Stefan Luitz:Plötzlich vollendet

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Im Schatten des Adlers: Stefan Luitz, 26, gewinnt sieben Jahre nach seinem Debüt sein erstes Rennen im Weltcup.

(Foto: Andreas Pranter/imaga)

Zwei Tage nach Thomas Dreßens Kreuzbandriss verschafft Stefan Luitz dem Deutschen Skiverband ein unverhofftes Erfolgserlebnis: Der 26-Jährige gewinnt nach vielen Rückschlägen sein erstes Weltcup-Rennen.

Von Johannes Knuth, Beaver Creek/München

Wenn die Dinge zusammenkommen, lohnt sich manchmal ein Blick in die Zeit, in der sie fast auseinanderfielen. Es war im Januar 2017, der Skirennfahrer Stefan Luitz rutschte beim Riesenslalom in Adelboden erst von der Ideallinie, dann aus dem Rennen - wieder ein Flüchtigkeitsfehler, obwohl er bis dahin einen formidablen Lauf aufgeführt hatte, wieder einmal. Luitz, so hat sich Mathias Berthold, der Cheftrainer der deutschen Männer, später im Gespräch erinnert, habe danach "fast alles infrage gestellt, nach dem Motto: Ich schaff's einfach nicht." Aber das sah Berthold gar nicht ein. "Das wird immer mal wieder passieren, Fehler darf man machen", sagte er. Dann fragte er Luitz: "Hey, was lernst du jetzt eigentlich daraus? Wenn man sagt: Ich lern daraus, ist das nicht genug. Du musst das gleich mit einer Aufgabe verknüpfen."

Also setzten sie sich ein paar Ziele, und seit diesem frostigen Tag im Berner Oberland lesen sich Luitz' Erträge in seiner Paradedisziplin so: Dritter, Fünfter, Vierter, Dritter, Zweiter, Kreuzbandriss, Erster.

Am Sonntagabend grüßte Stefan Luitz, 26, vom SC Bolsterlang tatsächlich von der höchsten Stelle des Podests, nach dem ersten Riesenslalom des Winters in Beaver Creek, USA. Es war sein erster Triumph im Weltcup, sieben Jahre nachdem er in der höchsten Klassenstufe des alpinen Skisports debütiert hatte. Luitz ist zudem erst der dritte Deutsche nach Max Rieger (1973) und Felix Neureuther (2014), der einen Riesenslalom im Weltcup gewonnen hat. Das ist die eine, historische Komponente, die seinen Erfolg versüßte. Die andere ist seine Vita, seine frühe Begabung, die Flüchtigkeitsfehler, der Kreuzbandriss vor einem Jahr, als Luitz gerade dabei war, zu einem Stammgast in der Weltelite aufzusteigen. Und nun, nach elf Monaten Wettkampfabsenz gewann er plötzlich den Hauptpreis. "Verrückt", japste Luitz im Ziel. Marcel Hirscher, der Olympiasieger aus Österreich, bester Riesenslalomfahrer der vergangenen Jahre und am Sonntag Zweiter, übermittelte in einer Art präsidialen Grußbotschaft: "Stefan ist es von Herzen zu vergönnen, weil er einen der schwersten und steinigsten Wege im Weltcup hatte."

Erfolgsgeschichten wie die von Luitz sind immer auch Frustgeschichten; Luitz hatte die Nerven seiner Vorgesetzten in all den Jahren ja doch öfter strapaziert, als allen Beteiligten lieb war. Da waren seine ersten Erfolge, Platz zwei in Val d'Isère vor sechs Jahren etwa, der erste Kreuzbandriss, ein formidabler erster Lauf bei den Winterspielen 2014, der kurz vor dem Ziel mit einer schweren Panne endete: Luitz fädelte am letzten Tor ohne Not ein, statt einer möglichen Medaille winkte ein Platz im olympischen Kuriositätenkabinett.

Nach Sotschi übernahm Mathias Berthold die Männer-Abteilung. Der Österreicher hatte schon während seiner Zeit im Heimatverband bemerkt, wie "superschnell" dieser Luitz war - aber er streute eben auch immer wieder diese Fehler ein, vor allem einen, den er sich in seinen Lehrjahren eingefangen hatte. "Das sitzt so tief drin, das ist wahnsinnig schwer rauszubekommen", sagte Berthold, er müsse da ein ganzes Bewegungsmuster austreiben. Und das flammte meist dann auf, wenn Luitz abgelenkt war, wie im Januar 2017 in Adelboden. Wolfgang Maier, der deutsche Alpindirektor, sagte damals halb wohlwollend, halb grantig: "Mein Unvollendeter, seit Jahren." Als höre man Franz Schuberts gleichnamige Sinfonie, der nach zwei monumentalen Sätzen der krönende dritte fehlt.

Die wichtigste Hausaufgabe, die Berthold nach seiner Unterredung mit Luitz in Adelboden stellte, war die: "Wir haben ihn mehr aufs Skifahrerische gelenkt, dass er mit der Konzentration nicht schon bei irgendeiner Schlüsselstelle ist, an die man erst drei Tore später hinkommt. Und dadurch den Fokus verliert." So konnte man an Luitz' Entwicklung fortan studieren, was passiert, wenn beides zusammenkommt: ein starkes Betreuerteam im Verband und ein Hochbegabter, der diese Ressourcen annimmt. Fritz Dopfer, der in Beaver Creek nach einem starken ersten Lauf im zweiten auf Platz 24 rutschte, sagte schon vor einem Jahr: "Stefan hat an den richtigen Schrauben gedreht, hat seine Ernährung noch mal umgestellt, hat mit einem Mentaltrainer gearbeitet - er ist in sich sehr gestärkt, sehr ruhend, extrem professionell." Es gebe "wenige bei uns, die das so ernsthaft angehen".

Wenn ein Kapitel dann früh endet, wie nach Luitz' Verletzung im Dezember 2017, kann freilich genauso gut etwas Neues anfangen. "Viele haben mich damals angesprochen und gemeint: Scheiße", hat Luitz neulich erzählt. Er habe dann stets entgegnet: "Nein, das ist ein Kreuzbandriss. Es gibt so viel Schlimmeres auf der Welt." Er sah seine Verletzung auch als Chance, in den ersten Trainingswochen nach der Reha: "Man versucht von Anfang an diese Fehler, die sich in der Technik eingeschlichen haben, zu minimieren." In Beaver Creek war dann beides stabil, Kopf und Technik. Gut, Luitz leistete sich im zweiten Lauf wieder "ein paar große Fehler", aber er behielt diesmal die Kontrolle, und mit Fehlern kann es im Skisport auch so sein: Wer Fehler macht, ist schnell. Und jetzt?

Dass Luitz im ersten Rennen nach seiner schweren Verletzung den Status des Unvollendeten fürs Erste abgestreift hat, das überrascht schon. Dass er so oder so auf dem Weg dorthin war, davon waren sie im deutschen Team aber schon ausgegangen. Nun verschafft ihnen der Coup auch etwas Linderung, nachdem Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen am Freitag das Kreuzband gerissen war. Und ein gewisser Felix Neureuther steigt bald ja auch wieder in den Weltcup ein, vielleicht schon am kommenden Wochenende in Val d'Isère - nach Daumenbruch und Kreuzbandriss.

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