Sturm und Drang:Der Triumph des naiven Herrn van Basten

Die Niederländer glänzen auch beim 4:1 über Frankreich mit ihrem offensiven Geist und nähern sich als EM-Favorit dem Viertelfinale.

Alles andere als der Titelgewinn sei eine Enttäuschung, so selbstbewusst haben sich die Franzosen vor der EM vernehmen lassen, sie wollten sich eben revanchieren für die unglückliche Niederlage im Berliner WM-Finale gegen Italien. Nach zwei Spielen droht ihnen nun allerdings schon der K.o. im spektakulären Vorrunden-Pool C, am Freitagabend unterlag Frankreich 1:4 (0:1) gegen die bereits fürs Viertelfinale qualifizierten Niederländer. Die Konstellation bringt es jedoch mit sich, dass die Franzosen mit einem Erfolg in der abschließenden Partie durchaus noch das Vorankommen in die nächste Runde sichern können. Praktischerweise heißt der Gegner am Dienstag: Italien.

Sturm und Drang: Kurz vor dem Abheben: Arjen Robben.

Kurz vor dem Abheben: Arjen Robben.

(Foto: Foto: AFP)

Frankreichs Trainer Raymond Domenech hatte seine Startelf verändert im Vergleich zur tristen Nullnummer gegen die Rumänen. Henry meldete sich gesund als Mittelstürmer ein, hinter der einzigen Spitze formierte sich ein offensives Trio mit Malouda, dem erstmals aufgebotenen Govou und zentral Ribéry. Während die Leidtragenden dieser neuen Ausrichtung, Lyons Stürmerass Benzema und Anelka, draußen Nägel kauten, war Bayern-Profi Franck Ribéry somit befreit von seinem Exil auf der rechten Außenbahn.

Doch nach nur 20 Minuten ließ Domenech draußen schon die ersten Reservisten traben, denn auch sein Plan B schien nicht aufzugehen. Die Niederländer lagen nicht nur in Führung, sie kontrollierten die Partie mit ihrem vor Kraft strotzenden Mittelfeld um die Hamburger Rafael van der Vaart, Nigel de Jong und dem Schalker Kandidaten Engelaar. Die kompakte Aufteilung und das Direktspiel des Gegners überforderten die in die Jahre gekommene Deckung. Das 0:1 kassierte das seltsam passive Frankreich nach einem Eckball, bei dem Malouda zwar vorbildlich an Gegenspieler Kuijt zerrte und zupfte - die Flugbahn des Balles jedoch gänzlich ignorierte. Liverpools Energiebündel hielt listig seine Stirn hin und köpfte zur frühen Führung ein (9.).

Die Franzosen reagierten konsterniert, Sneiijder (16.) und erneut Kuijt, nach einem fürchterlichen Aussetzer von Kapitän Thuram (20.), besaßen weitere Gelegenheiten. Govous Abnahme nach einem scharfen Zuspiel Ribérys bedeutete nach 23 Minuten die erste Prüfung für van der Sar. Vor allem diesen beiden war es auch zu verdanken, dass Frankreich allmählich sein bleiernes Spiel durch dynamische Vorstöße ersetzte. Ribéry gelang zwar nicht alles, aber er versuchte es mit größter Leidenschaft. Wie in München rochierte er über das Feld, es zog ihn mit seinen Tempodribblings vorzugsweise raus nach links, von wo er einmal Henry suchte und letztlich nur Govou fand - wieder parierte van der Sar (34.).

Der Triumph des naiven Herrn van Basten

Die Franzosen waren jetzt im Spiel, Domenech schickte seine Reservisten wieder auf die Bank; noch sah er eine Chance für sein Team und Plan B. Ribéry bemühte sich mit Verve ums Tempo, er zog aus vollem Lauf ab, doch erneut ließ sich Hollands 37-jähriger Torhüter nicht überraschen (39.). Und kurz vor der Pause ließ sich sogar einmal Henry blicken, mit dem Rücken zum Tor nahm er den Ball an und schoss recht unvermittelt, doch er hatte seinen Versuch deutlich zu hoch angesetzt.

