Süddeutsche Zeitung

Studie:Die Studie, die der Sport nicht sehen will

  • Eine anonyme Befragung bei der Leichtathletik-WM 2011 und bei den Panarabischen Spielen liefert enorm hohe Doping-Zahlen.
  • Demnach gaben mindestens 30 Prozent der Athleten an, gedopt zu sein.
  • Doch der Sport beachtete die Studie lange Zeit nicht. Verbände versuchten, die Veröffentlichung zu verhindern.

Von Johannes Knuth

Wenn Rolf Ulrich in diesen Tagen auf die Arbeit der vergangenen Jahre zurückschaut, dann sieht er eine Zeit, in der es selten langweilig wurde. Wenn auch nicht so, wie Ulrich sich das vorgestellt hatte. Er blickt auf Ungewissheiten, Streit mit Verbänden, Kollegen, die unentgeltlich forschen, bis auf 200 kanadische Dollar, die sie für ein Abendessen spendiert bekamen. Und die nun ihre Studie veröffentlichen dürfen, die aus zwei Gründen bemerkenswert ist: wegen der Doping-Quote, die bereits an die Öffentlichkeit gesickert war. Und wegen der Zeit, die verstrich, bis die zuständigen Verbände ihren Widerstand lösten und eine Veröffentlichung zuließen. Sechs Jahre sind seit der Leichtathletik-WM 2011 vergangen, wo Ulrich und seine Kollegen herausfanden, dass 30 Prozent aller Athleten dopten, mindestens.

Es habe ein "Publikations-Embargo" seitens der Verbände gegeben, sagt Ulrich heute. "Aber letztlich war der öffentliche Druck wohl doch sehr groß."

Ulrich leitet an der Universität Tübingen den Arbeitsbereich Kognition und Wahrnehmung, Fachbereich Psychologie. 2011 beauftragte ihn die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), das Ausmaß des Dopings bei der Leichtathletik-WM 2011 in Daegu und den Panarabischen Spielen in Doha zu vermessen, mit einem anonymen Verfahren der Stochastik. Ulrich leitete die Studie, internationale Experten assistierten, darunter der Mainzer Perikles Simon. 1202 Athleten - darunter 65 deutsche - beantworteten in Daegu nach ihrem Wettkampf auf einem Tablet eine von zwei Fragen, per Zufall, anonym: über einen Geburtstag, oder ob sie in den zwölf Monaten davor gedopt haben. Daraus berechneten die Wissenschaftler näherungsweise ihre Korridore: zwischen 39,4 und 47,9 Prozent Gedopte in der Leichtathletik, bei den Panarabischen Spielen zwischen 52,4 und 61,8 Prozent. Das sind besorgniserregende Daten für den Leichtathletik-Weltverband IAAF, der seine Blut- und Urintests preist, in Daegu aber auf leicht abweichende Betrugsquoten kam: 0,5 Prozent.

Die Wada, die die Studie finanziert, hatte zuvor versichert, die Arbeit zu publizieren. Doch als die Forscher ihre Daten verarbeiten wollten, gab es Probleme. Sie erfuhren im Nachhinein, dass auch die IAAF einverstanden sein müsse. Das war sie nicht, bis zum Sommer 2015. Beziehungsweise: Sie antwortete nicht auf Nachfragen, so schilderte es die Wada.

Erst 2015 rührte sie sich, engagierte Gutachter, die Ulrichs Daten prüften. Währenddessen kochte der Skandal um Doping in der Leichtathletik hoch, Staatsdoping in Russland, verdächtige Blutwerte, die die IAAF ignoriert haben soll. Deren Präsident Sebastian Coe, Nachfolger des skandalumtosten Lamine Diack, wurde im Dezember 2015 ins britische Parlament geladen. Das forderte auch Ulrichs Studie an, stellt Auszüge einfach ins Internet. Als die Abgeordneten Coe fragten, warum die IAAF die Studie behindere, verhedderte der sich in Widersprüche: Man habe kein Vetorecht, behalte sich aber vor, die Studie zu prüfen, erst dann könne man einer Publizierung zustimmen. Auch nicht schlecht: Ein Vetorecht, das nicht so heißt, aber eines ist.

Es ging ein wenig hin und her, die IAAF verwies auf die Wada und umgekehrt. Aus dem Umfeld der IAAF war damals zu hören, woran es wirklich hakte: Der Verband zweifele an den Methoden, wobei diejenigen, die die Methoden kritisieren, "von den Methoden gar keine Ahnung haben". Letztlich solle die Studie offenbar verhindert werden, weil "einem die Ergebnisse nicht passen". Ulrich bestätigt das heute, indirekt: "Es gab wohl irgendwelche Absprachen zwischen IAAF und Wada. Ich würde glauben: Entweder hat die IAAF den Daten nicht vertraut, oder die Quote war einfach zu hoch - und damit ein Problem."

Dass die Forscher ihre Studie nun in einem Fachjournal publizierten, rechnet Ulrich auch Georg Sandbergers Interventionen zu, dem ehemaligen Kanzler seiner Uni. Es gebe Unschärfen in der Studie, sagt er, aber das Verfahren sei anerkannt, trage besondere Aussagekraft in sich: Die Rücklaufquote sei mit 90 Prozent "außergewöhnlich hoch"; meistens liege sie bei 30 Prozent, was kaum repräsentative Urteile gestatte. Und jetzt? "Über die Intervention müssen die Verbände entscheiden", sagt Ulrich. Die Integritätseinheit der IAAF teilte auf Anfrage mit: Man bezweifle nicht, dass mehr Leichtathleten dopen als man erwischt. Man arbeite daran, die Lücke künftig "zu verkleinern".

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SZ vom 30.08.2017/schm
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