Start in die Europa League:Therapiezentrum für enttäuschte Erstligisten

Erst wollen alle rein, dann klagen sie über die Belastungen: Die Europa League ist und bleibt eine umstrittene Veranstaltung. Und Bayer Leverkusen muss erst noch klären, wie es seinen Gegner schreibt.

Christof Kneer, Ulrich Hartmann und Jörg Marwedel

Es ist schon ein lustiger Wettbewerb - nicht nur wegen des schrulligen deutsch-englischen Namens "Europa League" (warum eigentlich nicht: European Liga?). Das Lustigste an diesem Wettbewerb ist aber, dass sich Klubs eine Saison lang abrackern, um ihn zu erreichen, dass sie enthemmt jubeln, wenn sie am 34. Spieltag die Qualifikation geschafft haben. Und dass ihnen dieser Wettbewerb, kaum dass sie drin sind, auf einmal lästig wird.

Einsatz von Tasci gegen Bukarest fraglich

Einsatz fraglich: Stuttgarts Serdar Tasci.

(Foto: dapd)

Das ist jedenfalls der Eindruck, den mancher Klub zuletzt vermittelt hat: dass es anstrengend ist, donnerstags nach Zypern oder Rumänien zu reisen; dass es nervig ist, in der Bundesliga immer erst sonntags zu spielen; und dass man in dieser Europa League auch erst anständig Geld verdient, wenn man ins Viertelfinale einzieht.

Er geht jetzt wieder los, dieser Wettbewerb, mit vier deutschen Teilnehmern, so vielen wie seit der Saison 2008/09 nicht mehr. "Wir haben ein Jahr auf die Europa League hingearbeitet, jetzt wollen wir sie auch genießen", sagt stellvertretend der Stuttgarter Trainer Bruno Labbadia.

Das wird kein leichtes Unterfangen - drei der vier deutschen Klubs ziehen kriselnd in die Europa League, die jetzt auch noch als eine Art Therapiezentrum für enttäuschte Erstligisten herhalten muss. Ein Überblick.

VfB Stuttgart

Warum soll man Geld ausgeben, das man auch sparen kann? Warum soll man in Spieler investieren, wenn man doch schon welche hat? Mit diesem einleuchtend klingenden Ansatz ist der VfB Stuttgart in die Saison gestartet, aber es hat nicht lang gedauert, um die Risiken und Nebenwirkungen dieses Ansatzes zu erkennen.

Es dürfe halt nichts passieren - mit dieser Formulierung haben Trainer Labbadia und Sportchef Fredi Bobic vor Saisonbeginn ihr Unbehagen angedeutet, aber weil sie loyale Angestellte sind, haben sie sich gröbere Kritik am Spardiktat der Chefetage verkniffen. Prompt hat sich am zweiten Liga-Spieltag Stürmer Vedad Ibisevic mit einer roten Karte abgemeldet, und am vorigen Wochenende sind auch noch die Außenverteidiger Tim Hoogland und Cristian Molinaro verletzt ausgefallen. "Wir können uns keine neuen Spieler backen", sagt Manager Bobic leicht gereizt, wenn man ihn auf die plötzlichen Lücken im Kader anspricht.

Als Außenverteidiger verbleiben jetzt nur noch der seit ungefähr einem Jahrzehnt stagnierende Ivorer Arthur Boka und der talentierte Japaner Gotoku Sakai, dem aber nach einem Sommer ohne Pause (Olympia) die Wettkampfhärte fehlt. Ach ja, Serdar Tasci werde nun wohl auch noch ausfallen, sagte Labbadia am Mittwoch.

Bleibt die gute Nachricht: Der in der Bundesliga gesperrte Ibisevic darf in Europa spielen. Die schlechte Nachricht: Der in der Bundesliga spielberechtigte Zdravko Kuzmanovic ist in Europa gesperrt.

Borussia Mönchengladbach

Von Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre ist bekannt, dass er nach einer schlechten Nachricht im Affekt zum Fatalismus neigt. Als sein bester Spieler Marco Reus vorige Saison mitteilte, dass er nach Dortmund wechseln würde, erlitt Favre im ersten Moment einen kleinen Zusammenbruch. "Wir können ihn nicht ersetzen", soll der Schweizer geklagt haben. Das ist jetzt fast neun Monate her. Gladbach hat in der Zwischenzeit für 30 Millionen neue Spieler gekauft, und mittlerweile hat sich erwiesen: Favre hatte absolut recht.

