Start der 47. Bundesliga-Saison:Die Wahrheit auf dem Platz

Die Grundformel der Fußball-Bundesliga: Im Spiel ist immer noch alles möglich und das Publikum steht in fast grenzenloser Loyalität zu den Klubs.

Lothar Müller

Die Tour de France 2009 hat stattgefunden, doch die Anteilnahme der Welt hielt sich in Grenzen. Dem Comeback des Rennfahrers Michael Schumacher applaudieren sogar die Konkurrenten, so sehr schlingert die Formel 1. Und in Argentinien hat der nationale Fußball-Verband den Beginn der Erstliga-Saison verschoben; zu hoch sind die Vereine verschuldet. Die Fußball-Bundesliga beginnt an diesem Wochenende pünktlich. Sie hat keine Absatzprobleme, ihre Manager stehen nicht unter Generalverdacht, und anders als die Volksparteien der Deutschen kennt ihr Volkssport auch keine Loyalitätskrise.

Start der 47. Bundesliga-Saison: Treu zum Klub: Zum Beispiel die Fans des FC Schalke 04.

Treu zum Klub: Zum Beispiel die Fans des FC Schalke 04.

(Foto: Foto: AP)

Der deutsche Fußball hatte schon vor Saisonbeginn seine Vereinskrisen und Trainerhinauswürfe. Insgesamt aber ist er eine Sphäre der Verlässlichkeit, in der schon jetzt feststeht, wer am letzten Spieltag gegen wen spielt, und niemand glaubt, dass zwischendurch, wie bei der Tour de France, ein Team vom Markt verschwinden könnte.

Wer schon einmal eine Alpenetappe der Tour de France samt spektakulärer Bergankunft am Fernsehen verfolgt hat, gewinnt einen Eindruck davon, warum die Achillesferse des Radsports dort, wo er am Rande des Menschenmöglichen agiert, das Doping ist. Für den Fußball gilt dies auch dort nicht, wo er als professioneller Leistungssport betrieben wird und ein Spiel in die Verlängerung geht. Auch er hat seine Dopingkontrollen. Aber seine Achillesferse ist die Verzerrung des physischen Sportgeschehens durch Geld.

Wettbetrug, Schiedsrichterbestechung, Verkauf von Spielen sind sein Blutdoping. Wenn er die Loyalität des Publikums aufs Spiel setzt, dann nicht, weil er chemische Substanzen durch die Körper der Spieler zirkulieren lässt, sondern weil er in spekulativer Absicht Geldströme durch die Konten von Spielern, Vereinen oder Funktionären pumpt. Fußballskandale sind, wenn nicht gerade ein Trainer des Kokainkonsums überführt wird, Finanzskandale.

Dem deutschen Fußball ist es in den vergangenen beiden Jahrzehnten gelungen, die Skandale einzugrenzen, die etwa mit der Aufdeckung von Schiedsrichterbestechungen einhergingen. Und er hat die Loyalitätsrisiken beherrscht, die aus der zunehmenden Kapitalintensität des Fußballs und seiner Durchsetzung mit Elementen der spekulativen Finanzwirtschaft hätten resultieren können.

Charisma schießt keine Tore

Das Grundmisstrauen des kleinen Fans gegen das große Geld ist, wie in der vergangenen Saison die Hassgesänge gegen den Sponsor der TSG Hoffenheim zeigten, nach wie vor abrufbar. Aber längst wirken solche Hassgesänge gegen Investoren anachronistisch und gelten als unfair. Jeder Fan weiß, dass hinter dem Kurzpassspiel auf dem Rasen finanzielle Transaktionen in Größenordnungen stehen, die mit der eigenen Lebenswirklichkeit kontrastieren.

Jeder weiß, dass das Geld, das bei einem millionenschweren Spielertransfer fließt, nur Risikokapital sein kann, weil sich weder Verletzungspech noch Formschwankungen vertraglich ausschließen lassen. Entscheidend dafür, dass der deutsche Fußball trotz aller Klagen über seine Ökonomisierung und mediale Totalvermarktung in keine ernsthafte Loyalitätskrise geriet, ist, dass er, mochten auch einzelne Börsengänge in tristen Aktienkursen enden, insgesamt nie als Blasenbranche und Luftgeschäft in Verdacht geriet, sondern stets Realwirtschaft blieb, mochten einzelnen Manager ihre Vereine auch an den Rand des Ruins getrieben haben.

