Süddeutsche Zeitung

Stadionverbote für Fußballfans:Aus der Kurve geflogen

  • Das Bundesverfassungsgericht hält bundesweite Stadionverbote für zulässig.
  • Es weist eine Beschwerde eines FC-Bayern-Fans ab.
  • Als Begründung für ein Stadionverbot genüge bereits die Gefahr, dass es künftig wieder zu Störungen durch den Betroffenen komme.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seit die Vereine in den Neunzigerjahren damit begonnen haben, auf die schlimmsten Auswüchse am Rande des Profifußballs mit Stadionverboten gegen gewaltbereite Fans zu reagieren, gibt es darüber Streit. Dürfen Vereine das - und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Nun hat das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort gesprochen: Bundesweite Stadionverbote sind zulässig, und zwar auch dann, wenn dem Ausschluss keine rechtskräftig festgestellte Straftat des Fans vorausgegangen ist.

Das Uraltverfahren geht zurück auf ein Spiel von Bayern München in Duisburg im Jahr 2006 - der MSV hatte es gerade mal wieder in die erste Liga geschafft, wenn auch nur für kurze Zeit. Nach Spielende kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Duisburger Anhängern und etwa 80 Fans aus den Reihen der "Schickeria", also der notorischen Münchner "Ultra"-Szene. Es gab mindestens einen Verletzten, ein beschädigtes Auto - und eine Polizeiaktion, bei der 50 Personen in Gewahrsam genommen wurden. Auch der damals 16-jährige Kläger gehörte dazu, dies trug ihm ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs ein, das aber später wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde. Also kein Urteil und kein Nachweis einer Straftat - trotzdem wurde er für zwei Jahre bundesweit für alle Stadien gesperrt.

Es gilt das Gebot der Gleichbehandlung beim Zugang zum Stadion

Das Bundesverfassungsgericht hat seine Beschwerde nun abgewiesen, wie zuvor bereits der Bundesgerichtshof. Nach dem Beschluss der Karlsruher Richter ist den Vereinen zwar ein willkürlicher Ausschluss unter Berufung auf das Hausrecht verboten - notwendig sei ein "sachlicher Grund". Aber als Begründung für ein Verbot genüge bereits die Gefahr, dass es künftig wieder zu Störungen komme. An diese Prognose dürfe man keine überhöhten Anforderungen stellen, weil solche Großveranstaltungen nun mal besonderen Risiken ausgesetzt seien. Im konkreten Fall hielt das Gericht die Annahme einer solchen Gefahr für nachvollziehbar, auch deshalb, weil sich der Fan im gewalttätigen Umfeld bewegt habe.

Anders ausgedrückt: Trotz des Hausrechts der Vereine gilt für sie das Gebot der Gleichbehandlung beim Zugang zum Stadion. Sie können sich nicht darauf herausreden, dass dies eine Privatveranstaltung sei. Das heißt nicht, dass jeder rein darf. Aber es muss nachvollziehbare Gründe für ein Stadionverbot geben, sowie ein korrektes Verfahren, auf dessen Grundlage es verhängt wird.

Spätestens an dieser Stelle weiß jeder Jurastudent, dass hier das Lüth-Urteil von 1958 anklingt, die vielleicht wichtigste Entscheidung in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Damals ging es um den aufrechten Hamburger Senatsdirektor Erich Lüth, der wegen seines Boykottaufrufs gegen einen Film des Nazi-Regisseurs Veit Harlan verurteilt worden war. Karlsruhe kassierte das Urteil wegen Verletzung der Meinungsfreiheit. Seit damals weiß man, dass Grundrechte in alle Paragrafen hineinleuchten und ihnen den Geist des Grundgesetzes einhauchen. Grundrechte gelten nicht nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger, sie entfalten auch Wirkung auf das Verhältnis privater Akteure untereinander - zum Beispiel zwischen Fan und Verein. Dass die Verfassung eine "objektive Wertordnung" ist, das ist mithin nicht nur eine Floskel für Festreden. Das Grundgesetz gilt auch für die Südkurve.

Das Urteil strahlt ab auf Digitalkonzerne wie Facebook

Und diese Idee hat das Gericht nun konkretisiert. Wer eine Veranstaltung einem großen Publikum öffnet, die "für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet", der darf nicht nach Belieben Einzelne ausschließen, sondern muss den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten. Und dann folgt der Satz, der den Leser ins Grübeln bringt: "Er darf seine hier aus dem Hausrecht - so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit - resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen."

Strukturelle Überlegenheit? Monopol? Es fällt schwer, bei solchen Begriffen nicht an Giganten wie Facebook zu denken. Und tatsächlich dürfte hier, sozusagen in Parenthese, eine höchstrichterliche Botschaft an jene Digitalmonopolisten enthalten sein, die für die gesellschaftliche Kommunikation so wichtig geworden sind: Wer öffentliche Räume öffnet und diese zugleich dominiert, der hat eine besondere rechtliche Verantwortung - es gilt Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung, Minderheitenschutz. Und der Rest des Grundgesetzes, mit schönen Grüßen aus der Südkurve.

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SZ vom 28.04.2018/jki
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