Stadionbesuch beim Confed Cup:Gewehre, Gefuchtel, Geschrei

A general view of the Estadio Castelao during the Confederations Cup Group A soccer match between Brazil and Mexico in Fortaleza

Estadio Castelao: Ufo in Sicht

(Foto: REUTERS)

Das Stadion "Castelão" in Brasilien steht am Rande einer Favela, in einer abtrünnigen Gegend. Heil hinein zu finden ist ein Kraftakt. Ein Erlebnisbericht vom Confed Cup in Brasilien.

Von Thomas Kistner, Fortaleza

Die Favela "Mata Galinha", frei übersetzt: "Totes Huhn", liegt weit weg von Fortalezas palmenumwehten Stadtstränden Mucuripe und Meireles. Trotzdem hat das tote Huhn etwas zu bieten: Ein Ufo ist am Rande der Favela gelandet. Es ist von absurder Dimension, beherbergt 65 000 Sitze, Aufzüge über vier Stockwerke, gläserne Luxuslogen und nennt sich Stadion "Castelão". Das Ufo ist so gewaltig, dass es sogar auf das Meer vor Mucuripe und Meireles zugreift; aber dazu später.

Wie man in so ein Ufo gelangt? Wer schon vormittags mit dem Shuttle-Dienst des Confed Cups losfuhr, verbrachte vier Stunden in einem Bus, der ums Ufo kreiste, bis ihm der Schutzring der Nationalgarde endlich Durchschlupf gewährte. Zehntausende Protestler gingen hier auf die Barrikaden, denn auch die Nordestinos fragen sich, was so ein Trumm bei ihnen soll.

Wer später losfuhr - im Wissen, dass die Regierung die Verkehrsprobleme hier mit dem Trick löst, Spieltage zu Feiertagen zu erklären - der freute sich, dass sein Plan aufzugehen schien: Freie Fahrt mit dem letzten Kleinbus, ruckzuck kommt das Ufo in Sichtweite. Aber dann: Polizeisperre. Passieren verboten.

Der Busfahrer telefoniert, flucht, er lässt sich etwas einfallen. Rauf auf den Highway, schnell wieder runter, dann kreuzt und rumpelt er durch eine abbruchreife Gegend. Bis ein Menschenstrom den Weg versperrt. Aussteigen, sagt er, dort drüben sieht man ja schon das Stadion. Dann fährt der Bus schnell weg. Und der Gast steht in Mata Galinha.

Es gibt keine Taxis in der Favela. Nur viele Gassen. Bleibt also nur der Weg nach vorne, auf der neu asphaltierten Straße Richtung Ufo, es ist ja nicht weit. Rein in die Menge, die überwiegend friedlich demonstriert, aber hin und wieder von Vermummten und Krakeelern auf Trab gebracht wird. Und von den Knallkörpern, die ständig irgendwo detonieren; dunkler Qualm steigt auf, manchen ergreift Panik, Leute rennen andere Leute über den Haufen. Am Himmel knattern Helikopter, dick wattierte Militärpolizisten beugen sich raus. Und die breite Straße hier, die zum Ufo führt, ist bald brechend voll. Aber vorne, ganz da vorne scheint die Versammlung endlich zu enden.

Im nächsten Abschnitt schreien und skandieren die Menschen, es rummst und raucht. Längst hat der versprengte Stadiongänger seine Akkreditierung unters T-Shirt gesteckt; sich hier als Gast der "Copa" zu präsentieren, dürfte nicht bei jedem gut ankommen. Wellblechhütten und unverputzte Ziegelsteinbauten grenzen den Weg ein, wer hier haust, verfolgt das Spektakel von Dächern und Balkonen aus. Drinnen laufen Fernseher, gleich beginnt das Spiel.

Dahinter grüßt das Ufo

Draußen wird es enger, man zwängt sich mühsam durch das Gedränge. Nur junge Männer sind hier noch unterwegs, immer mehr davon vermummt. Brandgeruch macht sich breit. Aber dann, endlich, öffnet sich dieser freie Raum, helfende Hände schieben einen vorwärts - an die Grenze von Niemandsland. Niemandsland ist ein 20 Meter breiter Straßenabschnitt, den links und rechts die Ziegelmauern abriegeln und gegenüber die Soldaten der Nationalgarde. Die Visiere unterm Helm geschlossen, Schilder, Knüppel, Gewehre. Dahinter grüßt das Ufo.

Der Gast bewegt sich seitlich zur Hauswand. Die Gegenüber registrieren jede Bewegung. Jetzt ein Schritt vor, noch einer . . . "Halt!" gellt es von vorne. Dann die Eingebung: Die Akkreditierung steckt unterm Hemd, die wird die Sache doch klären? Ein Griff von oben ins T-Shirt - schon geht der Schilderwald gegenüber in Stellung; Gewehre, Gefuchtel, Geschrei. Und jetzt? Es braucht eine Ewigkeit, bis das Plastikding zum Vorschein kommt. Nie mehr mit T-Shirt in ein Stadion der Copa! Zwei Polizisten winken einen rüber. Zeit für ein kleines Stoßgebet, dass der Überläufer jetzt nicht von hinten attackiert wird. Es geht gut. Und zehn Minuten später verschluckt einen das Ufo in seinem gewaltigen Schlund.

Was dieses Ufo hier sucht? Man muss das die Politiker fragen, die in den Luxuslogen die Puppen tanzen lassen. Sie haben das Ufo mit Hunderten Millionen Reais gefüttert und dabei ignoriert, dass es im strukturschwachen Nordosten ganz andere Probleme gibt. Etwa das mit der Kanalisation: Leider war kein Geld mehr da, um neue Rohre zu installieren. Deshalb landet der Unrat direkt im Meer. So verschmutzt ist das Wasser, dass die Nordestinos ihre Traumstrände Mucuripe oder Meireles nicht mehr zum Schwimmen nutzen können: Baden verboten.

Fast möchte man auf die Straße gehen.

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