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Stürze in Rio:Wollten die Olympia-Macher zu viel?

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Die Stürze in den Radrennen von Rio führen zu vielen Fragen. Denn bei Olympia wird ja alles eigentlich geplant - auch Strecken.

Kommentar von René Hofmann

Wer ihn gesehen hat, der wird ihn nie vergessen: Den Moment, in dem Nodar Kumaritaschwili am 12. Februar 2010 aus dem Eiskanal in Whistler geschleudert wurde. Wer den Sturz des georgischen Rodlers damals mitverfolgte, der wusste sofort: Hier war etwas Schlimmes passiert. Kumaritaschwili prallte gegen einen Stahlträger. Er starb nur wenige Stunden, bevor die Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver eröffnet wurden.

Die Analyse des Unfalls ergab später, dass dem 21-Jährigen ein verhängnisvoller Fahrfehler unterlaufen war. Nachforschungen förderten aber auch zutage, was diesen provoziert hatte. Die Olympia-Organisatoren hatten eine gefährlich spektakuläre Bahn gebaut. Eine Bahn, die viele überforderte. Das Motiv des gewagten Experiments: Im Wettstreit der Wettbewerbe wollten die Rennrodler und Bobfahrer nicht abgehängt werden. Deshalb hatten sie ein olympisches Prinzip auf ihre neue Sportstätte übertragen: schneller, höher, steiler. Dabei waren sie übers Ziel hinausgeschossen und im roten Bereich gelandet.

Kumaritaschwilis Tod war der traurige Auftakt der Spiele in Kanada. Der Auftakt der Spiele jetzt in Rio wurde ebenfalls von Stürzen geprägt. Am Samstag erwischte es zahlreiche Radprofis auf dem kurvigen Rundkurs, den die Organisatoren durch die steil aufragenden Berge rund um Rio abgesperrt hatten. Am Sonntag gingen die Frauen auf die selbe Schleife. Dieses Mal erwischte es die Niederländerin Annemiek van Vleuten. Sie stürzte schwer. Die Nacht auf Montag verbrachte sie auf der Intensivstation.

Bei Olympia wird alles sorgfältig geplant - rein zufällig fliegt nur selten jemand aus der Bahn

Wollten die Spiele-Macher wieder zu viel? Stießen sie erneut in den roten Bereich vor? Brachte ihr Wunsch, zum Start der Problem-Spiele besonders beeindruckende Bilder in die Welt zu schicken, die Protagonisten in Gefahr? Gar in Lebensgefahr? Hätten sie nach den Unfällen bei den Männern und angesichts des Wetterumschwungs nicht reagieren und die Frauen auf eine Alternativroute schicken müssen? Die grausigen Stürze werfen viele Fragen auf.

Die Experten geben sich auffallend zurückhaltend. Aber die Experten sind in solchen Fällen nicht immer die glaubwürdigsten Zeugen, weil viele von ihnen Teil des Systems sind. Auch die Sportler taugen als Kronzeugen nur bedingt, weil es ihnen meist oft gar nicht schnell, hoch und steil genug sein kann. Am besten, das Publikum traut seiner eigenen Meinung. Um sich die fundiert bilden zu können, reicht es, eines zu wissen: Bei Olympischen Spielen wird alles sorgfältig geplant. Für wirklich jedes Detail gibt es Arbeitsgruppen, die über Jahre an der Wirkung feilen. Rein zufällig fliegt bei den Wettkämpfen wirklich selten einer aus der Bahn.

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Quelle:
SZ vom 09.08.2016
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