Als er die Kür hinter sich hat, ruft die Pflicht. Stefanos Tzimas, die Stutzen ebenso auf Halbmast wie die Schultern, schlurft zu den Reportern und spricht über dieses Spiel, über das die Leute in Nürnberg noch lange sprechen werden. Er strahlt für einen Moment, denn das Versprechen, das ein Frankenderby allen Spielern macht, das hat sich für ihn gerade eingelöst. Wenn der 1. FC Nürnberg auf die SpVgg Greuther Fürth trifft, kann jeder in nur 90 Minuten zu einem Helden werden, und er, Stefanos Tzimas, ist jetzt ein Held – er spricht bloß nicht wie einer.
4:0 in Fürth, ein Triumph von geschichtlichem Ausmaß, aber Tzimas, 18, hat in den Katakomben des Ronhofs kaum noch etwas von dem Überschwang an sich, mit dem er gerade vor dem Nürnberger Fanblock getanzt hat. Da ist nur das kurze Strahlen in seinem Gesicht, sonst nichts. Kein Anflug von Euphorie, kein einziger Satz, der ihm verrutscht.
Ist es aber nicht wie ein Traum, dieses Frankenderby, dieses Viernull, das ja tatsächlich etwas Unwirkliches in sich trägt?
Draußen, man hört es im Hintergrund, jubeln die Nürnberger Fans den Spielern zu, die gar nicht zum Einsatz gekommen sind und deshalb noch ein paar Sprints über sich ergehen lassen müssen, drinnen sagt Tzimas auf die Frage nach dem Derbytraum: „Heute dürfen wir feiern, aber ab morgen müssen wir uns auf das Spiel am Freitag konzentrieren.“
Tzimas, geboren im WM-Jahr 2006, als Miroslav Klose schon für Deutschland spielte, lässt sich nicht anstecken von der Ekstase um ihn herum. Und wahrscheinlich ist es auch das, was erklärt, warum der junge Grieche nur 275 Minuten und sechs Spiele gebraucht hat, um es auf vier Saisontore zu bringen.
Als jüngster Torschütze in der Geschichte von PAOK Saloniki ging Tzimas auf Leihbasis zum Club, in Griechenland löste das Entrüstung aus
Erwartungen können Ballast sein, eine Bürde. Schon Aufmerksamkeit kann genügen, um Beine zu lähmen, aber Tzimas scheint das, was neben dem Rasen geschieht, auf Knopfdruck von dem trennen zu können, was er auf dem Rasen zu tun hat. Und Hoffnungen, die auf ihm ruhen, auch Fantasien, die andere in ihn hineinlesen, das ist ja ohnehin das Kernthema in der noch jungen Karriere von Stefanos Tzimas.
Er ist der jüngste Torschütze in der Geschichte von PAOK Saloniki, dem amtierenden Meister Griechenlands, bei dem es eine Welle der Entrüstung auslöste, als er vor dieser Saison auf Leihbasis nach Nürnberg ging. Tzimas ist eines der größten Talente des griechischen Fußballs, die Fans in Saloniki sehen in ihm schon jetzt einen angehenden Nationalstürmer und hätten ihm gerne auch in dieser Saison zugejubelt, doch da machte ihnen Olaf Rebbe einen Strich durch die Rechnung.
Dass Tzimas im Juni beim Club gelandet ist, hat eine Menge mit Nürnbergs Sportdirektor zu tun. Von April 2020 bis März 2021 arbeitete Rebbe bei PAOK, hielt den Kontakt auch nach seinem Abschied, und als Tzimas in der vergangenen Saison in die erste Mannschaft aufrückte, flog Rebbe nach Griechenland und leitete die Leihe in die Wege. Jetzt sagt Tzimas: „Ich bin angekommen. Ich habe ein bisschen Zeit gebraucht, um mich anzupassen, der Fußball hier ist viel intensiver – aber jetzt fühle ich mich gut.“
Und das sieht man auf dem Platz. Manchmal scheint Tzimas zwar noch Scheuklappen zu tragen, manchmal ist er mit dem Ball am Fuß unsauber, und manchmal wirkt er auch etwas ungestüm, doch die Anlagen, die er mitbringt, sind ein derart großes Versprechen, dass PAOK im Sommer unzählige Anfragen für ihn erhielt. In den Verhandlungen mit Nürnberg sicherten die Griechen dem Club dann sogar eine Kaufoption zu, riefen dafür aber einen Betrag im zweistelligen Millionenbereich auf.
Der neue Publikumsliebling weckt Erinnerungen an seinen Landsmann Angelos Charisteas
Dass Tzimas eine solche Summe irgendwann tatsächlich einmal wert sein könnte, ist keine allzu gewagte Annahme. „Mit Ball kann er noch mehr“, sagt Klose, sein Trainer – doch dann folgte das große Aber: „Er ist jetzt fit, er kriegt Minuten, er schießt Tore.“ In Videositzungen zeigte Klose seinem Schützling immer wieder, worauf es ankommt, welche Wege er zu gehen hat und wie er sich im gegnerischen Strafraum verhalten muss. Und Tzimas, der Lehrling des Weltmeisters, hörte aufmerksam zu. Jetzt sagt Klose: „Die Arbeit geht immer weiter, aber er lässt das Herz auf dem Platz, und das ist für mich als Trainer das Wichtigste.“
Mit welchem Elan Tzimas bei der Sache ist, zeigte sich auch Mitte September in Ulm. Tzimas erzielte erst den Ausgleich und sah später Rot, weil er im Übereifer des späten Nürnberger 2:1 einen Gegenspieler anrempelte. Dann nutzte er die Zeit, ging oft in den Kraftraum und feilte mit Klose an Details. Das zahlte sich auf Anhieb aus. Vor der Länderspielpause traf Tzimas beim 3:2 gegen Preußen Münster, und am vergangenen Sonntag, als Fürth zum Tag des offenen Tores einlud, vollstreckte er gleich zweimal.
Ein griechischer Mittelstürmer, der Tore für den 1. FC Nürnberg schießt – war da nicht was?
Es sind mittlerweile gut 17 Jahre vergangen, seit Angelos Charisteas zum ersten Mal an den Valznerweiher kam. Er war damals schon 27 und kannte die Bundesliga bereits aus seiner Zeit bei Werder Bremen, doch die Herkunft und die wuselige Art und Weise, Fußball zu spielen, hat er mit Tzimas gemeinsam.
Ob Stefanos Tzimas eines Tages auch Europameister wird wie Angelos Charisteas vor zwanzig Jahren? Wahrscheinlich eher nicht, aber seinen Weg wird Tzimas wohl gehen.