Süddeutsche Zeitung

Staffel bei der Biathlon-WM:Fünf Pointen am Ende

Zuletzt wurden die deutschen Männer bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Nove Mesto noch verkohlt, weil sie so schrecklich geschossen hatten. Bei der Staffel schaffen sie dann beinahe eine perfekte Leistung - und gewinnen Bronze hinter Norwegen und Frankreich.

Von Jürgen Schmieder

In Nove Mesto erzählen sich die Menschen in diesen Tagen eine witzige Anekdote: Selbst die Rehe würden sich wieder aus den böhmischen Wäldern trauen, wenn sie bemerken würden, dass die deutschen Biathlon-Männer unterwegs sind - denn so, wie die mit ihren Gewehren umgehen, drohe nicht einmal dem größten Getier Gefahr.

Bei der Staffel am Samstag sah es lange Zeit so aus, als könnten die deutschen Männer den Witz umschreiben mit einer Pointe, die nicht die anderen, sondern sie selbst zum Lachen bringen würde. 35 von 35 Schüsse trafen sie und lagen hinter Norwegen auf Platz zwei - doch dann schoss Erik Lesser fünf Mal daneben und rettete gerade noch die Bronzemedaille hinter Norwegen und Russland.

"Ich habe keinen Druck verspürt, das war einfach Unvermögen", sagte Lesser danach, "ich weiß nicht, warum ich die Dinger daneben schieße. Man kann sich natürlich über die Bronzemedaille freuen, aber ich brauche noch ein bisschen"

Keine Medaille hatten die Männer bei den Wettbewerben zuvor geholt, in den drei Einzelrennen hatten sie sich bei 200 Schüssen insgesamt 29 Fehler geleistet - das war freilich zu viel, um eine Medaille gewinnen zu können. Vor der Staffel sagte deshalb Arnd Peiffer: "Wir müssen am Stand gut arbeiten und uns richtig kräftig zusammenreißen, damit wir eine Chance haben."

Die Favoriten in diesem Rennen über 4 x 7,5 Kilometer waren die Mannschaften aus Norwegen, Russland und Frankreich, deren Trefferquote bislang deutlich besser war als die der Deutschen. "Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, nicht unbedingt in der Favoritenrolle zu stecken. Dass wir ganz einfach lockerer in das Rennen gehen, mit gedämpfteren Erwartungen", sagte Andreas Birnbacher.

Die Trainer Mark Kirchner und Fritz Fischer hatten das Team vor dem Start ordentlich durcheinandergewürfelt: Simon Schempp sollte beginnen, Andreas Birnbacher und Arnd Peiffer folgen - als Schlussläufer hatten sie überraschend Erik Lesser nominiert. "Wenn man am Anfang nicht vorne dabei ist, dann hat man keine Chance. Der Sichtkontakt ist wichtig", begründete Chefbundestrainer Uwe Müssiggang die Entscheidung seiner beiden Kollegen, die starken Läufer früh auf die Strecke zu schicken.

"Es gibt keine Taktik", sagte Kirchner direkt vor dem Rennen, "einfach vorne mitlaufen und gut schießen." Dann sah er hinüber auf die Rennstrecke - und sah, wie Simon Schempp vorne mitlief, dann musste er schießen: fünf von fünf! Beim zweiten Schießen: fünf von fünf! Da dürfte sich das Getier im böhmischen Wald erst einmal verwundert die Augen gerieben haben.

Schempp übergab als Erster mit einem Vorsprung von vier Sekunden auf die Konkurrenz an Andreas Birnbacher. Der musste nun nicht vorne mitlaufen, sondern vorneweglaufen - und wurde von Fritz Fischer angefeuert: "Freu' Dich auf den Wettkampf, freu' Dich aufs Schießen!"

Birnbacher schoss: fünf von fünf! Er schoss wieder: fünf von fünf! Einen Elch hörte man nicht mehr röhren, auch einen Witz erzählte niemand mehr. "Sensationelles Rennen bisher", sagte Birnbacher direkt nach seinem Lauf, "aber das Zuschauen wird jetzt schlimmer als das Laufen."

Norwegen und Deutschland übergaben gleichzeitig, Russland und Österreich hatten beim Wechsel bereits neun und 23 Sekunden Rückstand - eine Medaille schien möglich für die deutsche Mannschaft. Arnd Peiffer blieb in der Spitzengruppe und schoss: fünf von fünf und fünf von fünf. Gerüchten zufolge waren einige Rehe auf der Flucht - so wie die Norweger vor dem Rest des Teilnehmerfeldes: Beim letzten Wechsel hatten sie 16 Sekunden Vorsprung auf Deutschland und mehr als eine Minute auf die restlichen Verfolger.

Es lag nun also an Erik Lesser, der überraschend nominiert worden war und der nach dem Weltcup in Ruhpolding gesagt hatte, dass er ein wenig Probleme habe, ein Rennen bis zuletzt mit hohem Tempo zu fahren. Er lief gegen Emil Hegle Svendsen aus Norwegen und den Franzosen Martin Fourcade - die bislang stärksten Athleten bei dieser WM.

Eine Chance auf Gold, das schien klar, würde Lesser nicht mehr haben - doch es bot sich die Chance auf den Gewinn der Silbermedaille. Beim ersten Schießen: fünf von fünf! Und dann: fünf Fehlschüsse! Zwei Strafrunden! Norwegen war weg, der Vorsprung auf die Verfolger betrug gerade einmal ein paar Sekunden. Nun musste Lesser laufen. Schnell laufen.

Lesser lief schnell, doch Fourcade konnte ihn auf den letzten Metern noch einholen. Am Ende reichte es zur Bronzemedaille. "Erik hat die Verantwortung übernommen, als Letzter zu laufen", sagte Peiffer danach, "er hat gegen die stärksten Athleten Bronze verteidigt, deshalb freuen wir uns über Bronze."

Sie lachten dann doch, die deutschen Biathleten. Nicht über einen Witz, sondern über ihre Leistung und über die verdiente Bronzemedaille.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1602087
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/mane/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.