Stürze bei Olympia:Gerissene Bänder, gebrochene Knochen

Stürze bei Olympia: Der Chinese Liu Zhongqing stürzt im Freestyle-Ski-Finale.

Der Chinese Liu Zhongqing stürzt im Freestyle-Ski-Finale.

(Foto: AP)
  • Laut einem Bericht fanden bei Olympia 33 von 50 Krankentransporten in den Freestyle-Wettbewerben statt.
  • Im Ski und Snowboard springen die Fahrer teilweise über riesige Distanzen - oder hoch hinaus.
  • Auch eine Deutsche beklagt sich bitterlich über den Streckenbau.

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Spaß? Na klar, sagt der Skicrosser Paul Eckert, das müsse nach den Debatten der vergangenen Tage ja auch mal gesagt werden: Sein Sport bereite ihm schon auch noch Freude. Der olympische Kurs ist ja auch eine prächtige Spielwiese, die Fahrer plumpsen am Start dreieinhalb Meter in die Tiefe, es geht eine Rampe hinunter, wieder hinauf und noch über eine Menge Traversen, Sprünge und durch Steilkurven. Vier Fahrer werfen sich in den K.o.-Runden gleichzeitig auf den Kurs, "das Gemeinsame macht es aus", sagt Eckert. Der 27-Jährige, der zuletzt in Nakiska seinen ersten Weltcup gewann, hat sich auch deshalb für diesen Sport entschieden: Weil es anders war als das alpine Skifahren, das er kannte.

Die Freestyle-Athleten, wie die Skicrosser, treten in diesen Tagen aus ihren Nischen ins olympische Rampenlicht. Das bringt ihnen mehr Fernsehzeit und mehr Publikum ein, aber auch kritische Blicke, wenn die Dinge aus den Fugen geraten. Es begann mit den Slopestyle-Snowboarderinnen, die vor einer Woche trotz heftiger Windböen in den Hindernisparcours geschickt wurden. Das Resultat waren Kreuzbandrisse und gebrochene Knochen. Bei den Snowboardcrossern: gebrochene Unterschenkel und Unterarme, kaputte Ellenbogen, gerissene Kreuzbänder. Der Österreicher Markus Schairer brach sich nach einem Sprung den fünften Halswirbel, er kam ohne bleibende Schäden davon.

Die New York Times berichtete, dass die Freestyle-Sportarten bis zum zweiten Wochenende für 33 von 50 Krankentransporten verantwortlich waren (der Weltverband Fis schrieb auf Anfrage, ihm lägen keine Zahlen vom Veranstalter vor). Der Deutsche Konstantin Schad, Athletensprecher der Fis, polterte nach seinem Snowboardcross-Rennen: Er habe keine Lust, sein Leben zu riskieren.

Ab Mittwoch sind die Skicrosser dran, sie nutzen denselben Hang wie die Snowboarder. Lebensgefährlich? Das glaube er nicht, sagt Paul Eckert, als er am Montag über seinen ersten olympischen Einsatz berichtet. Aber gefährlich sei es schon. Beim ersten Training sei alles gut gegangen, aber im Training und in der Qualifikation fährt jeder Athlet den Kurs alleine, in den gemeinsamen Läufen wird es dann so sein: Die Fahrer lauern im Windschatten, rangeln, überholen, sind bis zu zehn Stundenkilometer schneller und springen schon mal 50 Meter weit. Und der Wind, sagt Heli Herdt, im Deutschen Skiverband verantwortlich für den Skicross, sei da noch nicht einberechnet. Bei Rückenwind, sagt Herdt, "ist das hier eher wie Skispringen".

Der Kursbau ist bei den Freestyle-Wintersportlern mittlerweile ein Geschäftsfeld, mit freien Baumeistern und Agenturen, die um Aufträge buhlen. Wie die Kanadier von White Industries, die die Cross-Strecke in Pyeongchang hochzogen. Sie hatten einen Monat Zeit (statt der üblichen zehn Tage im Weltcup), sie verbauten so viel Schnee wie noch nie: 280 000 Kubikmeter, vier Mal mehr als sonst.

Es schaukelt sich hoch

So einen Kurs hochzuziehen, sagt Herdt, sei kniffelig, weil Snowboarder und Skicrosser ihn nutzen, Männer und Frauen. Aber während der Trend im Weltcup zu sparsameren Trassen gehe, beobachte er bei Olympia eine gegenläufige Entwicklung: "Jeder will es größer und toller machen." Das schaukele sich hoch: "Ein Kursbauer klebt sich das auf ein Revers drauf: Hey, ich habe den Olympiakurs gebaut", sagt Herdt: "Es ist ein bisschen Gigantomanie."

Herdt arbeitet seit 20 Jahren in seinem Sport, die Situation in Pyeongchang, sagt er, erinnere ihn auch an die Stürze in Sotschi. In diesem Viertelfinale zum Beispiel, als gleich drei Läufer am Zielsprung die Kontrolle verloren, fast gleichzeitig über die Ziellinie schlitterten. Das war "definitiv nicht das, was ich mir unter Skicross vorstelle". Er habe im Weltcup oft erlebt, dass sich auch auf sparsam kalkulierten Pisten packende Rennen entwickelten, sagt Herdt.

Das schaffe wiederum mehr Spielraum, "um den Kurs im Sinne der Sicherheit anpassen zu können". Die Faszination seines Sports liege ja weniger in der Luft, sondern am Boden, so sieht Herdt das zumindest, im Überholen, Taktieren, als Erster im Ziel sein: "Das wird meiner Meinung nach manchmal ein bisschen vergessen." Und jetzt?

Die Fis schreibt auf Anfrage: Man freue sich immer über Feedback der Athleten, auch über die Kritik der jüngsten Tage. Man tausche sich ständig aus, und der Skicross-Kurs sei bereits erfolgreich getestet worden. Herdt schildert das etwas anders, der Zielsprung passe noch nicht, "da kämpfen wir gerade ein bisschen mit der Fis". Ansonsten sei der Austausch aber wirklich gut.

Die Verantwortlichen haben offenbar auch aus dem Vorfall in Grindelwald vor sechs Jahren gelernt, als der Kanadier Nick Zoricic bei wechselnden Wetterbedingungen gegen einen Container prallte und starb. Und die Snowboarder? Die Münchnerin Silvia Mittermüller, die im sturzträchtigen Slopestyle-Finale einen Meniskusriss erlitten hatte, sagte anschließend: "Keiner, der dort oben steht und die Mädchen losfahren lässt, versteht offenbar, wie riskant unser Sport ist."

Letztlich erinnern die Vorfälle in Pyeongchang an eine alte Gleichung des Wintersports, die auch gilt, wenn man das mangelhafte Risikomanagement mancher Tage abzieht: Dass die Athleten sich Kräften aussetzen, für die sie nicht immer gemacht sind.

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