Stindl beim Confed Cup:"Normal" kann bemerkenswert gut sein

Stindl beim Confed Cup: Lars Stindl (Mi.): Zwei Tore beim Confed Cup

Lars Stindl (Mi.): Zwei Tore beim Confed Cup

(Foto: Sergei Grits/AP)
  • Lars Stindl führt beim Confed Cup die Torschützenliste an.
  • Er kann keine der Dinge herausragend gut, die Offensiv-Spieler gemeinhin können sollten - dafür bringt er andere wichtige Eigenschaften mit.
  • Seine soziale Kompetenz könnte für die Nationalelf von besonderer Bedeutung sein.

Von Martin Schneider, Kasan

Man muss über Lars Stindl wissen, dass er kein Hochbegabter ist. Das ist nicht schlimm, die meisten Menschen sind nicht hochbegabt. Aber bei Lars Stindl ist es nun mal so, dass er sich in einem Bereich bewegt, in dem viele seiner Mitbewerber als Kind sehr lange in einem Topf mit Talent gebadet haben. Da wäre zum Beispiel der mit dem Antritt eines Windhundes gesegnete Timo Werner, die beiden Ex-Schalker Dribbel-Füchse Julian Draxler und Leroy Sané; Mario Götze und Marco Reus könnten in einem Jahr bei der WM durchaus wieder fit sein, und Thomas Müller, Mario Gomez und Mesut Özil, die gibt es ja auch noch. Das sind alles Spieler, die für verschiedene Positionen in der Offensive der deutschen Nationalmannschaft in Frage kommen. Aktuell spielt beim Confed Cup aber kein Genie, sondern ein normaler Typ namens Lars Stindl. Und das bemerkenswert gut.

Um zu wissen, was Lars Stindl trotzdem besonders macht, muss man sich seine beiden bisherigen Spiele beim Confed Cup genauer angucken. Stindl kann tatsächlich nahezu nichts von den Dingen spektakulär gut, die Offensiv-Spieler gemeinhin können sollten. Er schießt nicht Vollspann aufs Tor, ist kein überragender Kopfballspieler, Übersteiger hat er vermutlich noch nie gemacht, und bei einem Fallrückzieher würde er sich wohl lächerlich vorkommen. Nein, seine beiden Tore beim Confed Cup hat Lars Stindl erzielt, weil er zwei Dinge außerordentlich gut kann. Er hat einen Blick für Räume und ein exzellentes Timing, in diese Räume zu laufen.

Beim 1:0 gegen Australien sah er, dass die Abwehr geschlossen Richtung eigenes Tor lief, um Julian Brandts Sprint zu verteidigen. Stindl blieb zurück, antizipierte den Raum im Rücken der Abwehr und stand so frei, dass drei Hubschrauber um ihn herum hätten landen können. Bei seinem Tor gegen Chile zog er genau im richtigen Moment das Tempo an, um vor den Abwehrspielern an den Querpass von Jonas Hector zu kommen. In seinem Gefühl für Spielsituationen erinnert er an Thomas Müller, allerdings ohne das dadaistisch-chaotische Element des Bayern. Beide wissen aber, dass sie für ihr Spiel viel mehr laufen müssen als Spieler, die ihren Vorteil im Sprint haben. Sowohl Müller als auch Stindl spulen immer mindestens zwölf Kilometer ab.

"Er ist ein sehr raffinierter Spieler mit unglaublicher Spielintelligenz und guter Orientierung im Raum", analysierte Löw die Fähigkeiten seiner neuen Entdeckung. Dieser schaffte es übrigens, obwohl er der Mann des Tages war, fast gänzlich unauffällig mit seiner schwarzen Kappe auf dem Kopf wieder aus der Kasan-Arena zu verschwinden. Das Tor freue ihn natürlich, aber die Vorarbeit sei auch super gewesen. Er sauge bei diesem Turnier alles auf, sei unheimlich froh, dabei sein zu dürfen. Als ihm jemand sagte, dass er im Moment der Führende der Torschützenliste des Confed Cups sei, verzog er keine Miene und meinte: "Momentaufnahme, würde ich sagen."

Eine Karriere im Windschatten

Stindl hat eine Graswurzel-Fußballerkarriere hinter sich, wie es im Team eigentlich nur noch Jonas Hector geschafft hat. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die beiden die ruhigsten Akteure des Teams sind, die die Fußball-Leiter von fast ganz unten bis nach oben kraxeln mussten.

Mit 20 Jahren, also kaum jünger als heute viele Nationalelf-Kollegen um ihn herum, wurde Stindl Stammspieler in der Regionalliga-Mannschaft des Karlsruher SC und traf gegen Greuther Fürth II oder Viktoria Aschaffenburg. Auf Wunsch seiner Eltern machte er zuvor noch sein Abitur, rückte dann aber als Stammspieler in die damals in der Bundesliga spielende erste Mannschaft des KSC auf. Er blieb seinem Kindheits-Verein (er besitzt unter anderem ein Icke-Häßler-Trikot) auch nach dem Abstieg treu. Auch später in Hannover wechselte er zunächst nicht, obwohl es Angebote gegeben haben soll. Allerdings wurde er erst in Gladbach vom Mittelfeldspieler zum Halbstürmer umgeschult, spielte auch auf europäischer Bühne, was ihn schließlich zum Confed Cup brachte. Dem Höhepunkt einer Karriere im Windschatten.

Stindl schaffte es, auf allen seinen Stationen ein gutes bis sehr gutes Verhältnis mit den Fans und überhaupt mit allen zu haben. Man findet auch nach intensiver Recherche niemanden, der sich negativ über den jetzt 28-Jährigen geäußert hat. In Gladbach wurde er nach kürzester Zeit Mannschaftskapitän, im Magazin Kicker bezeichnete er sich mal als "unaufgeregten Typen, der mit den Leuten klarkommt". Diese Selbsteinschätzung hält jedenfalls einer Überprüfung stand. Im ruhigen Rahmen spricht Stindl durchaus kundig über Fankultur, Investoren im Fußball und andere Begleiterscheinungen des Geschäfts.

Soziale Kompetenz gilt gemeinhin nicht als Hochbegabung, auch wenn sie zuweilen wichtiger sein kann als ein oder zwei geniale Momente. Stindl hat jedenfalls im Konkurrenz-Kampf um die WM-Plätze den Vorteil, dass er mit Joachim Löw einen Bundestrainer hat, der diese Fähigkeiten zu schätzen weiß.

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