Herthas neuer Trainer Stefan Leitl:Der kleinste Bruder in der größten Stadt

Lesezeit: 3 Min.

Ein Bayer in Berlin: Der gebürtige Münchner Stefan Leitl übernimmt das Traineramt beim krisengeschüttelten Zweitligisten Hertha BSC. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Stefan Leitl soll Hertha BSC aus der Krise führen und auf Sicht dahin, wo er mit Greuther Fürth schon mal war: in die erste Bundesliga. Seine konsequente Art wird der Trainer dabei gut gebrauchen können.

Von Stefan Galler

Als jüngster von fünf Brüdern muss man über eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit verfügen, sonst erwischt man nicht viel, wenn die Mama nach dem Einkaufen die Süßigkeiten aus dem Korb holt. Ob Stefan Leitl genügend Gummibärchen abbekommen hat, ist nicht überliefert. Er selbst sagt dazu, er habe „eine wunderbare Kindheit ohne Ellbogeneinsatz“ verlebt, denn der Altersunterschied zu seinen Brüdern habe mehr als zehn Jahre betragen. Bei der Verteilung des fußballerischen Talents in seiner Familie ist er jedenfalls nicht zu kurz gekommen.

„Der Jüngste wird der beste von allen“, hieß es schon Ende der Achtzigerjahre, als Stefans ältere Brüder Wolfgang, Reiner, Christian und Jürgen noch den Münchner Amateurfußball aufmischten und er selbst beim FC Bayern in der Jugend kickte. Nur Reiner schaffte es bei der SpVgg Unterhaching bis in die zweite Liga. Dann kam einige Jahre später das Nesthäkchen, das zwar an der Säbener Straße beim FC Bayern den Durchbruch nicht schaffte, aber für Nürnberg in der Bundesliga auflief und später, als Kapitän des FC Ingolstadt, eine feste Zweitligagröße wurde.

Mittlerweile ist der 47-Jährige ein etablierter Trainer, weshalb es nicht überrascht, dass er am Dienstag als Nachfolger von Christian Fiél bei Hertha BSC vorgestellt wurde. Man habe bereits in der vergangenen Woche – also schon vor der Niederlage in Düsseldorf – Kontakt mit Leitl und dessen Co-Trainer Andre Mijatovic aufgenommen, der selbst von 2010 bis 2012 für die Berliner gespielt hatte, verriet Herthas Sportdirektor Benjamin Weber. Es wirkte so, als habe er sich verplappert. Ob man Fiél darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass seine potenziellen Nachfolger bereits sortiert wurden, als er noch im Amt war? Darauf ging Weber dann nicht mehr ein.

„Berlin ist genauso groß wie früher“, stellt Leitls Co-Trainer bei seiner Rückkehr in die Hauptstadt fest

Leitl hingegen vermittelte ein paar Eindrücke von der „super intensiven ersten Einheit“ am Dienstagvormittag, und sein Assistent Mijatovic stellte schon mal fest, dass sich die Hauptstadt seit der Zeit, als er mit der Hertha in die Bundesliga aufstieg, nicht besonders verändert habe: „Berlin ist genauso groß wie früher, und das Olympiastadion ist auch noch genauso groß wie früher.“

Man habe nur drei Trainingseinheiten vor dem Heimspiel gegen Nürnberg am Freitag, sagte Leitl. Bis dahin müsse er „ein Gespür für die Spieler bekommen, auch dafür, wie sie in bestimmten Situationen ticken“. Am Freitag werde man dann „energetisch ans Limit gehen, um drei Punkte zu holen“.  In der Mannschaft finde sich alles, was man brauche, um erfolgreich zu sein: „Erfahrung, Talent und viele Attribute, die wir jetzt versuchen, aufs Feld zu bekommen.“

Der Druck auf das neue Trainergespann ist hoch: Nach vier Niederlagen in Serie liegt die Hertha nur noch fünf Zähler vor dem Relegationsplatz. „Ich will nicht vom Abstieg sprechen, es geht darum, dass wir den Turnaround schaffen, ins Punkten kommen und herauskitzeln, was in den Spielern steckt“, sagt Leitl, der dementiert, was man sich in Berlin schon vor seiner Präsentation erzählt hatte: dass er auch deshalb ins Traineramt gehievt wurde, weil er mit Andreas Neuendorf, dem Leiter der Lizenzspieler-Abteilung, befreundet ist: „Zecke und ich haben in der U21 und in Ingolstadt zusammengespielt, aber das ist nicht der ausschlaggebende Punkt, warum ich heute hier sein darf.“

In Hannover musste Leitl gehen, obwohl die Mannschaft nur einen Punkt hinter Rang drei lag

Vor der Saison hatte man in der Hauptstadt mit der Rückkehr in die Bundesliga geliebäugelt, obwohl wegen der finanziellen Notlage Leistungsträger wie Marc-Oliver Kempf oder Torjäger Haris Tabakovic verkauft werden mussten. Nun ruhen die Hoffnungen auf Leitl, dessen Vertrag bis 2027 läuft. Dass er eine Mannschaft in die Bundesliga führen kann, hat er bereits bewiesen, als er mit Greuther Fürth 2021 aufstieg. Nach dem direkten Abstieg ein Jahr später packte der Coach seine Koffer – freiwillig, und obwohl er noch ein Jahr Vertrag gehabt hätte. Diese konsequente Art ist jetzt auch in Berlin gefragt.

Die Bundesliga haben sie stets auch bei Hannover 96 als Ziel, Leitls jüngstem Arbeitgeber. Nach den Rängen zehn und sechs in den vergangenen Spielzeiten sollte er in dieser Saison die Rückkehr ins Oberhaus schaffen. Und so mutete sein Aus kurz vor Silvester etwas skurril an, denn die Niedersachsen lagen zu diesem Zeitpunkt nur einen Punkt hinter dem Relegationsrang. Unter dem neuen Trainer André Breitenreiter beträgt der Abstand nun schon fünf Punkte. Der bodenständige Leitl, der manchmal etwas grummelig wirkt, war schon im Sommer 2023 von Hannovers Mehrheitsgesellschafter Martin Kind angezählt worden („wenn ich alles das sagen würde, was ich denke, dann hätten wir Krieg“). Seine Entlassung zuletzt habe ihn dennoch „sehr überrascht“, sagt Leitl. Ihre siebenwöchtige Pause hätten Mijatovic und er genutzt, um ihre Akkus aufzuladen, „wir waren zuletzt ja sechs Jahre am Stück beschäftigt“.

Nun wird es womöglich zur Neuauflage einer Männer-WG kommen: Schon in Fürth seien die beiden auf die Idee gekommen, zusammenzuziehen. „Wir haben eine ähnliche familiäre Situation, haben beide drei Kinder, ich wohne in Ingolstadt, Stefan in München-Ismaning“, sagte der Assistent. Da liege es auf der Hand, dann man sich in der Fremde zusammentue. Der strenge Chef Leitl wollte sich noch nicht festlegen: „Andre hat in Hannover nicht so gut gekocht.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Aufbegehren gegen DFB-Regeln
:Der Fußball-Osten will sich nicht länger vertrösten lassen

Eine Initiative von 16 Ost-Klubs fordert eine Reform des Drittligaaufstiegs und will die Pyro-Strafen des DFB nicht mehr akzeptieren. Und fragt sich ganz grundsätzlich: War man zwischen Rostock und Jena zu lange zu devot?

Von Christoph Ruf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: