Süddeutsche Zeitung

Start der Australian Open:Brisanz der offenen Rechnungen

Boris Becker gegen Stefan Edberg, Ivan Lendl gegen Michael Chang: Die am Montag beginnenden Australian Open bieten ausreichend Potenzial für großes Theater, bei dem alte Tennis-Rivalitäten der aktuellen Trainer neu entfacht werden könnten.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Im Kalender der Tennisorganisation ATP steht, dass die Australian Open vom 13. bis 26. Januar ausgetragen werden. Das ist nicht korrekt. Im Grunde hat das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres schon seit einer Woche seinen Betrieb aufgenommen, und anhand all der Nachrichten, die bedeutungsschwer in die Welt gesendet wurden, lässt sich erahnen, wie sehr sich das sportbegeisterte, stolze Melbourne auf seine liebste, größte Veranstaltung freut.

Es war mächtig was los, noch vor dem ersten Aufschlag in der ersten Runde, die am Montag beginnt. Nahezu jede Ankunft der Topspieler wurde per Online-Video festgehalten, das Abholen der Akkreditierung, und erste Trainingsbilder im Internet bezeugten, dass es sich nicht um Doppelgänger von Novak Djokovic und Maria Scharapowa handelte, die zu Wochenbeginn auftauchten.

In welcher Liga dieses Event, neuerdings mit 33 Millionen Australischen Dollar (22 Millionen Euro) Preisgeld dotiert, inzwischen rangiert, deutete allein der Mittwoch an. Im Vorbeigehen sammelte Roger Federer bei einem Charity Match gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga über eine halbe Million Euro ein, die australische Tennis-Legende Rod Laver, rüstige 75 Jahre alt, klatschte begeistert Beifall, während ihm wiederum die ebenfalls anwesenden Pat Rafter, Lleyton Heywitt und Federers früherer Trainer Tony Roche huldigten. Federer und Laver schlugen dann Bälle, Mikrofone vor dem Mund übertrugen für die mehreren Tausend Zuschauer jeden Flachs der beiden. Manch ein Turnier wäre froh, dieses Programm als einen der Höhepunkte präsentieren zu können. In Melbourne ist das die zarte Ouvertüre.

Federer im Glück

Es könnte diesmal eine besonders außergewöhnliche Veranstaltung werden. Vor allem der Männerwettbewerb bietet das Potenzial für großes Theater. Boris Becker könnte auf Ivan Lendl treffen. Stefan Edberg könnte sich mit Michael Chang messen. Oder: Lendl gegen Edberg. Becker gegen Ivanisevic. Es warten Klassiker, die es seit über 15 Jahren nicht gab. "Unsere Tour ist sehr aufregend", bekannte der ansonsten angenehm unaufgeregte Federer, der mächtig Glück hat. Er wird garantiert nicht auf Becker & Co. treffen. Jedenfalls nicht direkt.

Der Schweizer, der Serbe Djokovic und der Schotte Andy Murray, drei der magischen Vier (mit dem Weltranglisten-Ersten Rafael Nadal aus Spanien), die seit Jahren die Szene dominieren (auch wenn Federer derzeit auf Rang sechs abgerutscht ist), haben jetzt allesamt Trainer, die früher selbst Stars waren, charismatische Topstars darf man sagen. Der einst gefürchtete Ivan, der Schreckliche, Lendl etwa hat sich schon vor zwei Jahren Murray angenommen und ihn tatsächlich zu dessen ersten großen Titeln geführt (Olympia, Wimbledon, US Open).

Becker coacht nun den "Djoker", der sechs Grand-Slam-Turniere gewann, viel zu wenig, wie der befand, so holte er im Dezember rothaarige Hilfe. Federer, der smarte Stratege, mit sagenhaften 17 Grand-Slam-Trophäen geschmückt, besorgte sich daraufhin hurtig Edberg als Inspiration, den stillen Schweden, der den Boris besonders in dessen Wohnzimmer in Wimbledon so empfindlich ärgerte.

