Stallorder in der Formel 1:"Lass Michael vorbei, tu es für die Weltmeisterschaft"

schumacher

"Lass Michael vorbei, tu es für die Weltmeisterschaft!": 2001 funkte Ferrari-Chef Jean Todt beim Rennen in Spielberg den Klassiker aller Stallorders und lotste Schumacher (vorne) vorbei an dem Dienstwagen von Rubens Barrichello.

(Foto: Hoch zwei/imago)
  • Die Formel 1 feiert Mercedes nach dem Rennen in Ungarn als moralischen Sieger, weil das Team eine Stallorder korrigierte und Lewis Hamilton drei Punkte nahm.
  • Bei Ferrari ist so etwas undenkbar. Da steht der Mensch bei der Erfolgsrechnung immer hinter der Marke.

Von Elmar Brümmer, Budapest

RTL-Moderator Florian König hatte sich die Zitate, die Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff über den Verzicht auf eine Stallregie vor dem Großen Preis von Ungarn in das Sendermikrofon gesprochen hatte ("Zu früh"), schon abtippen lassen, um seinen Gesprächspartner nach Ende des Rennens damit zu konfrontieren. Nachdem Titelkandidat Lewis Hamilton seinem Teamkollegen Valtteri Bottas aber kurz vor dem Zielstrich den dritten Platz wieder zurückgegeben hatte, war das Beweispapier wertlos. Während Sebastian Vettel seinen vierten Saisonsieg mit dem bedröppelten, da zum Bremsklotz verdonnerten Adjutanten Kimi Räikkönen begoss, feiert die Formel 1 den Mercedes-Rennstall als eine Art moralischen Sieger. Seither gibt es eine neue Debatte in der Formel 1: Wie viel Stallorder darf sein?

Dass Ferrari alle Ressourcen für einen Titelkandidaten bündelt, das war schon immer so. Auch der heutige Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda hatte das Prinzip genossen, weshalb der Österreicher auch innerhalb der Silberpfeil-Fraktion als derjenige gilt, der im Zweifel für die Stallregie stimmt. Sein Partner Wolff setzt eher auf Ausgeglichenheit, durchaus im Wissen darüber, zu was das führen kann: drei Katz-und-Maus-Jahre mit Lewis Hamilton und Nico Rosberg haben ihn das gelehrt.

Die drei Punkte könnten am Ende fehlen

Wolff ahnt, dass er die steile Karriere, die der Mercedes-Neuling Valtteri Bottas in der ersten Saisonhälfte hingelegt hat, durch eine strikte Teamorder nachhaltig beschädigen würde: "Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht naiv, aber diese Fairness hat uns drei Titel gewinnen lassen und wird uns auch noch weitere Titel bescheren. Die drei Punkte könnten uns am Ende fehlen. Aber manchmal ist es wichtiger, zu seinen Werten zu stehen." Es sind noch neun Rennen zu fahren, da muss das Betriebsklima stimmen. Trotzdem glaubt Red-Bull-Teamchef Christian Horner, der dreimal mit einem Nummer-Eins-Fahrer Vettel den Titel verteidigen konnte: "Irgendwann müssen sie auf das Pferd setzten, das um die Weltmeisterschaft laufen soll."

Verboten ist der Eingriff in die Reihenfolge des eigenen Rennstalls laut Reglement nicht mehr. Die Formel 1 ist eine Mannschaftssportart mit zwei Protagonisten pro Team. Das wird nur - anders als bei der Tour de France, wo die Konzentration auf den Einen viel ausgeprägter ist - nicht so wahrgenommen. Entsprechend groß sind immer noch die Diskussionen, wenn vom Kommandostand aus der Platztausch befohlen wird. Außer bei Ferrari. Da steht der Mensch bei der Erfolgsrechnung immer hinter der Marke. Wer in das strenge Gesicht von Fiat-Chef Sergio Marchionne blickt, das selbst beim Doppelerfolg auf dem Hungaroring nicht mildere Züge annehmen wollte, der begreift sofort: Der Titel in diesem Jahr ist Pflicht.

