Triumph der St. Louis Blues:Im Januar waren sie noch Letzter

St. Louis Blues feiert den Stanley Cup 2019

Die St. Louis Blues nach ihrem Titelgewinn.

(Foto: AFP)
  • Die St. Louis Blues gewinnen zum ersten Mal den Stanley Cup.
  • Im siebten Spiel der Final-Serie siegt die Eishockeymannschaft aus Missouri mit 4:1 gegen die Boston Bruins.
  • Das Team kam mit dem Ansatz, die Dinge einfach zu halten, zum Erfolg.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die St. Louis Blues haben den Stanley Cup gewonnen. Natürlich gibt es kaum einen öderen Satz als jenen, der lediglich das reine Ergebnis einer Sportveranstaltung beinhaltet. Betrachtet man jedoch die Saison dieser Franchise, die seit der Gründung vor 52 Jahren noch nie einen Titel gewonnen und nach einem Drittel der regulären Spielzeit die wenigsten Punkte der nordamerikanischen Eishockeyliga NHL besessen hatte, dann wird deutlich, dass es kaum einen unerhörteren, unfassbareren und spektakuläreren Satz geben kann als diesen hier: Die St. Louis Blues haben den Stanley Cup gewonnen.

Wer verstehen möchte, wie die Blues das geschafft haben, der sollte den ersten Abschnitt der entscheidenden Partie gegen die Boston Bruins am Mittwochabend betrachten. Die Bruins bestimmten in eigener Halle das Geschehen auf dem Eis, sie spielten die Blues schwindlig und kreierten zahlreiche Torchancen. Die Zahlen belegen das, am Ende des Drittels lautete die Schussbilanz: 12:4 für Boston. Torchancen: 9:2. Spielstand allerdings: 0:2, und die Blues hatten sich diese Treffer eher erarbeitet denn erspielt, sie fielen nach Puck-Eroberung im gegnerischen Spieldrittel und nach einem Konter unter Zuhilfenahme eines schlafmützigen Wechselfehlers der Bruins.

"Wir versuchen, die Dinge so einfach wie möglich zu gestalten: verteidigen, Puck nach vorne schießen, hinterherlaufen", sagte Craig Berube während des ersten Spielabschnitts zum TV-Sender NBC. Er ist noch immer nur Interimstrainer, nach der Entlassung von Mike Yeo nach schrecklichem Saisonstart hatten die Verantwortlichen ihren Wunschkandidaten Joel Quenneville nicht bekommen und deshalb Berube befördert, um die verloren geglaubte Saison ehrenvoll zu Ende zu bringen und danach einen neuen Cheftrainer zu verpflichten. Es folgten zunächst einmal noch schlimmere Zeiten: Im Dezember prügelten sich Robert Bortuzzo und Zach Stanford im Training, drei Wochen später folgte der Absturz ans Tabellenende.

Schon in der ersten Playoff-Runde scheiterten viele Favoriten

"Ich weiß nicht, ob wir jetzt hier wären, wenn wir im Januar nicht ganz unten gewesen wären", sagt Berube nun. Sie hatten damals, weil es eh schon egal war, den 25 Jahre alten Torwart Jordan Binnington vom Nachwuchsteam aus San Antonio in den Profikader geholt, um ihn auf spätere NHL-Einsätze vorzubereiten. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte: In seiner ersten Partie blieb Binnington ohne Gegentor, mit ihm zwischen den Pfosten schafften die Blues eine Bilanz von 25 Siegen bei nur fünf Niederlagen und einem Unentschieden, sie stellten einen Vereinsrekord für die meisten Erfolge nacheinander auf (elf) und qualifizierten sich tatsächlich für die Playoffs.

Was dann passierte, waren Überraschungen - die einen in der NHL allerdings nicht überraschen sollten: Zum ersten Mal in der Geschichte scheiterten beide Finalteilnehmer der Vorsaison (Vegas Golden Knights und Washington Capitals) sowie die Gewinner der vier Divisionen, aus denen sich die NHL zusammensetzt, bereits in der ersten Runde. Tampa Bay Lightning, die mit Abstand erfolgreichste Mannschaft der regulären Spielzeit, gelang nicht ein Sieg in der Best-of-seven-Serie. Barry Trotz, der sich nach der Meisterschaft mit den Washington Capitals in der vergangenen Saison nicht auf einen neuen Vertrag hatte einigen können und Trainer bei den New York Islanders wurde, sagte deshalb: "Mich überrascht nichts mehr, weil ich weiß, dass mich ohnehin alles überraschen wird."

