Staatlich gestütztes Doping:Zu gut

Staatlich gestütztes Doping: Präsident Wladimir Putin und das spätere russische IOC-Mitglied Jelena Issinbajewa 2014 bei den Winterspielen in Sotschi.

Präsident Wladimir Putin und das spätere russische IOC-Mitglied Jelena Issinbajewa 2014 bei den Winterspielen in Sotschi.

(Foto: Alexei Nikolsky/dpa)

Russlands Leichtathleten droht der Olympia-Ausschluss. Die vorherrschende Meinung dazu in dem Land? Alles eine Verschwörung!

Von Julian Hans, Moskau

Sicherheitshalber hatte der russische Sportminister schon im Voraus eine Warnung an die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) ausgesprochen: In Russland würden die Ermittlungsergebnisse kritisch aufgenommen, sagte er Vertretern der unabhängigen Kommission bei einem Treffen in einem Zürcher Hotel am 22. September. So steht es nun im Bericht, den die Kommission an diesem Montag veröffentlichte. Und so kam es auch.

Die Wada solle sich gefälligst an Fakten halten, wetterte Witalij Mutko in einer ersten Erklärung, die sein Ministerium verbreiten ließ. Es gebe einen großen Unterschied zwischen Informationen, die die Medien verbreiteten, und bewiesenen Tatsachen. Auslöser für die Ermittlungen war ein Film gewesen, den die ARD im vergangenen Dezember ausstrahlte und in dem Sportler von systematischem Doping in Russland berichteten.

Am Mittwochabend äußerte sich Staatschef Wladimir Putin, diplomatischer als Mutko, aber in ähnlicher Haltung: Kollektivstrafen dürften nicht sein, man müsse den Fall selber klären. Putin forderte eine interne Untersuchung, die von der Wada vertieft werden könne. "Wenn unsere ausländischen Kollegen Fragen haben, ist es notwendig, dass keine offen bleiben", sagte er.

In den staatlich gesteuerten russischen Medien schimpfen dagegen Kommentatoren, Politiker und Funktionäre über die Vorwürfe der Wada. Der Tenor: Russland wird absichtlich mit Schmutz beworfen, einmal, weil sich die Welt ohnehin gegen Russland verschworen hat. Zum anderen, weil die russischen Sportler zuletzt einfach zu gut abgeschnitten hätten.

Nachdem der erste Dampf verflogen war, folgten die ersten Konsequenzen: Am Dienstag entzog die Wada dem Moskauer Anti-Doping-Labor die Lizenz, am Mittwoch erklärte dessen bisheriger Leiter Gregori Rodschenkow seinen Rücktritt, nachdem er die Wada-Ermittler zuvor als "Hornochsen" beschimpft hatte. Der Kommissionsbericht hatte ihn dafür verantwortlich gemacht, dass 1417 Dopingproben vernichtet worden waren. Nikita Kamajew, der Chef der ebenfalls hart kritisierten russischen Anti-Doping-Behörde, wies unterdessen Vorwürfe zurück, in einem zweiten Labor seien Proben vorgetestet und unter Aufsicht des Geheimdienstes FSB manipuliert worden, bevor sie an offizielle Labore weitergegeben wurden.

Der oberste Sportchef verteidigt Fifa-Patron Sepp Blatter immer noch

Der Sportminister Witalij Mutko vereint so viele Funktionen auf sich, dass er fast ganz allein einen Klüngel bilden kann. Er ist Chef des russischen Fußballverbandes, Chef des russischen Organisationskomitees für die Fußball-WM 2018 und Mitglied in den Exekutivkomitees von Uefa (europäischer Fußballverband) und Fifa (Fußball-Weltverband). International bekannt machte ihn sein Auftritt bei der Bewerbung um die Fußball-WM 2010 in Zürich, wo er offenbar in kyrillischer Schrift geschriebenes Englisch vom Blatt ablas: "Lez mi spik from mai chart in inglisch". Dass die Bewerbung trotzdem Erfolg hatte, vergisst der Sportminister dem Fifa-Chef nicht. Er ist einer der letzten, die noch zu Sepp Blatter halten.

