Stanley Cup Playoffs:Schwächen? Welche Schwächen?

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Mut zur Lücke: Tampa Bay Lightnings Center Yanni Gourde trifft gegen die Montreal Canadiens. (Foto: David Rosenblum/Icon SMI/Imago)

Tampa Bay Lightning eröffnet die Stanley-Cup-Finalserie gegen die Montréal Canadiens mit einem überzeugenden 5:1. Der Trainer der Canadiens fehlte wegen eines positiven Covid-Tests - zum dritten Spiel soll er wieder auf der Bank sitzen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt eine wunderbare Theorie im Sport, der große Box-Philosoph Fritz Sdunek hat sie gerne gepredigt: Man kann an Schwächen arbeiten, gewiss, man kann aber auch die Stärken so stark machen, dass die Schwächen egal sind. Es erfordert Mut und vielleicht auch ein wenig Arroganz, sich das zu trauen; aber was passiert, wenn jemand das in aller Konsequenz durchzieht, war beim ersten Spiel der Stanley-Cup-Finalserie zwischen den Eishockey-Teams Tampa Bay Lightning und Montréal Canadiens zu bestaunen. 5:1 hieß es am Ende für Tampa Bay, und jedes Tor war eine Botschaft des Titelverteidigers an den Herausforderer: Ihr könnt gerne nach Schwächen suchen, wir überrollen euch derweil mit unseren Stärken.

Wenn das Unterzahlspiel der Canadiens das beste der Liga ist, weil sie in 32 Playoff-Situationen nacheinander ohne Gegentreffer blieben - sogar mit zwei eigenen Treffern: Dann schickt Lightning-Trainer Jon Cooper eben beim Power Play im Schlussdrittel fünf Angreifer und keinen Verteidiger aufs Eis: Tor. Wenn in der Ausscheidungsrunde noch kein Team ein Kontertor gegen Montréal schaffte? Dann kontern die Lightnings dennoch und schießen gleich drei Treffer. Als wollten sie den Außenseiter verhöhnen, trafen sie auch noch nach einem Bully im Offensiv-Drittel; die große Stärke der Canadiens, aber auch von Lightning.

Es dauerte sechs Sekunden und drei Pässe, dann hatte Tampa das Tor erzielt

Die Canadiens haben diese Finalserie mit den wenigsten Punkten aller Playoff-Teilnehmer erreicht, weil sie in der Ausscheidungsrunde eine Art Absauger der Stärken ihrer Gegner darstellten. In der ersten Runde haben sie einen 1:3-Rückstand gegen den alten Rivalen Toronto aufgeholt, weil sie die Maple Leafs mit geduldiger Spielweise genervt haben. Den Winnipeg Jets haben sie jegliche Spielfreude genommen, und die Vegas Golden Knight waren am Ende der Halbfinalserie derart verzweifelt, dass es schien, als wollten sie gar nicht mehr aufs Eis. Die Canadiens waren für all diese Teams dieser Gegner, den jeder kennt, der je Sport getrieben hat: der nicht besser ist, aber der einem gewaltig den Spaß und sämtliche Stärken rauben kann. Bevor man merkt, dass all das eine Methode enthält, hat man schon verloren.

Wie gewinnt man gegen den Spielverderber? Man kann grübeln, analysieren, taktieren - oder man handelt wie Jon Cooper: Man spielt, wie man es am besten kann, präsentiert all seine Stärken, von denen Lightning nun wahrlich einige hat: präzises Passspiel, rasant schnelles Umschalten nach Puckgewinn, Effizienz beim Überzahlspiel. Wie das aussieht, war beim ersten Treffer zu sehen. Stürmer Brayden Point stibitzte den Puck im eigenen Drittel und vereitelte eine Chance des Gegners; es dauerte nur sechs Sekunden, dann hatte Tampa Bay mit drei Pässen das Spielfeld überquert und ein Tor erzielt. Das zweite Tor: Puckgewinn im eigenen Drittel, drei Pässe, acht Sekunden, Tor. Dazu noch eine Stärke, die andere Canadiens-Gegner nicht hatten, weshalb sie an Torwart Carey Price verzweifelten. Die Lightnings aber zielten oft absichtlich neben das Tor und hofften auf Abpraller und Abfälscher - wie beim Treffer zum 3:1.

" Ja, die sind gut in Unterzahl, aber wir sind auch gut in Überzahl."

"Wir wissen schon, dass die gerne das neutrale Drittel des Spielfelds dominieren, dass sie aggressiv sein, dass sie nie aufgeben und geduldig auf Chancen warten", sagte Steven Stamkos nach der Partie: "Wir wollen aber schnell spielen, das ist nun mal unser Stil. Das müssen wir nicht ändern, nur weil die gerne den Puck klauen. Wir haben genau das durchgezogen, was wir gut können, 50-55 Minuten lang, wir haben nicht aufgehört, nach vorne zu spielen, haben nicht locker gelassen. Ja, die sind gut in Unterzahl, aber wir sind auch gut in Überzahl." Das klang, als wolle mitteilen: Jetzt habt euch mal nicht so, die Canadiens mögen drei sehr gute Teams besiegt haben - aber sie haben halt noch nicht gegen uns gespielt.

Das freilich führt, nach diesem überzeugenden Sieg im ersten Spiel, zu einer anderen Frage: Wie kann Montréal dieses extrem schnelle und präzise Team besiegen und die erste Meisterschaft nach 28 Jahren gewinnen? Nun, sagen wir es mal so: Die Canadiens haben gegen Toronto 1:5 und 0:4 verloren und die ersten Halbfinal-Partie in Las Vegas mit 1:4. Sie waren bislang in diesen Playoffs stets Außenseiter, und sie haben immer einen Weg gefunden, Stärken des Gegners zu entschärfen. Trainer Dominique Ducharme, der übrigens noch immer ein "Interim" vor der Berufsbezeichnung auf der Visitenkarte trägt, denn er wurde im Februar nach Claude Juliens Entlassung befördert, da glaubten die Canadiens nicht mal mehr an eine Playoff-Teilnahme - dieser Ducharme gilt als Tüftler, der die Gegner selbst während Partien analysiert und dann Strategie und Aufstellung ändert.

Nun wird es interessant: Ducharme fehlt noch wegen eines positiven Covid-Tests, erst zur dritten Partie am Freitag (Spiel zwei findet am Mittwoch statt) darf er zurück auf die Bank der Canadiens. "Es macht mich fertig, nicht bei den Jungs zu sein ", sagt er, aber er sagt auch, und das darf durchaus als Drohung verstanden werden: "Ich sehe nun alles aus einem völlig anderen Blickwinkel. Ich bekomme komplett neue Eindrücke; mit denen werde ich versuchen, unserer Mannschaft dann zu helfen."

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