Süddeutsche Zeitung

Stefanos Tsitsipas bei den Australian Open:Ein Mini-Federer verzückt Melbourne

  • Stefanos Tsitsipas spielt bei den Australian Open das beste Tennis seines Lebens.
  • Der junge Grieche ist bei den Fans beliebt, weil es in Melbourne eine riesige griechische Gemeinschaft gibt.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Auch am Dienstag lärmte der Hellas-Chor, Fähnchen wurden geschwenkt, Lieder geschmettert und jeder Punkt mit Fußballhymnen gefeiert. Diesmal allerdings musste der Sängerkreis vor der Halle bei den Videowänden bleiben. Der neue Volksheld der griechischen Gemeinde ist dem Anhang entrückt. Statt in den kleineren Rundbau mit den billigen Plätzen wird er jetzt in die Rod-Laver-Arena im Melbourne Park gebeten, in das größte Tennisstadion des Kontinents, für das Tickets über Nacht schon längst nicht mehr zu kaufen sind: Stefanos Tsitsipas, der junge Grieche, ist bei den Australian Open zum Quartett der Besten aufgestiegen.

Als er am Dienstag nach gut drei Stunden im Tiebreak des Viertelfinals den Matchball gegen den Spanier Roberto Bautista Agut zwischen die Linie gezirkelt hatte beim 7:5, 4:6, 6:4, 7:6 (2), ließ er sich auf den Rücken fallen. Sekunden später stand er auf beiden Beinen und erzählte dem Publikum noch ein bisschen atemlos, dass sich gerade ein Traum nach dem nächsten für ihn erfülle: Vor einer Woche war er noch der erste männliche Tennisspieler Griechenlands, der überhaupt jemals ein Match auf den blauen Courts am Yarra River gewinnen konnte. Jetzt ist er der erste, der sich für die Vorschlussrunde qualifizierte. Zudem darf er sich mit 20 als Jüngster fühlen, der bei einem der vier Grand-Slam-Turniere an dieser Schwelle steht, seit Novak Djokovic 2007, damals ebenfalls 20-jährig, ins Halbfinale stürmte.

Es ist der Vorstoß, den die Experten am ehesten Alexander Zverev, dem 21-jährigen ATP-Weltmeister, zugetraut hatten. Aber fürs Erste hat Tsitsipas den fast gleichaltrigen Kollegen, der im Achtelfinale weit unter seiner Form spielte und die Nerven verlor (1:6, 1:6, 6:7 gegen Milos Raonic), nun überholt.

Tsitsipas stammt aus einer Sportlerfamilie - der Großvater holte Olympiagold im Fußball

Tsitsipas hatte schon zu Jahresbeginn auf alle Fragen nach seinen Saisonzielen forsch angegeben: Grand-Slam-Turnier, Halbfinale. "Bei dieser Antwort", so erzählte er, "dachte ich: Ich bin ja verrückt." Und doch ist bezeichnend für diesen talentierten Spross einer Sportler-Dynastie, dass er konkrete, realistische Aufgaben formuliert. Im Oktober erst hat er sein erstes Turnier auf der ATP-Tour in Stockholm gewonnen. Im Anschluss daran sicherte er sich den Titel beim Saisonfinale der beständigsten Nachwuchsspieler, die als "NextGen" vermarktet werden, gegen den aufstrebenden Australier Alex de Minaur.

Jeder Schritt in der Karriere von Tsitsipas, der an der Tennisakademie von Patrick Mouratoglou seinen letzten Schliff erhält, ist mit Augenmaß geplant: Vater Apostolos, ein Tennistrainer, begleitet ihn auf Reisen, Mutter Julia war Profispielerin auf der WTA-Frauentour. Und bei allen Lobeshymnen, die dem rasantesten Emporkömmling des Tennissports nach seinem Achtelfinalsieg gegen Roger Federer am Sonntag in den Ohren klingen, wird ihm bewusst sein, dass auch dieser Streich nicht mit den Bravourtaten des früh verstorbenen, Fußball spielenden Großvaters mithalten kann: Sergej Salnikow eroberte 1956 nicht einmal 500 Meter entfernt hier in Melbourne mit dem sowjetischen Team die olympische Goldmedaille.

Tsitsipas hatte schlecht geschlafen nach der aufregenden Nacht in Melbourne, in der er seinem Vorbild Federer den Weg zum 21. Grand-Slam-Triumph verbaut hatte. "Gegen ein Idol zu spielen, das zum Rivalen wird", sei schwer, sagte er. Es dauerte, bis sich die Anspannung gelegt hatte, der Fuß tat weh, der Körper schmerzte, und die unmittelbare Zukunft bereitete ihm Sorge. "Die größte Herausforderung war das nächste Match: Ich wusste, dass ich mich noch einmal beweisen musste." Erst mit der Wiederholung des Erfolgs gegen Roberto Bautista Agut sei der Beweis geführt, "dass das Ganze kein Zufall war".

Tatsächlich haben manche Beobachter am Sonntag sogar eine Art Mini-Federer in ihm gesehen: dieselbe Eleganz in den Schlägen, dieselbe Ruhe, dasselbe Grundvertrauen in das eigene Können, das ein 19-jähriger, ungestümer Schweizer mit Pferdeschwanz im Sommer 2001 an den Tag gelegt hatte, als er in Wimbledon den großen Pete Sampras, den siebenmaligen Champion des Rasenturniers, vom Platz fegte. Auch Federer hatte damals nie zuvor ein Match in Wimbledon gewonnen, und die Parallelen zu Tsitsipas blieben ihm am Sonntag nicht verborgen.

"Er spielt ebenfalls eine einhändige Rückhand, und ich hatte damals ja auch lange Haare", räumte er nach der Niederlage ein. An Perspektive, sagte Federer, fehle es seinem jungen Bezwinger jedenfalls nicht: Wer Novak Djokovic, Kevin Anderson sowie Zverev in einem Turnier schlagen könne (im August in Toronto) und nun auch ihn, Federer, der habe alle Voraussetzungen, "die nächste Ebene" zu erklimmen.

Viel mehr plant Tsitsipas nach eigenen Angaben bisher auch nicht. Wenn ihm das Bälleschlagen manchmal zu viel ist, dann fotografiert er und dreht Filme für seinen eigenen Youtube-Kanal. Tennis sei wichtig, aber nicht das Wichtigste im Leben, glaubt er: "Wir haben alle noch andere Talente", und die sollte man nicht verkümmern lassen.

Das begeisterungsfähige Publikum in Melbourne jedenfalls hat ihn bereits ins Herz geschlossen, und wenn er so weitermacht, ist zu befürchten, dass er mit seiner offenen, freundlichen Art sogar Australiens Maskottchen, dem Koala, den Rang abläuft. Sofern die Unterstützung am Dienstag ein Maßstab war, dann darf er auch im Halbfinale auf große Sympathien der Zuschauer hoffen - in der Halle und davor. Tsitsipas wird dann auf den Spanier Rafael Nadal treffen, der im Viertelfinale den 21-jährigen Amerikaner Frances Tiafoe auf gewohnt beeindruckende Art 6:3, 6:4, 6:2 schlug. Nadal, 32, der Australian-Open-Sieger von 2009, hält große Stücke auf den jungen Griechen, wie er sagte: "Er ist einer der Besten der Welt."

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Quelle:
SZ vom 23.01.2019/jbe/cat
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