Reus war nicht nur Gladbachs bester Vorbereiter, Torschütze, Dribbler, Ballverteiler und Fußballästhet - er hat vor allem auf einer Spezialposition gespielt, für die der Klub nicht wirklich Ersatz verpflichten konnte. Die Borussia hat für die Innenverteidigung den Spanier Dominguez, fürs defensive Mittelfeld den Schweizer Xhaka und für die Sturmspitze den Niederländer Luuk de Jong gekauft, aber für die hängende Spitze, fürs zentral-offensive Mittelfeld, für die kreativen Flitz- und Wuselaufgaben ist niemand gekommen. Vor allem darunter leidet das Gladbacher Spiel bislang.

Die Mannschaft ist mittelmäßig in die Bundesliga gestartet und hat die Qualifikation für die Champions League verspielt, weshalb sie nun in der Europa League mitmacht und ihr Debüt bei einem Team feiert, das stellvertretend für die unspektakulären Europa-League-Gegner steht: der zyprische Meister AEL Limassol.

Trainer Favre hat eine für seine Verhältnisse extreme Rotation angekündigt, er hat die Stammspieler Filip Daems, Juan Arango und Luuk de Jong zu Hause gelassen. "Wir müssen bei diesem hohen Rhythmus die Belastung verteilen. Wir können nicht mit zwölf, 13 Spielern durch die Saison gehen", sagt er. Offen bleibt, ob die Dosierung der Kräfte der einzige Grund für diesen vergleichsweise radikalen Eingriff ist - oder ob sich in ihm auch der Frust eines perfektionistischen Trainers spiegelt, der seine Elf noch nicht gefunden hat.

Bayer Leverkusen

In der vergangenen Saison hießen die Gegner noch FC Chelsea und FC Barcelona, jetzt wartet eine Mannschaft, bei der sich die Macher des Stadionheftes erst mal überlegen müssen, ob sie "Metalist Charkiw" oder "Metalist Charkow" schreiben.

Die Fallhöhe im Vergleich zum Vorjahr ist so groß in Leverkusen, dass die Verantwortlichen in einem Akt kreativer Verzweiflung beschlossen haben, dass Dauerkartenbesitzer gegen Charkiw (Charkow) kostenlos eine zweite Person mit ins Stadion nehmen dürfen - damit die Spieler nicht das Gefühl haben, es handle sich um ein Geisterspiel. "Wenn wir unser Potenzial abrufen, müssten wir uns in dieser Gruppe durchsetzen können", sagt Sportchef Rudi Völler - wer die ersten drei Bundesligaspiele (ein Sieg, zwei Niederlagen) verfolgt hat, weiß, dass Völler das "wenn" besonders betont.

Im Moment trainiert übrigens Boudewijn Zenden mit bei Bayer Leverkusen. Der ehemalige niederländische Nationalspieler - ein Kumpel von Bayer-Teamchef Sami Hyypiä - könnte demnächst einen Vertrag bekommen. Die gute Nachricht: Zenden hat jede Menge Champions-League-Erfahrung. Die schlechte: Er ist 36.

Hannover 96

Jörg Schmadtke ist kaum zehn Tage wieder im Amt nach seiner Auszeit von knapp drei Monaten, da geht es für den Sportchef von Hannover 96 schon wieder los mit den ungewöhnlichen Ereignissen. Am Samstag erst das dramatische 3:2 gegen Bremen, nun wieder die Europa League, in der die Hannoveraner vergangene Saison mit dem Viertelfinal-Einzug so viel fürs Image getan haben, dass sie nun sogar Freunde in Spanien, Belgien oder der Ukraine haben.

Im Gegensatz zu den anderen deutschen Startern plagen die 96er allenfalls Luxus-Problemchen. Nur 1500 Fans haben ein Ticket fürs Spiel in Enschede erhalten, was bedeutet, dass die Niedersachsen ihren Ruf als Reise-Europameister nicht bestätigen können; im Vorjahr hatten 10.000 Anhänger die Stadt Kopenhagen eingemeindet. Und die Gespräche mit Trainer Mirko Slomka über eine Vertragsverlängerung wurden erneut um eine Woche vertagt. Immerhin sagte Slomka, er werde das angebliche Interesse des FC Bayern nicht ausnutzen; er werde "nicht pokern".

Nicht mal die schlechteste Nachricht der Woche (die Gelb-rot-Sperre des Oberjublers Szabolcz Huszti) beschäftigt Hannover im Moment. Denn: In der Europa League ist Huszti spielberechtigt.

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