Start der Premier League:Englands Liga sprengt die Vorstellungskraft

Transfers, bei denen einem schwindelig wird, 15 Deutsche und viele neue Trainer: Zum Saisonauftakt der Premier League ist klar, dass auf der Insel das größte Spektakel stattfindet. Eine Vorschau.

Von Jan Geißler

Saisonvorbereitung auf Reisen

Regen, Wind und Sonne, das alles im flinken Wechsel: Die Sommer in England sind bekanntlich speziell - das wissen auch die dort ansässigen Premier-League-Klubs. Nicht verwunderlich also, dass ein Großteil der Teams für die Saisonvorbereitung ins Ausland zog. Für acht der 20 Mannschaften ging es nach Amerika, die beiden Vereine aus Manchester verbrachten einige Tage in China, während die Tottenham Hotspurs sogar nach Australien flogen.

Am überzeugendsten präsentierten sich die beiden Londoner Klubs Arsenal und Chelsea. Während die "Gunners" von fünf Vorbereitungsspielen vier gewannen - unter anderem gegen Manchester City - besiegte Chelsea Liga-Konkurrent Liverpool und den AC Mailand. Lediglich bei Außenseiter Rapid Wien kassierten die "Blues" eine Niederlage.

Bemerkenswert - wenn auch nicht wegen der Ergebnisse - ist die Saisonvorbereitung von Meister Leicester City. Während die "Foxes" im Vorjahr noch in Mansfield, Burton und Rotherham antraten, warteten in diesem Jahr namhafte Gegner wie Celtic Glasgow, Paris Saint-Germain, FC Barcelona und Manchester United. Die Folge: Abgesehen von einem Sieg gegen die Schotten gabs für die Elf von Trainer Claudio Ranieri keinen Grund zum Jubeln. Gegen Paris und Barcelona setzte es jeweils vier Gegentore.

Die Meisterschaftsfavoriten

In der vergangenen Saison gewann mit Leicester eine Mannschaft den Titel, die nicht zu den Top-Sechs zu zählen war. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich derartiges in dieser Spielzeit wiederholt, ist gering. ManCity mit Pep Guardiola, United mit José Mourinho und zahlreichen Zugängen, dazu noch der FC Arsenal mit den Weltmeistern Mesut Özil und Per Mertesacker oder der FC Chelsea mit Neu-Coach Antonio Conte sind die Großen der Liga. Sehr wahrscheinlich kommt der Meister am Ende entweder aus London oder Manchester.

Die Wettanbieter erwarten City mit einer Quote von 3,60 an erster Stelle, Stadtrivale United rangiert trotz seiner Millionenausgaben nur auf dem zweiten Platz. Bei einem Titel des FC Liverpool würde man das Neunfache seines Einsatzes zurückbekommen, sollte sich der FC Arsenal die Meisterschaft holen, dürften sich die Tipper über das Siebenfache freuen. Meister Leicester liegt mit einer Quote von 29:1 nur im Mittelfeld.

Wunderteam Leicester City

Hinter Leicester City liegt eine außergewöhnliche, wahrscheinlich einmalige Saison, die mit dem Titelgewinn im Mai ihren Höhepunkt fand. Den "Foxes", bei denen Erfolgs-Trainer Ranieri erst diese Woche seinen Vertrag bis 2020 verlängerte, kommt ihre Rolle aber gelegen: Kaum einer auf der Insel traut dem Außenseiter vor dem Auftakt am Samstag bei Hull City eine Wiederholung des Fußball-Märchens zu. Daran ändern auch die für Leicester-Verhältnisse hohen Transfer-Ausgaben von 45,8 Millionen Euro sowie der ausgebliebene Ausverkauf nichts.

"Was im letzten Jahr war, ist vergessen", betonte Ranieri. Ziel des Neustarts sei es, die Schwelle von 40 Punkten zu erreichen, um nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben. Einer der Gründe für die bescheidene Zielformulierung sei auch die ungewohnt hohe Belastung durch Liga, Pokal und Champions League.

Die Aufsteigerchen

Burnley, Kingston upon Hull und Middlesbrough - was nach Loriot und Evelyn Hamann klingt, sind künftige Premier-League-Spielorte. Aus diesen drei Städten im Norden Englands stammen die drei Aufsteiger FC Burnley, Hull City und der FC Middlesbrough. Ihre Chancen? Überschaubar. Während Hull drei Wochen vor Saisonstart plötzlich ohne Trainer da stand, tun sich die Verantwortlichen in Burnley schwer, einen erstligatauglichen Kader auf die Beine zu stellen. Auch laut der Vorschau des Guardian dürfte es für beide Klubs eng werden. Am besten ist die Situation noch in Middlesbrough, wo der spanische Coach Aitor Karanka seinen Kader aus einer Art Resterampe der Primera División gefertigt hat.

