Steueraffäre um Schiedsrichter:DFB lässt verdächtige Referees weiterpfeifen

Können Männer Fußballspiele pfeifen, die unter dem Verdacht stehen, im Geschäftsleben gegen Gesetze zu verstoßen? Zehn DFB-Schiedsrichter, gegen die wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird, sind diese Woche in Pokalspielen im Einsatz - öffentlich eingeräumt hat den Besuch der Fahnder bis Dienstagabend nur der Münchner Felix Brych.

Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Als am Montagmorgen fünf Steuerfahnder in die Frankfurter DFB-Zentrale einrückten, um Unterlagen aus dem Schiedsrichterwesen mitzunehmen, ahnten die Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes, welche Fragen bald auf sie zukommen würden. Nur noch etwa 36 Stunden, dann musste ja wieder der Ball rollen: in der zweiten Hauptrunde des DFB-Pokals am Dienstag- und Mittwochabend. Dann würden zwangsläufig auch einige der rund 20 Schiedsrichter wieder im Fokus der Öffentlichkeit stehen, denen die Behörden offenbar Steuerhinterziehung im großen Stil vorwerfen.

Ermittlungen gegen Schiedsrichter Kempter und Brych

Der Münchner Schiedsrichter Felix Brych räumte bisher als einziger der Beschuldigten den Besuch der Steuerfahndung bei sich ein. 

(Foto: dapd)

Kann das funktionieren? Kann man auf dem Fußballfeld Männer die Regeln hüten lassen, die unter dem Verdacht stehen, im Geschäftsleben gegen Gesetze zu verstoßen? Einige Gespräche später hatten die DFB-Oberen dann entschieden, wie sie auf die konkreten Vorwürfe reagieren würden: erst mal gar nicht.

Die Betroffenen vorläufig aus dem Spielbetrieb zu entfernen, sei jedenfalls "kein Thema", sagte ein DFB-Sprecher am Dienstag. Solche Schutzsperren könnten "nur dann zur Anwendung kommen, wenn es sich um mögliche Verfehlungen im Rahmen der konkreten Schiedsrichtertätigkeit handelt, also zum Beispiel ein Manipulationsverdacht im Raum steht. Für ein eventuelles Fehlverhalten im privaten Bereich greift eine solche Maßnahme nicht." Übersetzt heißt das in etwa: Wenn Schiedsrichter Schiedsrichter-Einnahmen nicht korrekt versteuern, hat das nichts mit Schiedsrichter-Tätigkeit zu tun. So kann man es natürlich auch sehen.

Konkret hat das nun zur Folge, dass fast in jedem zweiten DFB-Pokal-Spiel dieser Woche Referees auf dem Platz stehen, die aktuell der Steuerhinterziehung verdächtigt werden. Wie die SZ erfuhr, sollen zwei Dienstags- und fünf Mittwochsspiele betroffen sein: Zum Teil soll der Unparteiische selbst, zum Teil einer seiner Assistenten und zum Teil auch mehrere Mitglieder eines Gespanns auf den Listen der Ermittler stehen.

Von den 64 eingeteilten Schiedsrichtern, Linienrichtern und vierten Offiziellen sollen zehn Ärger mit den Behörden haben. Öffentlich eingeräumt hatte den Besuch der Fahnder bis Dienstagabend nur der Münchner Felix Brych, der das Spiel Hannover-Mainz pfeifen sollte; weitere Angaben wollte Brych nicht machen.

Nicht nur im Pokal, auch im Ligabetrieb und in internationalen Partien sollen die mutmaßlichen Steuersünder vorerst weiterpfeifen. Bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) ist man angesichts dieser defensiven Haltung allerdings irritiert. Aus Kreisen der DFL erfuhr die SZ am Dienstag, man sei "verwundert" und habe den DFB aufgefordert, "umfassend ins Bild gesetzt zu werden". Insbesondere, was die Frage möglicher Schutzsperren angehe, aber auch bezüglich "aller weiterer Themen" dieser Affäre.

Dazu zähle auch die Frage nach den Vorgängen im Jahr 2009, als der junge Schiedsrichter Michael Kempter (Sauldorf) bereits eine Steuer-Vorstrafe in Zusammenhang mit seinen Schiedsrichter-Einnahmen erhalten hatte - und zugleich vom DFB für die Referee-Liste des Weltfußballverbandes Fifa empfohlen worden war; im Dezember erfolgte die Berufung.

Auch Kempter wird verdächtigt

Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Kempter und dem ehemaligen DFB-Schiedsrichter-Obmann Manfred Amerell, dem Kempter sexuelle Belästigung vorwirft, sind auch der Auslöser dieser neuesten Schiedsrichter-Affäre. Ein Tipp Amerells an die Augsburger Steuerfahndung hatte die Sache ins Rollen gebracht, Kempter ist einer der rund 20 Verdächtigen. "Er ist einer der Betroffenen des Verfahrens, das kann ich bestätigen", sagte sein Anwalt Christoph Schickhardt am Dienstag.

Berichten, wonach am Montag auch Kempters Privaträume durchsucht wurden, widersprach er allerdings: "Eine Hausdurchsuchung bei Herrn Kempter gab es nicht", zu solchen "Zwangsmaßnahmen" bestehe kein Anlass, "weil wir mit völlig offenen Karten spielen und den Behörden alles transparent darlegen".

Nach Informationen von Spiegel Online sollen die Fahnder auch bei Michael Kempters Arbeitsstelle, der Sparkasse Pfullendorf-Meßkirch, vorstellig geworden sein; die Sparkasse wollte dazu auf Anfrage am Dienstag keine Auskunft erteilen. In seinem Fall gehe es um "Summen im fünfstelligen Bereich", wird ein Ermittler zitiert.

Wussten einzelne Entscheidungsträger im DFB bereits 2009 von Michael Kempters Steuer-Vorstrafe? Oder hat Kempter diese verschwiegen und sich so quasi den Aufstieg in den exklusiven Kreis der Fifa-Referees erschlichen? Das sind die spannenden Begleitfragen dieser Affäre, auf die der DFB mit Verweis auf das "laufende Verfahren" jede konkrete Aussage verweigert. Dabei haben die beiden Vorgänge, Kempters Fifa-Nominierung 2009 und die Razzien dieser Woche, wenig konkreten Zusammenhang.

Volker Roth, bis 2010 Schiedsrichter-Chef im Verband, beteuert jedenfalls, 2009 nichts gewusst zu haben. Ansonsten hätte Michael Kempter, 28, "unter keinen Umständen" die Fifa-Zulassung erhalten können, "das DFB-Präsidium hätte ihn rauswerfen müssen, und wir im Schiedsrichter-Ausschuss hätten sofort gesagt, das tragen wir nicht mit".

Zu den Vorwürfen gegen Kempter und seine Kollegen sagt Roth: "Ich bin enttäuscht von den Herren. Wir haben bei fast jedem Lehrgang gesagt, Steuerehrlichkeit ist das Wichtigste."

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