Stadion an der Schleißheimerstraße:Gemeinsam Abstand halten

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Ruhe vor der Brise: Holger Britzius und Michael Jachan (v. l.) bereiten sich auf ihre Gäste vor, auch wenn nur noch rund ein Fünftel von ihnen rein darf. (Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Spiele ohne Fans? "Käse", finden die Wirte der bekanntesten Fußballkneipe Münchens. Sie haben nun wieder geöffnet, mit Dortmund gegen Bayern, rund 30 Gästen - und "Respekt" statt Vorfreude.

Von Sebastian Fischer

Wenn Dortmund gegen Bayern spielt, dann ist das im Stadion an der Schleißheimerstraße normalerweise ein Feiertag. Oft kommen Kamerateams in Münchens bekannteste Fußballkneipe, um die Stimmung festzuhalten. Nirgends sonst gibt es schließlich so schöne Bilder mit Fans vor Wänden voller Fußballschätze, Trikots, Jeanskutten und Wimpel. Wenn Dortmund gegen Bayern spielt, dann ist der Laden eigentlich mit 150 Gästen voll, mehr als 1000 müssen die Wirte Holger Britzius und Michael Jachan manchmal absagen. Doch diesmal, sagen sie, haben sie statt Vorfreude "Respekt". Ausgelassene Stimmung? "Schwierig."

Seit Mitte Mai laufen in Deutschland wieder Bundesligaspiele im Fernsehen, aber das heißt nicht, dass sie überall gezeigt wurden, wo sonst die Menschen dafür zusammenkommen. Zwar schauten manche Fans vom BVB und Schalke unter Einhaltung der Sicherheitsabstände schon am ersten Spieltag nach der Corona-Pause das Revierderby in den Kneipen, in Nordrhein-Westfalen ist Gastronomiebetrieb schon länger wieder möglich. Und in Berlin wurde am Freitag doch niemand nach 75 Minuten zwischen Hertha und Union aus den Restaurants geschmissen - das war vorher befürchtet worden, weil den Auflagen zufolge alles um 22 Uhr zu sein muss.

Ihr Lageplan mit allen Sitzen sieht aus wie eine Aufstellung mit Viererkette und zwei Stürmern

In Bayern dürfen Wirte die Innenbereiche ihrer Restaurants, ebenfalls bis 22 Uhr, allerdings erst seit dieser Woche öffnen. Das Topspiel am Dienstag um 18.30 Uhr ist also die erste Live-Partie nach der Pause. Britzius sagt: "Du kommst aus der Fastenzeit, hättest gern ein kleines Radler - und bekommst eine Wiesn-Maß hingestellt. Das ist einfach too much."

Es ist Sonntag, zwei Tage vor dem Spiel, als Britzius und Jachan im noch geschlossenen Stadion sitzen, vor sich einen gezeichneten Lageplan und einen Zollstock, "das wichtigste Utensil". Sie haben schon Erfahrung mit den Bestimmungen, den Außenbereich ihres Wirtshauses Obacht um die Ecke durften sie vergangene Woche öffnen. Aber es bleibt kompliziert.

Ungefähr "vierunddreißigeinhalb Leute", haben sie ausgerechnet, passen rein, wenn an einem Tisch maximal vier Personen aus höchstens zwei Haushalten zusammensitzen und sich niemand näher als 1,50 Meter kommt. Der Lageplan mit allen Sitzgelegenheiten sieht aus wie eine Aufstellung mit Viererkette, breit gefächertem Mittelfeld und zwei Stürmern. Auf der Seite der Kneipe, wo man sonst auf einer Tribüne sitzen kann, stehen zwei Tische mit Barhockern. Stehplätze sind verboten. Zur Toilette dürfen nur zwei Gäste gleichzeitig. Wer aufsteht, soll einen Mundschutz tragen, das gilt eigentlich schon, wenn man zum Jubeln aufspringt. "Wir können nur auf Verständnis hoffen", sagt Jachan.

Während sie durch die leere Kneipe führen, läuft im Fernseher die zweite Liga. Um zu verstehen, was sie von Geisterspielen halten, muss man eigentlich nur wissen, dass Britzius zwar ein Karlsruhe-Trikot trägt, aber kaum hinschaut, wie sein Lieblingsklub 0:0 gegen Bochum spielt. Jachan hat ebenso wenig Lust, seinem VfB Stuttgart beim Verlieren in Kiel zuzusehen. "Wir sind Teil von dem Business, deswegen müssen wir aber nicht alles gut finden, was in diesem Business passiert", sagt er. Fußball ohne Fans, sagen beide, ist "Käse".

Die Fußballpause, auch das sagen sie deutlich, war existenzbedrohend. Aber das bleibt vorerst auch mit Geisterfußball so. Zur Durchsetzung der Hygiene-Vorschriften brauchen sie zumindest erst mal, zur Eingewöhnung, mehr Personal, vier Leute plus Küche bei 30 Gästen. "Es könnte sein, dass wir mehr Verlust machen, als wenn wir zu lassen", sagt Jachan. Es gibt Kneipen, die sich in diesen Tagen bewusst dagegen entscheiden, wieder aufzumachen, manchmal auch aus Prinzip, weil sich Fußballkneipen auch als Wächter der Fußballkultur verstehen. Dass auch das Stadion ein Hort dafür ist, versteht sich von selbst.

Sie haben die Pause kreativ genutzt, zum Beispiel mit einer für regelmäßige Gäste auf den ersten Blick sichtbaren Neudekoration: In der Ecke hinter Glas hängen jetzt zwei Trikots von Miroslav Klose, der im November zur Lesung seiner Biografie da war. Auch Felix Magaths benutzter Pfefferminzteebeutel, zuvor eindeutig unterrepräsentiert, hat jetzt einen prominenteren Platz: Man kommt auf dem Weg zum Klo dran vorbei. Der Weg zum Geschäft ist im Stadion auch eine Entdeckungsreise durch die Fußballgeschichte. Man sieht dort etwa, auch das ist neu, Jupp Heynckes als Spieler im Trikot von Hannover 96.

Sie haben nicht nur umdekoriert, sie haben auch eine Geisterlesung organisiert und eine virtuelle Version ihres Fußballquiz, beworben vom früheren Karlsruher und Stuttgarter Stürmer Sean Dundee, der zufällig für einen Werbedreh da war. "Es hätte schon Möglichkeiten gegeben", sagt Jachan, um die Zeit ohne Live-Fußball kreativ zu überbrücken. "Mir wäre das allemal lieber gewesen als dieses Chaos, das wir die nächsten Wochen haben."

Sie sagen, dass sie kurz überlegt hätten, zuzulassen. Doch sie haben diesen Gedanken schnell verworfen, auch weil sie überwältigt waren von so viel Solidarität. Über der Eingangstür hängt eine Tafel mit den Namen von 260 Spendern, die zwischen 5 und 200 Euro gaben. "Offenbar ist ihre Fußballkneipe den Leuten viel wert, das ist echt schön", sagt Jachan.

Sie freuen sich sehr, ihre Stammgäste wieder zu sehen. Für die nächsten Wochen haben sich trotz Abstandsregeln Fanklubs angekündigt, von Union Berlin, vom KSC und von Fortuna Düsseldorf. Plätze gibt es nur mit Reservierung, für Dortmund gegen Bayern ist natürlich längst alles voll. Unter anderem, sagt Britzius, habe der Geschäftsführer der Allianz Arena reserviert.

Im Zweifel wollen sie am Dienstag ihn fragen, wie man einen Geisterspielabend organisiert. Er sollte es ja wissen.

© SZ vom 26.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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