unglückliche Situationen gehabt in dieser Saison, wir sind jetzt einfach sehr glücklich", sagte Sosa kurz darauf ins Stadionmikrofon. Drei der vergangenen vier Spiele hatten die Stuttgarter durch späte Treffer knapp verloren, ohne schlecht gespielt zu haben. Ob Unglück oder mangelnde Chancenverwertung oder beides für Tabellenplatz 17 als Ausgangspunkt vor der Partie gegen Gladbach verantwortlich waren, sei dahingestellt - dass der VfB bei einer Niederlage den Anschluss komplett verloren hätte, stand hingegen tabellarisch fest.
Das 0:2 kommt überraschend, doch der VfB lässt sich nicht beirren
Dementsprechend nervös verliefen die ersten Minuten, allerdings auf beiden Seiten - dann kam der VfB besser rein. Immer wieder spielten die Schwaben über die Flügel, Sosa sorgte auf der linken Seite für ein Stuttgarter Übergewicht gegen den überforderten Joe Scally, sein Trainer Pellegrino Matarazzo bescheinigte ihm im Nachgang ein "Riesenspiel". Allein: In der 10. Minute hätte Sosa aus spitzem Winkel quer auflegen, Tiago Tomas kurz darauf platzierter abschließen müssen, dann wäre eine frühe Führung drin gewesen.
Stattdessen kam Gladbach mit der ersten geordneten Offensivaktion zum 1:0: Alassane Plea dribbelte in Richtung Strafraum, spielte quer auf Florian Neuhaus, dessen sehenswerter Chipball genau die Lücke zwischen den Stuttgarter Innenverteidigern fand: Plea lief durch und traf per Volley. Ein Tor, das unter Beweis stellte, dass die Gladbacher theoretisch fußballerisches Potential für einen europäischen Wettbewerb hätten - nur blieben solche Angriffe die Ausnahme, weshalb Sandhausen derzeit näher erscheint als Madrid.
Das Spiel kontrollierte auch nach dem Gegentreffer der VfB, der im Mittelfeld immer wieder zu Balleroberungen kam und so keinen Gladbacher Spielfluss zuließ. Sasa Kalajdzic hätte in der 24. Minute per Kopf zum Ausgleich treffen können, dann aber wiederholte sich das Schema der Anfangsphase: Gladbach bekam im Mittelfeld zum ersten Mal seit dem 1:0 wieder mehr Raum zum Dribbling, Jonas Hofmann legte auf Plea, dessen flache Hereingabe am langen Pfosten der einlaufende Marcus Thuram verwertete (35.). Das 2:0 kam überraschend, doch erneut ließ sich der VfB nicht beirren. Eine schwache Klärung von Rami Bensebaini fiel drei Minuten später Stuttgarts Kapitän Wataru Endo vor die Füße, der aus kurzer Distanz den verdienten Anschlusstreffer erzielte.
Stuttgarts Energie erhöhte sich nach der Halbzeit noch einmal. Das 2:2 war dann das Tor einer Mannschaft, die sich im Abstiegskampf befindet und das für den Moment akzeptiert hat: Tiago Tomas Hereingabe klärte Matthias Ginter, Kalajdzics Schuss blockte Bensebaini, aber der Ball blieb im Gladbacher Strafraum: am langen Pfosten stand Chris Führich bereit und köpfte ins Tor. "Stuttgart hat uns heute mit dieser Leidenschaft und Emotion dazu gebracht, dass wir das Spiel verlieren", sagte Gladbach-Trainer Adi Hütter nach dem Spiel, seiner eigenen Mannschaft habe es an diesen Elementen gefehlt.
Der VfB spielt weiter mutig nach vorne und erarbeitet sich immer wieder Chancen
Dem verdienten Stuttgarter Ausgleich folgte eine Ruhephase, die bis zur 67. Minute andauerte, als Tomas aus kurzer Distanz Sommer anschoss und damit die bislang größte Chance im Spiel liegen ließ. Von Gladbach kam erst vier Minuten später ein Abschluss von Neuhaus, den Torwart Müller parieren konnte - es blieb die einzige Gelegenheit für die Gäste im zweiten Durchgang. Vor allem war es jedoch die defensive Anfälligkeit, die Trainer Adi Hütter nach dem Spiel beschäftigte: "Das ist das, was uns am meisten beschäftigt dieser Tage. Wir haben Spieler auf dem Platz, die das besser verteidigen können. Wir führen 2:0 und kriegen wieder drei Tore, das ist sehr enttäuschend."
Stattdessen spielte der VfB weiter mutig nach vorne und erarbeitete sich immer wieder Gelegenheiten, die allerdings auf eine Art und Weise vergeben wurden, dass das schwäbische Publikum fast schon geneigt war, die Geister der vergangenen Spiele wieder zu rufen. Diesmal allerdings ging die Geschichte für und nicht gegen Stuttgart aus. Dementsprechend euphorisiert waren die 25 000 in der Mercedes-Benz-Arena, die nach dem Spiel ausgiebig mit den Spielern feierten. Es wirkte fast wie eine gemeinsame Auferstehung einer Mannschaft, die zuletzt schon abgeschrieben worden war.
"Das kann was machen mit einer Mannschaft, wenn man ein Spiel so umdreht", sagte auch Trainer Matarazzo nach dem Spiel, um dann aber wieder für Ruhe zu sorgen mit dem Hinweis, es gäbe nur drei Punkte und man stünde immer noch auf dem vorletzten Tabellenplatz: "Es tut gut. Aber das war nur das erste von zehn Kapiteln."