Das Spiel hatte sich gedreht, und Bondscoach Marco van Basten sah sich in der Pause zu einem Wechsel gezwungen. Und weil er Niederländer ist und nicht Italien coacht oder die Deutschen, entsandte er keinen zusätzlichen Defensivspieler - er zog vielmehr einen von ihnen ab. Engelaar blieb in der Kabine, ihn ersetzte Reals Außenläufer Arjen Robben; vielleicht ein allzu holländischer Wechsel und reichlich naiv, könnte man meinen, und die Franzosen spielten jetzt wirklich fast auf ein Tor. Henry erreichte einen Abpraller, Ooijer warf sich ihm entgegen, wohl zu Unrecht forderten die Franzosen einen Handelfmeter (49.). Kurz darauf tauchte Henry zum Privatduell mit van der Sar auf, aber sein Heber von der Strafraumgrenze segelte übers Tor (54.).

Aber was machte eigentlich Arjen Robben? Nun ja, er entschied das Spiel. Wie ein Rennpferd jagte er in der 59. Minute die Außenlinie entlang, Gallas, der erneut schwache Bayern-Profi Sagnol und weitere Herren in blau sahen nur seine Hacken. Robbens Hereingabe verwerte im Strafraum van Persie, er war nur vier Minuten zuvor für Kuyt gekommen. Der vermeintlich naive Trainer van Basten sprang in diesem Moment sehr hoch vor seiner Bank. Er war jetzt ein König.

Die Partie war offenbar gelaufen, auch wenn der famose Monsieur Ribéry das nicht wahrhaben wollte. Und als Sagnol doch mal eine schöne Flanke hereinbrachte und Henry gekonnt seine linke Stiefelspitze zum 1:2 hinhielt (71.), schien nur kurz ein furioses Finale möglich. Das indes verhinderte schon eine Minute später Robben mit einer wunderbaren Einzelleistung, bei welcher der einstmals großartige Thuram, 36, noch älter aussah als er inzwischen ist. Unter die Latte setzte der zuletzt verletzte Robben den Ball, Sneijder erhöhte spät noch auf 4:1 . Der mutige Fußball hatte gesiegt. Er ist jetzt endgültig der EM-Favorit.

Die Statistik des Spiels Niederlande: van der Sar (Manchester United/ 37/127) - Boulahrouz (FC Sevilla/26/24), Ooijer (Blackburn Rovers/33/39), Mathijsen (Hamburger SV/ 28/34), van Bronckhorst (Feyenoord Rotterdam/33/80) - de Jong (Hamburger SV/23/25), Engelaar (Twente Enschede/28/8) ab 46. Robben (Real Madrid/24/34) - Kuyt (FC Liverpool/27/39) ab 55. van Persie (FC Arsenal/24/26), van der Vaart (Hamburger SV/25/57) ab 79. Bouma (Aston Villa/29/34), Sneijder (Real Madrid/24/47) - van Nistelrooy (Real Madrid/31/63). - Trainer: van Basten.

Frankreich: Coupet (Olympique Lyon/35/32) - Sagnol (Bayern München/31/57), Thuram (FC Barcelona/ 36/141), Gallas (FC Arsenal/30/63), Evra (Manchester United/27/12) - Makelele (FC Chelsea/35/69), Toulalan (Olympique Lyon/24/14) - Govou (Olympique Lyon/29/33) , ab 75. Anelka (FC Chelsea/29/50), Ribery (Bayern München/25/28), Malouda (FC Chelsea/ 28/40) ab 60. Gomis (AS St. Etienne/22/4) - Henry (FC Barcelona/30/100). - Trainer: Domenech.

Tore: 1:0 Kuyt (9.), 2:0 van Persie (59.), 2:1 Henry (71.), 3:1 Robben (72.), 4:1 Sneijder (90.+2). Schiedsrichter: Herbert Fandel (Kyllburg). Zuschauer: 30777 (ausverkauft). Gelbe Karten: Ooijer - Makelele, Toulalan

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: