Stuttgart besiegt Gladbach:Das ganz normale Nervenspiel

Stuttgart besiegt Gladbach: Enzo Millot feiert mit Tanguy Coulibaly (Mitte), nachdem dieser den Elfmeter zum 2:1 verwandelte.

Enzo Millot feiert mit Tanguy Coulibaly (Mitte), nachdem dieser den Elfmeter zum 2:1 verwandelte.

(Foto: Robin Rudel/Sportfoto Rudel/Imago)

Die Stuttgarter kassieren gegen Gladbach den Ausgleich - und lassen sofort danach einen 22-Jährigen zum Elfmeter antreten. Der VfB gewinnt so wieder eine dramatische Partie und schöpft weiter eine Art Urvertrauen zu sich selbst.

Von Felix Haselsteiner

Am Samstagnachmittag ereigneten sich in Stuttgart innerhalb von 120 Sekunden zwei Situationen von fußballerischem Seltenheitswert. Die erste fand im Strafraum des VfB statt, wo Abwehrspieler Dan-Axel Zagadou in der 78. Spielminute den Ball mit der Hand spielte - und sich danach nicht beschwerte. Weder Zagadou, noch seine Kollegen, auch nicht sein Trainer rannten zu Schiedsrichter Tobias Welz, auch das Heimpublikum protestierte kaum. Die offenbar dem Volleyball entlehnte Verteidigungsaktion von Zagadou gegen einen Schuss von Ko Itakura war tatsächlich ein nicht diskutables Handspiel - so etwas sieht man dieser Tage nur noch selten in der freien Wildbahn der Bundesliga.

Per Elfmeter glich Julian Weigl postwendend zum 1:1 für Borussia Mönchengladbach aus. Und hätte sich nicht kurz darauf eine zweite Rarität ereignet, wäre die Lage für den VfB wohl sehr ernsthaft geworden. Denn normalerweise wird die fragliche Ehre eines Schusses aus elf Metern, der potentiell über Glück und Unglück eines ganzen Vereins mitentscheiden kann, normalerweise nicht jungen Einwechselspielern zu Teil.

Es passierte jedoch dies: Itakura eilte ein paar Augenblicke später einem Stuttgarter Angriff hinterher, erwischte Tiago Tomas dabei nur noch mit einem Judo-Griff, was erneut Elfmeter bedeutete. Itakura sah gar noch die rote Karte und weil das dank eines VAR-Einsatzes fast zwei Minuten dauerte, hatte der junge Tanguy Coulibaly besonders lange Zeit, um vor der Fankurve über einen der wichtigeren Schüsse seiner Karriere nachzudenken. Den Elfmeter verwandelte er zu einem 2:1, das im Abstiegskampf von höchster Bedeutung für die Schwaben war. Nun stehen sie dank der besseren Tordifferenz erstmals seit Anfang März nicht mehr auf einem Relegations- oder Abstiegsplatz.

Stuttgart spielt in zwei Dritteln des Spielfeldes wie eine Mannschaft, die sich auf dem Weg nach Europa befindet

Coulibaly schoss auch, weil die beiden vorgesehenen Schützen, Serhou Guirassy und Silas, bereits ausgewechselt waren. "Er hat gestern jeden Elfmeter getroffen, deswegen hat er sich den genommen", sagte Trainer Sebastian Hoeneß nach dem Spiel über seinen jungen Offensivmann, in dessen Karriere tragischerweise die Anzahl der Verletzungen nahezu der Anzahl der erzielten Tore entspricht. Nun aber entschied er bei seinem 62. Bundesligaauftritt erstmals ein Spiel, das auf so einen Höhepunkt geradezu hingearbeitet hatte - mal wieder. Denn es scheint weiterhin nicht ohne Drama zu gehen beim VfB Stuttgart im Abstiegskampf.

Dabei war am Samstag der Start verhältnismäßig besonnen verlaufen. Die Stuttgarter kamen mit einer höchstprofessionellen und perfekt eingestellten Startelf auf den Platz, die in der ersten Halbzeit den Tabellenzehnten aus Gladbach fast nach Belieben dominierten. Stuttgart spielte in zwei Dritteln des Spielfeldes wie eine Mannschaft, die sich auf dem Weg nach Europa befindet, allein im Sturm war erkennbar: Tabellarisch einschränkend ist beim VfB die Qualität des letzten Passes vor dem Torabschluss, die auch unter Hoeneß mangelhaft bleibt.

Stuttgart besiegt Gladbach: Seit Sebastian Hoeneß den Trainerposten übernommen hat, hat der VfB Stuttgart nicht mehr verloren.

Seit Sebastian Hoeneß den Trainerposten übernommen hat, hat der VfB Stuttgart nicht mehr verloren.

(Foto: Peter Hartenfelser/Imago)

Geradezu fahrig vergaben die Schwaben beste Gelegenheiten durch Guirassy, Silas und den spielfreudigen Enzo Millot. Es brauchte daher für die verdiente Führung in der 22. Minute schon eine Schussvorlage von Abwehrspieler Waldemar Anton, eine sehenswerte Hacke von Guirassy und auch ein wenig Glück, dass Millot zuvor nicht im Abseits stand. Das Tor gab Schwung bis zur Pause - aber nicht darüber hinaus.

"Wir sind nicht gut rausgekommen, weil vielleicht der Kopf reingekommen ist", fasste Hoeneß später poetisch die Phase zu Beginn der zweiten Halbzeit zusammen, in der der VfB auf einmal den Gladbachern viel mehr Platz ließ und unkonzentriert wirkte. Auch der wichtige Guirassy musste mit einer Kopfverletzung ausgewechselt werden, für kurze Zeit schien das Spiel zu kippen. Zagadou verlor unnötigerweise das Gleichgewicht und streckte die Hände daher weit nach oben in Regionen, wo sie bei einem Bundesligaverteidiger nichts verloren haben - und es kam zum ersten Elfmeter.

Es gehört allerdings zur Geschichte des VfB Stuttgart in den bislang fünf Spielen unter dem Trainer Hoeneß, dass diese Mannschaft eine beeindruckende Energie entwickeln kann, gerade nach Niederschlägen. Dass Coulibaly dann nicht nur zum 2:1 traf, sondern in den Folgeminuten auch noch gute Chancen auf weitere Treffer vergab, zeigte, dass sich der VfB gegen Gladbach einen überaus verdienten Heimsieg erspielte. Einen, der zwar erneut dramatisch ausfiel, was man in Stuttgart allerdings längst akzeptiert.

"Egal wie", lautete die kurze, aber deutliche Botschaft des Torschützen Guirassy nach dem Spiel bei Twitter unter einem Foto, das ihn mit einem Turban und den jungen Coulibaly mit herausgestreckter Zunge zeigt. Und der hervorragende Torhüter Fabian Bredlow gab eine Aussicht auf die kommenden Wochen, die Zeugnis für das Urvertrauen einer Mannschaft in sich selbst war - sich aber gleichzeitig wie eine Warnung für in Stuttgart beheimatete Kardiologen las: "Wenn jedes Spiel Drama ist und wir gewinnen, kann ich damit leben."

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