John Stones im Champions-League-Viertelfinale:Der wandernde Innenverteidiger

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Im Hinspiel Herr der Lage: City-Verteidiger John Stones (links) gegen den Münchner Gestalter Jamal Musiala (Foto: Laci Perenyi/Laci Perenyi / imago)

Bei Manchester City dreht sich alles um Erling Haalands Torrekorde. Trainer Pep Guardiola heckt derweil für die Defensive mal wieder was ganz Neues aus - sein Verteidiger John Stones wird dadurch noch mehr zum Schlüsselspieler.

Von Sven Haist, London

Nicht einmal Pep Guardiola, der Manchester City in seinen sieben Dienstjahren geprägt hat wie kein anderer Trainer zuvor, erhält im Augenblick so viel Aufmerksamkeit wie Erling Haaland. Die Berichterstattung rund um den Klub dreht sich fast nur noch um die Torrekorde des Norwegers. Bisher akzeptiert Guardiola diese Situation, obwohl es ihm gemeinhin suspekt ist, wenn eine Einzelperson, die nicht er selbst ist, zu sehr in den Fokus rückt. Der Coach gibt weiterhin bereitwillig Auskunft über seinen Torjäger, zuletzt sogar über dessen Trainingspläne.

Dabei hatte Guardiolas Mannschaft in den Vorsaisons auch ohne Haaland genügend Tore geschossen. Das Problem bei seinen bisher sechs vergeblichen Anläufen, als Trainer erstmals mit City die Champions League zu gewinnen, lag vielmehr weiter hinten auf dem Platz. Abgesehen von der knappen 0:1-Endspielniederlage 2021 gegen Chelsea kassierte City unter Guardiola beim Aus in der Königsklasse immerzu entweder im Hin- oder im Rückspiel drei Gegentore (gegen Liverpool 2018, Tottenham Hotspur 2019 und Olympique Lyon 2020), zwei Mal passierte dies sogar in beiden Partien (gegen AS Monaco 2017 und Real Madrid 2022).

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Um daher die Defensive zu stärken, holte City einerseits sündteure neue Spieler, insgesamt hat der Klub in Abstimmung mit Guardiola inzwischen knapp 1,5 Milliarden Euro für Transfers ausgegeben. Andererseits tüftelte Guardiola an der Spielanlage. Mit taktischen Ideen wie falschen Neunern, abkippenden Sechsern und seit geraumer Zeit in die Mittelfeldzentrale einrückenden Außenverteidigern versucht er, die Spielkontrolle und Stabilität der Mannschaft zu maximieren - und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit. Derzeit sichert sich City bei Ballbesitz mit drei Verteidigern und zwei eng davor zusammenstehenden Spielern im Mittelfeld ab, einer davon war bisher entweder der rechte oder linke Außenverteidiger. In dieser Formation gab es zuletzt nur neun Gegentore in 17 Pflichtspielen.

Doch im glücklich gewonnenen Premier-League-Topspiel beim FC Arsenal im Februar (3:1) deckte dessen Trainer Mikel Arteta, einst Guardiolas Assistent bei City, die Gefahr dieser Anordnung auf. Die bestand in den weiten Laufwegen für den damaligen Linksverteidiger Bernardo Silva, um nach Ballverlusten rechtzeitig auf seine Abwehrposition zurückzukehren.

Seit diesem Spiel schien Guardiola darüber zu grübeln, wie er sich den Vorteil des zusätzlichen Zentrumsspielers bewahren könnte, ohne zugleich die Abwehrseiten zu vernachlässigen. Im Champions-League-Hinspiel gegen den FC Bayern vor einer Woche präsentierte er dann eine gewagte und sehr erfolgreiche Lösung, die in dieser Form zuvor noch nirgends zu sehen war: einen wandernden Innenverteidiger! Dieser Einfall war die Grundlage für das klare 3:0, das City vor dem Rückspiel in München eine nahezu ideale Ausgangslage beschert.

In seiner aktuellen Rolle und Form gehört Stones bei City und Englands Nationalelf zu den Unverzichtbaren.

Anders als zuvor ließ Guardiola beim Heimsieg gegen die Bayern keinen Außen-, sondern einen Innenverteidiger im Spielaufbau stets an die Seite von Taktgeber Rodri aufrücken. Für diese spezielle Rolle wählte er den flexiblen, umsichtigen Abwehrspieler John Stones aus, der 2016 als Zentralverteidiger vom FC Everton geholt wurde, aber zuletzt wegen seiner Spielstärke oft rechts hinten aushalf. Dadurch war Stones, 28, die anspruchsvolle Zusatzaufgabe im Zentrum bereits gewohnt. Und er erfüllte sie so tadellos, als hätte er dort seine gesamte Karriere verbracht. Die Zeitung Times verglich ihn deswegen mit Sergio Busquets, dem langjährigen Dreh- und Angelpunkt des FC Barcelona.

Mit seiner Ballsicherheit und seinen rhythmusgebenden Pässen hilft Stones dabei, sein Team zu organisieren und den Gegner zu destabilisieren. Gemessen an der Zahl seiner Ballkontakte und Pässe leistet er sich die wenigsten Abspielfehler in der Premier League. Dadurch können sich die City-Spielmacher, meist Ilkay Gündogan und Kevin De Bruyne, weiter vorne auf dem Feld positionieren.

Meist halten sie sich weit voneinander entfernt nah an den Flügelspielern auf. Zusammen mit den Defensivabräumern gleicht die Anordnung der vier Mittelfeldspieler einem Trapez. Damit wird die Verteidigung des Gegners zugleich horizontal und vertikal auseinandergezogen.

Sobald City den Ball verliert, lässt sich Stones entgegen bisher bekannter Aufstellungen nicht mehr auf eine bestimmte Position in die Abwehrkette zurückfallen. Sondern er sortiert sich je nach Situation entweder als halblinker oder halbrechter Innenverteidiger ein. Durch die kurzen Wege von Stones offenbart City in der Defensive fast keine Lücken mehr und steht kompakt. Zudem konnte Stones auf diese Weise den umtriebigen Bayern-Spielmacher Musiala mannorientiert verfolgen und ihn quasi aus dem Spiel nehmen. Momentan gehört er zu den unverzichtbaren Spielern bei City und in Englands Nationalelf.

Dabei sah es vor nicht allzu langer Zeit aus, als könnte Stones seinen Kaderplatz in Manchester einbüßen. Zwischen Dezember 2019 und November 2020 stand der einst mit 55 Millionen Euro Ablöse teuerste Verteidiger Englands in der Liga nur sieben Mal in der Startelf. Damals bevorzugte Guardiola das kostspielige Duo Rúben Dias und Aymeric Laporte. Zu dieser Zeit erwies sich Stones als verletzungsanfällig und inkonstant in seinen Leistungen. Gelegentlich äußerte sich Guardiola auch über das Privatleben des Spielers und deutete an, dieser könnte City bald verlassen - nachdem er einst betont hatte, Stones bleibe so lange, wie er dort Trainer sei.

Durch sein neues Spielprofil ist der Stellenwert von Stones nun innerhalb der Mannschaft nochmals gestiegen. Vor wenigen Tagen diskutierte er in einer Talkrunde mit Kapitän Gündogan und Haaland über weltweite Sehenswürdigkeiten. Stones erwähnte das Kunstmuseum Louvre in Paris, er sprach das Wort jedoch in seinem Yorkshire-Akzent eigenartig aus, woraufhin ihn Haaland imitierte. Der Clip ging sofort viral - und natürlich stand letztlich wieder Haaland im Fokus.

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