Süddeutsche Zeitung

Stürmer Franco di Santo:An der Nase herumgeführt

Lesezeit: 4 min

Von Frank Hellmann, Bremen

Die Schnelllebigkeit der Fußball-Branche hat längst beängstigende Züge angekommen, aber selten gibt es so unglückliche Überschneidungen wie am Samstag beim SV Werder. Just am so genannten "Tag der Fans", an dem traditionell große und kleine Fans scharenweise auf das Areal am Osterdeich strömen, um einen Verein zum Anfassen zu erleben und sich fröhlich auf die neue Saison einzustimmen, machte die Kunde vom Stimmungskiller die Runde.

Um 11.58 Uhr verschickte der Verein die Pressemitteilung, dass Franco Di Santo die Bremer mit sofortiger Wirkung verlässt. Der Argentinier mache dabei von einer Ausstiegsklausel in seinem Vertrag Gebrauch. Was überrascht: Nicht in die Premier League zieht es den 26-Jährigen, die der 1,93-Meter-Mann so gut kennt und aus der er im Sommer 2013 ablösefrei von Wigan Athletic gekommen war - sondern der universell begabte 1,93-Meter-Mann - beidfüßiger Abschluss, kopfball- und spielstark - wechselt innerhalb der Bundesliga zum FC Schalke 04, der einen Vier-Jahres-Vertrag offerieren soll.

Dafür twitterte Schalke 04 am Samstagabend ein Foto des Spielers und schrieb: "Medizincheck. Vertragsunterzeichung auf Schalke in Kürze. #fdisanto9 wird ein Königsblauer!" Später bestätigte dann Manager Horst Heldt den Transfer: "Er ist genau der Spielertyp, den wir für den Angriff gesucht haben."

In drei Wochen kommt es zum Wiedersehen

Die kolportierte Ablöse beträgt sechs Millionen Euro - die Ausstiegsklausel soll Staffelungen vorgesehen haben. "Es ist sehr schade, aber so ist das Geschäft. Schalke hat sich sauber verhalten und uns frühzeitig über die Verhandlungen informiert", sagte Geschäftsführer Thomas Eichin. Pikanterweise sind die Königsblauen genau in drei Wochen erster Bundesliga-Gegner der Bremer - spannend, wie di Santo dann im Weserstadion empfangen wird.

Eichin will nun im "Umschaltmodus" die dringend nötigen Konsequenzen ziehen. "Wir wollen möglichst schnell einen neuen guten Stürmer verpflichten. Ich kann aber erst jetzt so richtig in die Verhandlungen einsteigen." Will heißen: Die Voraussetzungen bei der Stürmersuche sind nicht die besten. "Es war vereinbart, dass uns frühzeitig signalisiert wird, ob er bleiben möchte oder nicht. Jetzt ist alles sehr, sehr kurzfristig. Von diesem Verhalten bin ich alles andere als begeistert", sagte Eichin gegenüber Sky Sport News HD.

Irgendwie passend, dass am 20. "Tag der Fans" auch noch ein Sturmtief über das Gelände fegte: Das Unwetter zwang zu einer einstündigen Unterbrechung - die Autogrammstunde von aktuellen und ehemaligen Werder-Größen und die Ehrung von Zlatko Junuzovic zum "Spieler der Saison" fielen prompt ins Wasser. Es war eben ein Tag, der vielen grün-weißen Sympathisanten im Wortsinne die Laune verhagelte.

Das Saisoneröffnungsspiel gegen den FC Sevilla am frühen Abend rückte unverschuldet in den Hintergrund: Immerhin landete der Bundesligist gegen den Europa-League-Sieger einen 3:1 (2:0)-Erfolg - Werder-Tore durch Felix Kroos (27./Foulelfmeter), Anthony Ujah (32.) und Oliver Hüsing (83.) -, der die Hoffnung nährte, dass es auch ohne die alte Nummer neun geht. Di Santo war gegen die Spanier schon längst nicht mehr dabei: Findige Zeitzeugen dokumentierten seine Abfahrt vom Vereinsgelände im weißen Dienstwagen bereits um kurz nach elf Uhr.

Werder verliert nach dem für neun Saisontreffer verantwortlichen Davie Selke (für acht Millionen Euro zu RB Leipzig) nun also auch noch seinen besten Torjäger, der es bei 26 Einsätzen vergangene Spielzeit auf immerhin 13 Treffer brachte. "Wir sind enttäuscht", sagte Sportdirektor Rouven Schröder beim Talk zur Mittagszeit vor den Fans, die sich vor allem vom Spieler an der Nase herumgeführt sehen.

Dessen Aussage erst Anfang des Monats ("Zu verlängern ist das, was ich will. Ginge es mir nur ums Geld, hätte ich nach Dubai oder in die Türkei gehen können. Da kannst du vier, fünf Millionen verdienen, aber ich habe es abgelehnt") hat sich als Lippenbekenntnis entpuppt. Für eben solch ein Gehalt dieser Größenordnung zieht er weiter gen Gelsenkirchen, wo er mit Klaas-Jan Huntelaar einen Hochkaräter vor sich hat.

Ujah braucht einen neuen Schwimmpartner

In Bremen regiert mal wieder die bekannte Mixtur aus Ernüchterung und Enttäuschung, wenn ein hier aufgepäppelter Berufsfußballer weiterzieht. Was früher Claudio Pizarro, Diego oder Mesut Özil taten, wenn woanders das große Geld lockte und der auf Transfererlöse angewiesene Klub gute Kasse machte, betrifft nun eben Selke oder di Santo. Das ursächlich für den guten Lauf unter Offensivliebhaber Viktor Skripnik verantwortliche Angriffsduo ist schneller Geschichte als jeder gedacht hat. Bis zuletzt hatte Geschäftsführer Eichin gehofft, di Santo zum Bleiben zu bewegen. Werder ging nochmals "bis an die Schmerzgrenze" und stockte das Angebot erst die letzten Tage auf drei Millionen Euro Jahresgehalt auf. "Mehr können wir nicht machen", hatte Eichin erst am Freitag betont. Vorstandschef Klaus Filbry zeigte sich nun am Samstag überzeugt, dass "Thomas Eichin und Rouven Schröder schnell eine hervorragende Lösung für diese Position präsentieren werden."

Denn die Zeit drängt: Bereits am kommenden Samstag steht das DFB-Pokalspiel beim ambitionierten Drittliga-Aufsteiger Würzburger Kickers an - und Stand jetzt verfügen die Bremer gerade noch über einen gesunden, echten Stürmer: Neuerwerbung Ujah. Der vom 1. FC Köln für 4,5 Millionen Euro Ablöse losgeeiste Torjäger hatte in der Vorbereitung im von Skripnik präferierten 4-4-2-System teils prächtig mit di Santo harmoniert - und im Hotelpool in Zell am Ziller hatte der Argentinier für den Nigerianer zur Belustigung der feixenden Mitspieler sogar Schwimmunterricht erteilt. Nun braucht Ujah einen neuen Sturm- und Schwimmpartner. Ob Di Santo daran dachte, als er am Abend in den Netzwerken einen Abschiedsbrief an seinen Arbeitgeber schrieb? "Ich erwarte nicht, vollkommen verstanden zu werden, ich hoffe aber, in Erinnerung zu bleiben als ein Spieler, der trotz vieler Schwierigkeiten immer das Beste gegeben hat."

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SZ vom 26.07.2015
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