"Ich habe auf mein Herz gehört und es fürs Team getan"

Gegen die Arithmetik von Scuderia-Teamchef Maurizio Arrivabene ist rein rechnerisch auch nichts zu sagen. Sebastian Vettel, der nach vier sieglosen Rennen in der WM nur noch einen Zähler Vorsprung auf Lewis Hamilton hatte, ging mit 79 Punkten Vorsprung auf Kimi Räikkönen ins Rennen, bei Mercedes waren es zwischen Hamilton und Bottas nur 22 Zähler. Damit war schon vorher klar, dass der eine Finne keine echte Chance mehr auf den Titel hatte, der andere aber schon. Mercedes hat für Situationen, in denen beide Piloten noch realistische Titelhoffnungen haben, einen Ehrenkodex: Plätze werden nur getauscht, wenn der hintere Fahrer im Rennen schneller ist und die Chance hat, mehr Positionen gut zu machen. Ansonsten wird zurückgetauscht.

Exakt das wurde in der letzten Kurve exerziert, nachdem Bottas den drückenden Hamilton mit einem strategischen Verbremser vorbeigelassen hatte. "Ich habe auf mein Herz gehört und es fürs Team getan", erklärte Hamilton, "ich möchte den Titel auf die richtige Weise gewinnen. Keine Ahnung, ob ich damit auf den Hintern falle." Bottas, in anderen Rennställen groß geworden, wirkte fast ein wenig irritiert: "Ich bin dem Team und Lewis zu Dank verpflichtet, sie haben ihr Versprechen eingelöst." Respekt.

Bei Ferrari gab es kein Erbarmen

Zweimal fünf Runden Überholfenster hatten die Mercedes-Strategen Hamilton eingeräumt, aber gegen die Catenaccio-Taktik der Italiener auf der Rennstrecke kam er nicht an. Kimi Räikkönen hat damit seine Rolle als Leibwächter erfüllt. Sie machte ihn wenig froh, denn auch er war schneller als der mit seiner krummen Lenkung kämpfende Vettel, wurde dazu noch durch einen zu frühen Boxenstopp gehandicapt: "Warum setzt ihr mich so unter Druck", plärrte er ins Helmmikrofon. Aber bei Ferrari gab es kein Erbarmen, Räikkönen musste Bremsklotz bleiben. Seine Wiedergutmachung wird wohl die Vertragsverlängerung um sein - schon in Monte Carlo hatte die Firmenpolitik ihn den Sieg gekostet. Dementsprechend wertet Ferraris Rennstallchef Arrivabene den Auftritt seiner Truppe: "Das zeigt wieder einmal die Charakterstärke von Ferrari." Findet auch Vettel, der jetzt wieder mit 14 Punkten führt: "Das Ergebnis zählt."

Mercedes nimmt für sich hingegen in Anspruch, das erste Team mit Titelchancen zu sein, das einen Platz zurücktauscht. Die Liste der Gegenbeispiele ist in der Tat länger - und wird von Ferrari angeführt. 2001 in Österreich hatte Jean Todt den Schumacher-Adjutanten Rubens Barrichello zurückgebrüllt: "Lass Michael vorbei, tu es für die Weltmeisterschaft!"

Als sich die Szene im Jahr drauf wiederholte, war es selbst Schumi peinlich. Er zog seinen Kollegen auf die oberste Podeststufe, sie tauschten die Pokale. Nur dieser Protokollfehler gab dem Automobilweltverband die Chance, 500 000 Dollar Strafe auszusprechen. Der kurioseste Rücktausch aber stammt aus der Mercedes-Historie, als Mika Häkkinen 1998, in Führung liegend, zum Reifenwechsel kam, an der McLaren-Box aber keine Mechaniker standen. Deshalb wurde Teamkollege David Coulthard angewiesen, die Position an den Finnen zurückzugeben. Der Schotte diskutierte lange, und tat es erst, als ihm die volle Siegprämie für Platz zwei zugestanden wurde - angeblich eine Million Dollar.

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