Die Causa Paul Pogba

Wenige Transfers in der Geschichte elektrisierten die Szene derart wie jener von Paul Pogba. Was sich über mehrere Monate angedeutet hatte und quasi seit Wochen kurz bevorstand, wurde diese Woche Gewissheit. Der Franzose wechselt nach vier Jahren bei Juventus Turin zurück auf die Insel zu ManUnited, wo er bereits von 2009 bis 2012 als Jugendspieler tätig war. United lässt sich Krake Paul irrwitzige 105 Millionen Euro kosten, womit der Transfer alle Rekorde sprengte. Zudem überweisen die Engländer wöchentlich rund 290 000 Pfund auf Pogbas Konto - mehr verdient im Team keiner.

Verrückter Transfersommer

England ist das Land der Fußball-Großinvestments. Der milliardenschwere TV-Vertrag füllt Jahr für Jahr die Kassen, so dass selbst kleine Klubs immer flüssig sind. Bevorzugt fließt das Geld ins Transfergeschäft - egal, wie gut oder wie talentiert die Profis sind. Auch in der aktuellen Wechselphase war dies der Fall. Zur Einordnung: Ilkay Gündogan, der in diesem Sommer für 27 Millionen Euro von Dortmund zu ManCity gewechselt ist, liegt nur auf Platz zehn der teuersten Transfers 2016. Angeführt wird die Liste von Pogba. Auf Platz zwei folgt John Stones, der mit seinem Umzug von Everton zu Guardiolas City gleich zwei Rekorde verbuchte: Neben dem Titel des teuersten Verteidigers der Welt, den Stones zukünftig trägt, ist er auch der teuerste Transfer innerhalb der Premier League.

Zudem tauchen gleich drei weitere, ehemalige Bundesliga-Profis in den Top10-Transfers auf: Leroy Sané ging ebenfalls zu City (50 Millionen Euro), Granit Xhaka verließ Mönchengladbach, um für 45 Millionen Euro ein "Gunner" zu werden und Henrikh Mkhitaryan erstritt sich die Freigabe beim BVB. Der Armenier ging letztlich für 42 Millionen Euro zu United.

Der Mannschaft von Mourinho schloss sich auch Zlatan Ibrahimovic an. Nach vier erfolgreichen Jahren bei Paris Saint-Germain wollte der Schwede noch einmal eine Veränderung. In der Liste der teuersten Transfers taucht er nicht auf, weil er ablösefrei nach Manchester kam.

Munteres Trainerwechseln

Neben den vielen neuen Spielern stehen vor allem die Trainer - oder "Manager", wie die Engländer sagen - im Fokus. Gleich acht Vereine gehen mit einem frischen Mann an der Seitenlinie ins Rennen. Die spektakulärsten Veränderungen gab es in Manchester. Bei United folgte auf Louis van Gaal Mourinho, bei Stadtrivale City löste Guardiola den Chilenen Manuel Pellegrini ab.

Große Namen, denen bei ihren neuen Arbeitgebern unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Ob sich beide gut verstehen, ist fraglich. Erster Clash in der Liga ist am 10. September. Der FC Chelsea steht künftig unter der Leitung des Italieners Conte, der erst vor wenigen Wochen mit der italienischen Nationalmannschaft im EM-Viertelfinale an der DFB-Elf gescheitert war. Zuvor gewann er mit Juventus Turin drei Meisterschaften in Serie.

Deutsche Exportschlager

Die Zahl der deutschen England-Legionäre steigt von Jahr zu Jahr. Die Zeiten, als Michael Ballack alleiniger Exportknaller war, sind längst vorbei. Nicht nur die Transfers von Sané und Gündogan erregten Aufmerksamkeit, sondern auch jene der Keeper Ron-Robert Zieler (Leicester) und Loris Karius (Liverpool) - derzeit stehen 15 deutsche Profis bei Premier-League-Klubs unter Vertrag. Fragt sich noch, was aus Bastian Schweinsteiger wird: Erst vergangene Woche verkündete Trainer Mourinho, dass er nicht mehr mit dem Weltmeister plane. Wo es den frisch verheirateten Weltmeister hinzieht, ist offen.

Mesut Özil ist beim FC Arsenal weiterhin DIE prägende Spielmacherfigur, dagegen wird Per Mertesacker vorerst ausfallen. Eine schwere Knieverletzung bremst ihn wohl bis Ende des Jahres aus. An seine Stelle könnte nun ein weiterer Deutscher rücken. Die Londoner befinden sich in Gesprächen mit Skodran Mustafi vom FC Valencia, laut dessen Berater besteht allerdings noch keinerlei Einigung. Auch Serge Gnabry, der gerade bei den Olympischen Spielen in Rio mit fünf Toren in der Vorrunde für Aufsehen sorgte, könnte mehr Spielzeit bekommen.

Und in Liverpool gibt es ja noch einen Trainer namens Jürgen Klopp, der neben dem (noch verletzten) Keeper Karius auf Emre Can in der Zentrale setzt. Klopp findet übrigens: "England ist ein tolles Land mit tollen Menschen. Das Essen ist viel besser als alle behaupten, aber das Wetter ist so schlecht wie alle behaupten."

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