Die NHL ist aufgrund von Gehaltsobergrenze (in dieser Saison bei 83 Millionen Dollar pro Team) und Gehaltsuntergrenze (58,8 Millionen Dollar) sowie den Regeln bei der Wahl der talentierten Nachwuchsspieler eine ohnehin sehr ausgeglichene Liga. Rechnet man die Rekordsaison von Tampa Bay (62 Siege) heraus, dann betrug nach 82 Spielen der Abstand zwischen dem Playoff-Teilnehmer mit der zweitbesten (Calgary Flames, 107) und dem mit der schlechtesten Bilanz (Colorado Avalanche, 90) gerade mal 17 Punkte.

In der Kabine lief stets der 80er-Jahre-Hit "Gloria" von Laura Branigan

Es geht in den Playoffs nicht mehr um möglichst viele Punkte gegen 30 verschiedene Gegner, sondern nur noch um vier Erfolge in Best-of-seven-Serien gegen jeweils eine Mannschaft, es entscheiden oftmals Kleinigkeiten, die dann gar nicht mal so viel damit zu tun haben, ob sich einer besonders geschmeidig über das Eis bewegt oder den Puck besonders hart schießen kann. "Ich glaube, dass vor dem Ende der Wechselfrist am 25. Februar einige Spieler große Angst hatten, fortgeschickt oder gar entlassen zu werden - darunter auch ich", sagte Kapitän Alex Pietrangelo: "Das ist nicht passiert, und das hat uns als Gruppe stärker werden lassen."

Sie zelebrierten dieses Image der Outsider mit den grauen Bärten (das Durchschnittsalter der Blues liegt bei knapp 28 Jahren), die in den Playoffs aber so was von nichts verloren hatten. In der Kabine lief stets der 80er-Jahre-Hit "Gloria" von Laura Branigan, nach einer durchzechten Nacht im Januar angesichts der schlechtesten Bilanz die inoffizielle Vereinshymne, und sie hielten sich an das Credo von Interimstrainer Berube, die Dinge möglichst einfach zu halten: Die Spielweise der Blues erinnerte bisweilen an eine Mischung aus britisch-rustikalem Kick-and-Rush-Fußball und dem unvergessenen Satz des Fußball-Philosophen Rolf Rüssmann: "Wenn wir schon nicht gewinnen, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt."

Die Blues ließen kaum eine Gelegenheit aus, ihre Gegner gepflegt (und bisweilen unerlaubt hart) vom Eis zu subtrahieren, sie wählten simple Spielzüge, und natürlich wussten sie, dass sie im Tor einen hatten, der den Bruins irgendwann vorgekommen sein muss wie ein Walross mit Oktopus-Tentakeln. Im entscheidenden siebten Spiel hielt Binnington die ersten 32 Schüsse, die auf sein Tor kamen, im dritten Spielabschnitt verhinderte er den Anschlusstreffer mit einer Bewegung, die einem Bodenturner zur Ehre gereicht: Er lag bereits geschlagen auf dem Bauch, streckte sein rechtes Bein jedoch irgendwie nach hinten und stoppte den Puck.

Am Ende einer Playoff-Serie, so verlangt es eine 115 Jahre alte Tradition in dieser Sportart, da begegnen sich die Kontrahenten auf dem Eis und schütteln einander die Hände. Die Sieger an diesem Abend wurden angeführt von einem Torwart, der noch vor wenigen Monaten bei einem zweitklassigen Team gespielt hatte. Den Stanley Cup reckte ein Kapitän in die Höhe, der im Februar noch heißer Kandidat für ein Tauschgeschäft mit einem anderen Verein gewesen war - und in der Umkleidekabine lief danach "Gloria" von Laura Branigan. Deshalb, weil es einem sonst keiner glaubt: Die St. Louis Blues haben den Stanley Cup gewonnen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Stanley-Cup-Gewinner 2018 fälschlicherweise als Washington Nationals bezeichnet. Der Vorjahressieger waren jedoch die Washington Capitals; die Nationals sind ein Baseball-Team.

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