Seine Karriere begann Mutko in der Sowjetunion als Matrose, später ergänzte er seinen Abschluss in Schifffahrtstechnik durch ein Fernstudium in Jura. In die Politik brachte ihn seine Freundschaft zu Anatolij Sobtschak, dem Bürgermeister von Sankt Petersburg, der ihn 1992 zu seinem Stellvertreter machte. Zu Sobtschaks Mannschaft gehörte auch Wladimir Putin, der Mutko mit nach Moskau nahm, wo er ihn beim Präsidentschaftswahlkampf 2000 unterstützte. Noch in St. Petersburg hatte Mutko begonnen, sich um den Sport zu kümmern, kaufte sich beim Fußballklub Zenit ein und sorgte dafür, dass dieser jährlich 400 000 Dollar aus dem Haushalt erhielt. Das zeitigte rasch Ergebnisse: 1999 wurde Zenit erstmals Meister.

Nicht alle in Russland rufen das Freund-Feind-Schema so reflexhaft ab wie der Minister. "Dass die russische Leichtathletik krank ist, wissen wir schon lange", kommentierte die Zeitung Sowjetskij Sport. Aber was nun ans Licht komme, sei "der größte Skandal in der russischen Leichtathletik, vielleicht sogar in unserem Sport überhaupt". Statt den Vorwürfen nachzugehen, die in dem ARD-Film vorgebracht wurden, habe Moskau nur zurückgeschimpft. Nun drohe "eine ernste öffentlich Bestrafung. Aber vieles hängt von uns selber ab: Wenn wir uns weiter sträuben, kann alles ganz schlimm ausgehen."

Die Schuld dafür sieht der Kommentar in Mutkos Verharmlosungs-Taktik. Als Viktor Tschjogin, der Trainer der Geher, des Dopings überführt wurde, habe Mutko Anfang des Jahres beharrlich darauf gedrungen, den Fall nicht zu verallgemeinern.

Diese Haltung ist im ganzen Sport verbreitet. Der neue Cheftrainer der Leichtathleten, Jurij Borsakowskij, lobte Tschjogin sogleich als "wertvollen Spezialisten". Sergej Schubenkow, der bei der WM in Peking im August den Titel über 110 Meter Hürden holte, pflichtete ihm bei und ergänzte: "Er flirtet nur ein kleines Bisschen mit Epo." Offiziell sei Tschjogin zwar suspendiert, schreibt Sowjetskij Sport, allerdings gebe es "Gerüchte, dass er weiter seiner Tätigkeit nachgeht."

Sachlicher als der Minister reagierte Michail Butow, der Generalsekretär des russischen Leichtathletik-Verbandes. Der Bericht der Wada-Kommission sei zwar sehr emotional, aber die Ergebnisse müssten "sehr ernst genommen werden".

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Einen freiwilligen Verzicht auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2016, wie ihn der Vorsitzende der dreiköpfigen Untersuchungskommission und ehemalige Wada-Chef, Richard Pound, den Russen nahegelegt hatte, lehnte Butow ab. Mit dem Ausschluss der Geher von der WM in Peking habe sein Verband bewiesen, dass er bereit sei, "sehr harte Maßnahmen zu ergreifen". Allerdings müssten die der Entwicklung des Sports dienen. "Ich glaube nicht, dass der Ausschluss irgendeines Landes von den Olympischen Spielen der künftigen Entwicklung dient", so Butow.

Die Gremien der internationalen Verbände sind am Zug. Zunächst muss die Wada die weiteren Empfehlungen der Kommission unterstützen, dann müssen der Leichtathletik-Weltverband IAAF und das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Konsequenzen umsetzen.

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