Von einem "Must have" schrieb gar die Online-Abteilung des Veranstalters in feiner australischer Ironie, als handele es sich bei einem angegrauten Ex-Topprofi als Trainer um ein edles Luxus-Gut, das es zu besitzen gelte. Wohin dieser Trend führt, ist somit die spannendste Frage in den nächsten zwei Wochen. Da kann Serena Williams noch so sehr Maria Scharapowa über den Hartplatz scheuchen.

Natürlich übten sich die Protagonisten bislang in Diplomatie, man ist ja Gentleman im Tennis, aber hie und da blitzte schon alte und neu belebte Rivalität durch. Als Lendl, Beckers einstiger Lieblingsfeind, gefragt wurde, wie Murray den Djoker besiegen könne, lächelte er und sprach vergnügt: "Keine Chance - Sie sind ja ein lustiger Mann!" Federer rutschte süffisant heraus, dass er überrascht sei, "ich hätte nicht gedacht, dass Boris so was machen würde".

Becker indes blieb ganz bei sich und meinte, er habe sich schon bei Lendls Verpflichtung durch Murray gefragt, warum erst jetzt frühere Topspieler gefragt würden. Sein Glück demnach: Djokovic hat ihn vom Warten erlöst. Und Edberg? Der schwieg bislang diskret. Vielleicht musste er noch letzte Finanzgeschäfte abwickeln, er verwaltet ja Kapitalanlagen und hält sich gerne im Hintergrund.

Leicht geschwollener Hals

Mit offenen Rechnungen, über die noch nicht offiziell gesprochen wird, dürfte aber auch Edberg zu tun haben, zur Erinnerung: 1985 besiegte der damals 19-Jährige den damaligen Tschechen Lendl (er hat nun die US-Staatsbürgerschaft) im Halbfinale der Australian Open und holte sich seinen ersten Grand-Slam-Titel. 1988 bezwang er überraschend Becker im Wimbledon-Finale, und nachdem diesem 1989 die Revanche gelungen war, drehte er 1990 den Spieß noch einmal um. Lendl, 1989 seinerseits von Becker im US-Open-Finale zerstört, hatte auf Rasen ohnehin in großen Momenten das Nachsehen gegen alle, weshalb sein Hals trotz Dementi sicher noch leicht angeschwollen sein dürfte.

Ja, so ging das damals zu. Alles längst vergessen? Eher ist es so, dass manche Erinnerung erst recht hochkochen wird. Dafür werden schon die Medien sorgen, das Interesse von Presse, Funk und Fernsehen sei noch größer als gewöhnlich, gab die PR-Abteilung zu verstehen.

Dass es Becker indes ernst meint und er sein Engagement nicht in eine seiner Poker-Werbungen einbauen wird, darauf deutet eine erste unübersehbare Verhaltensänderung hin. Becker twittert nicht mehr wie verrückt. Immer öfter sind seine Beiträge sogar verständlich. Seine Kommentatorentätigkeit beim britischen Sender BBC während des Turniers in Wimbledon will er ruhen lassen. Begründung: "Ein bisschen schwanger geht nicht." Dass er sich und seinem Darstellungsdrang aber nicht ganz zu trauen scheint, darauf verweist sein neuester Schachzug. Becker hat einen neuen Manager, der ihn führen soll. Es ist der gleiche Manager, den auch Oliver Pocher beschäftigt.

Solche Mätzchen hat Michael Chang, gerade vom Japaner Kei Nishikori (Weltranglisten-Nr. 17) als Coach verpflichtet, nicht nötig. Er kann die Sache gelassener angehen, er stand nie im Fokus wie Becker. Doch auch er sollte wissen: Gerade eine Person hat eine Rechnung mit dem nun 41-jährigen Amerikaner offen. Als Chang 1989 im Achtelfinale von Paris von Muskelkrämpfen geplagt war, schaufelte er Mondbälle übers Netz und schnibbelte den Aufschlag von unten ins Feld. Sein entnervter Gegner damals: Lendl. Dessen Zähnefletschen bei dieser Vorführung - unvergessen.

Wie twitterte Becker? "Lasst die Spiele beginnen."

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SZ vom 11.01.2014/jkn
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