Kulturphänomen Fußball

Denn anders als das Doping eines Radsportlers, Schwimmers oder Sprinters bedeutet im Fußball eine noch so kräftige Finanzspritze, ein noch so spektakulärer Spielereinkauf nicht verlässlich, dass die Leistungsfähigkeit der Mannschaft steigt, schon gar nicht über eine ganze Saison hinweg.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Mannschaft mit dem geringsten Jahresetat Meister wird. Es ist aber möglich, dass sie die Mannschaft des künftigen Meisters besiegt. Darum ließ sich im Fußball das Misstrauen gegen das Geld als Element der Wettbewerbsverzerrung stets durch den Verweis auf die Unverfügbarkeit des physischen Spielgeschehens beschwichtigen.

"Geld schießt keine Tore" - diese Fußballweisheit wird auch in dieser Saison von Stars wie Franck Ribéry widerlegt werden. Und doch wird sie en gros plausibel bleiben. Denn sie ist nur eine aktuelle Umformulierung jener älteren Fußballweisheit, die lautet: Die Wahrheit ist auf dem Platz. Die Gültigkeit dieses Satzes hat sich in der vergangenen Saison glanzvoll bewährt, als der von vielen prognostizierte Durchmarsch der Münchner Bayern unter ihrem charismatischen Trainer Jürgen Klinsmann unterblieb.

Ja, es kam dadurch eine Variante dieser Weisheit hinzu: Charisma schießt keine Tore. Es scheiterte ja nicht nur Klinsmann, sondern zugleich holte in dem VfL Wolfsburg ausgerechnet eine Werksmannschaft den Titel, die bis dato als Inkarnation des uncharismatischen Fußballs gegolten hatte.

Auf immer treu

"Die Wahrheit ist auf dem Platz" ist die Grundformel für die Selbstbehauptung des Fußballs als Realgeschehen gegenüber allen spekulativen Blasen und allem resonanzverstärkten Mediencharisma. Sie stellt den Fußball an die Seite jener Kulturphänomene, die von der physischen Realpräsenz der Akteure leben wie die Theateraufführung, das Konzert oder der Tanz. Die dichte Bewirtschaftung und Verwertung des Fußballs in den audiovisuellen Medien und im Internet schränken diese Schlüsselstellung des Realgeschehens nicht ein.

Denn dass die Wahrheit auf dem Platz ist, gilt im Fußball gleichermaßen für die Akteure des Spiels und für das Publikum. Sein heißer Kern will leibhaftig am Ort der Wahrheit sein. Dem Boom der Konzerte, der in der Musikbranche den Rückgang der CD-Verkäufe zu kompensieren hat, entsprechen im Fußball der Ausbau, die technische Hochrüstung oder gleich der Neubau attraktiver Stadien.

Einzelne Trainer oder Manager mag das Publikum hier aus dem Amt pfeifen, einzelnen Spielern höhnisch Gehalt gegen Leistung aufrechnen. Ins Stadion aber kehrt es immer wieder zurück. Denn seine Leidensfähigkeit bei Misserfolgen der Vereinsmannschaft ist ausgeprägter als die Geduld mit der Nationalmannschaft, die innerhalb eines kurzen Turniers ihre Sympathien verspielen kann.

Während in der deutschen Politik haltlose Vorverurteilungen gang und gäbe sind, kann ein Fußballstar, der unter dem Verdacht steht, in dubiose Geschäfte verwickelt zu sein, mit Erfolg auf die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung pochen. Und während ein hohes Managergehalt in der deutschen Autoindustrie oder gar im Bankenwesen unter ebenso hohem Legitimationsdruck steht, kann es geschehen, dass deutsche Fußballfans ihr eigenes Scherflein dazu beitragen, dass der teure Transfer eines ihrer Lieblingsspieler zum eigenen Verein möglich wird.

Die Fußball-Bundesliga, die nun wieder angepfiffen wird, ist eine Utopie, von der die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik nur träumen können: Sie ist eine Welt der unausschöpfbaren Loyalitätsressourcen.

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