Süddeutsche Zeitung

Stanley-Cup-Sieger Tampa Bay:Kraft gezogen aus der Blamage

Tampa Bay Lightning löst mit dem Stanley-Cup-Gewinn alle Versprechen ein - nach einer Peinlichkeit in der Vorsaison, die den Klub tief prägte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Was für eine unfassbar langweilige Partie! 2:0 gewann Tampa Bay Lightning gegen die Dallas Stars, es kam sehr routiniert daher. Tampa ist damit Stanley-Cup-Sieger, die Mannschaft hat in den Eishockey-Playoffs in den kanadischen Metropolen Edmonton und Toronto jeden Gegner systematisch zerlegt und kein einziges Mal zwei Partien nacheinander verloren. Wie langweilig - und genau das ist das größte Kompliment, das man diesem Team machen kann.

Tampa war in der vorherigen Saison das mit Abstand erfolgreichste Team der Hauptrunde gewesen, alle Experten prognostizierten den Titelgewinn. Doch dann gewann das Team in der ersten Playoff-Runde gegen die Columbus Blue Jackets keine einzige Partie und schied aus. Es war eine Blamage, die einen Sportler oder einen Klub auf Jahre prägen kann. Tampa jedoch hat daraus eine Kraft gezogen, die der Mannschaft durch die neuneinhalb Wochen in den abgeschirmten Blasen der Eishockey-Profiliga NHL geholfen hat.

"Es gibt ein paar Gesegnete, die so talentiert sind, dass sie schon zu Beginn ihrer Karriere erfolgreich sind", sagte Lightning-Trainer Jon Cooper nach dem Triumph: "Ich glaube aber, dass man gerade in einem Teamsport dieses Gefühl des Versagens braucht, um als Gruppe erfolgreich zu sein. Man geht diesen Weg gemeinsam, man trägt die Wunden als Trophäen, und irgendwann vereinen sich die Angst vorm Verlieren und die Lust aufs Gewinnen." Das brauchte Tampa, in der ersten Playoff-Runde wartete erneut Columbus, gleich die erste Partie dauerte netto 150 Minuten und 27 Sekunden und brutto mehr als sechs Stunden - länger zogen sich in 102 Jahren NHL-Geschichte nur drei Partien.

Die Wut, es allen zeigen zu wollen

In dem Moment, als Stürmer Brayden Point den Puck zum Siegtreffer in die linke obere Ecke schlenzte, schüttelte Tampa die Angst vorm Verlieren ab und hatte nur noch Lust aufs Gewinnen. "Wenn wir diese Partie nicht gewonnen hätten, wären Zweifel in die Köpfe gekrochen, die Erinnerung an die vergangene Saison", sagt Cooper. Nach dem Sieg jedoch habe er seinen Spielern einreden können, wie wichtig es gewesen sei, dass dieses erste Spiel kein Spaziergang war, sondern das Besteigen eines hohen Berges: "Das hat uns die kompletten Playoffs über getragen." Tampa besiegte Columbus und Viertelfinal-Gegner Boston Bruins jeweils 4:1, das Halbfinale gegen die New York Islanders und die Endspiel-Serie endeten jeweils 4:2.

Jon Cooper, seit sieben Jahren Lightning-Trainer, hat seine Philosophie nach der Blamage in der vorigen Saison verändert. Tampa gehörte in den vergangenen fünf Jahren zu den Titelfavoriten, 2015 erreichte das Team die Finalserie, 2016 und 2018 jeweils das Halbfinale. In der vorigen Saison glückten dem Team die meisten Saisonsiege in der NHL-Geschichte, nämlich 62. Zum Triumph reichte es indes nicht, und es gibt ja durchaus Klubs, die dann den Trainer entlassen.

Tampa hielt an Cooper fest und holte lieber zu den Künstlern auf dem Eis ein paar Handwerker wie Pat Maroon, Barclay Goodrow oder Blake Coleman. Es war nun ein wenig langweiliger, was das Team veranstaltete, aber eben auch viel stabiler. Es gab weniger Ergebnisse wie 3:7 (die letzte Partie gegen Columbus 2019), sondern häufig ein 3:2 oder 2:1. Das mischte sich mit dieser Wut, es allen zeigen zu wollen, und dem Selbstbewusstsein, tatsächlich einfach die beste Mannschaft dieser Liga zu sein.

Tampa musste in diesen Playoffs häufiger in die Verlängerung (achtmal) als je ein Team zuvor, gewann allerdings sechs dieser Partien. Das Team musste bis auf zwei Minuten und 37 Sekunden die ganzen Playoffs über auf den verletzten Kapitän Steven Stamkos verzichten - und gewann dennoch. Es wirkte, als würde es alle Versprechen einlösen, die es in den vergangenen fünf Jahren gegeben hat. "Es war wirklich nicht einfach", sagte Stamkos, der trotz der Verletzung beim Team blieb und als Erster den Cup in die Höhe reckte: "Aber es fühlt sich deswegen umso schöner an."

Leon Draisaitl erhielt gleich drei Trophäen

Mit dem Triumph von Tampa endet eine Saison, in der Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers gleich drei Trophäen bekam: die Hart Memorial Trophy als wertvollster Spieler der Hauptrunde, den Ted Lindsay Award für den Besten nach Ansicht der Kollegen und die Art Ross Trophy für den besten Scorer. Dabei werden Tore und Vorlagen zusammengerechnet, Draisaitl schaffte in 71 Partien 43 Treffer und 67 Zuspiele. Es war aber auch eine Spielzeit, deren Fortsetzung aufgrund der Corona-Pandemie kritisch betrachtet wurde. Letztlich lässt sich feststellen: In den mehr als neun Wochen hatte es 33 174 Tests und keinen einzigen positiven Fall gegeben.

Die Tradition verlangt seit mindestens 1896, dass das siegreiche Team aus der Schüssel Champagner schlürft und den Klubbesitzer mit dem Getränk duscht. Wegen der Pandemie war Lightning-Eigner Jeffrey Vinik jedoch nicht am Ort, er gratulierte lediglich per Video-Botschaft. Wie langweilig!

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SZ vom 30.09.2020/ebc
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