St. Pauli vs. HSV:Hamburger Friedensgipfel

Rivalität? Von wegen. Vor dem Derby zwischen St. Pauli und dem Hamburger SV betonen alle Beteiligten eine neue Harmonie, Paulis Trainer Stanislawski macht ein geradezu verräterisches Geständnis. Dennoch wird die Partie zu einem Hochsicherheitsspiel.

Jörg Marwedel

Alles, was ein bisschen Frieden stiften könnte, wurde probiert. Stefan Orth, der Präsident des FC St. Pauli, traf sich zum Tischfußball mit HSV-Sportchef Bastian Reinhardt. Die Profis Guy Demel (HSV) und Charles Takyi (Pauli), die schon mal eine Wohngemeinschaft bildeten, trafen sich vorab zum Trikottausch am Millerntor. St.Paulis Trainer Holger Stanislawski verriet, dass er beim HSV-Kultlied "Hamburg, meine Perle" von Lotto King Karl eine Gänsehaut bekomme.

FC St. Pauli v SC Paderborn - 2. Bundesliga

Viel wurde versucht, um etwas Brisanz aus dem Spiel zu nehmen. Ob es klappt, die rivalisierenden Fans des FC St. Pauli (im Bild) und des Hamburger SV zu trennen, zeigt sich am Sonntagnachmittag.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Und als Höhepunkt haben die beiden so unterschiedlichen Klubs am Freitag gar eine gemeinsame Pressekonferenz abgehalten, in welcher Stanislawski sagte: "99 Prozent der Hamburger freuen sich auf dieses Spiel, nur ein Prozent sind Chaoten, die hoffentlich von beiden Fangruppen an den Rand gedrückt werden."

Wie ein Riss durch die Stadt

Die fast partnerschaftliche Weise, mit der die Fanbeauftragten Mike Lorenz (HSV) und Stefan Schatz (St. Pauli) miteinander umgehen (Schatz: "Wir haben uns zuletzt fast häufiger gesehen als unsere Frauen"), hat natürlich einen ernsten Hintergrund. Es ist keine vier Wochen her, da hatten knapp 20 HSV-Hooligans nachts auf dem Bahnhof Altona St. Pauli-Fans (inklusive Ersatztorwart Benedikt Pliquett) angegriffen, vier Paulianer wurden dabei verletzt. Und da beim ersten Hamburger Lokalderby am Millerntor seit 1962 nur 2100 HSV-Anhänger Karten erhielten, haben einige Fanklubs für Sonntag auch ohne Ticket "einen kleinen Herbstspaziergang" ins feindliche Gebiet angekündigt, während den härtesten St.Paulianern vorschwebt, ihr Stadtteil müsse "HSV-frei" bleiben.

Der Riss durch die Stadt - hier die Scampi essenden HSV-Freunde, dort die Pauli-Punks - ist zwar zum Teil ein Klischee. Und doch wird die Trennung der Vereine durch das als "Hochsicherheits-Spiel" eingestufte Derby eher gefestigt. Statt der Revierwache 16 ist das Polizei-Präsidium direkt zuständig, über 1000 Sicherheitskräfte werden im Einsatz sein. Es gibt ein Alkoholverbot und erstmals eine Reiterstaffel, Pufferzonen zwischen den Anhängern sollen Tumulte verhindern. St. Paulis "Security-Chef" Sven Brux glaubt dennoch: "Die Brisanz gegen Hansa Rostock ist deutlich höher einzuschätzen. Da gibt es eine gewalttätige Vergangenheit, die es in der Größenordnung gegen den HSV nicht gab."

Fünf Stadionverbote bis Ende 2011 hat der HSV nach Auskunft des Vorstands Oliver Scheel gegen die Übeltäter von Altona verhängt. Ob sich einige St. Pauli-Fans am Sonntag in den Volkspark wagen werden, wo die HSV-Arena zur größten Public-Viewing-Kneipe wird, in der bis zu 25.000 Zuschauer erwartet werden? Sollten genügend "Gäste" kommen, wird der Gästeblock geöffnet werden. Das wäre ein Novum, genau wie die Aktion "Gemeinsam für ein friedliches Derby" der Hamburger Morgenpost. Dort werden Familien, Freunde oder Arbeitskollegen abgebildet, die sich trotz unterschiedlicher Präferenzen gut verstehen. Ein Foto mit HSV-Raute und Pauli-Totenkopf wurde sogar vom Mount Cook in Neuseeland geschickt.

Natürlich wurden auch die beiden früheren Schalker Heiko Westermann (HSV) und Gerald Asamoah (Pauli) zu ihren Erinnerungen an die Ruhrpott-Derbys gegen Dortmund gefragt. Westermann hat sich bei diesem Thema für die aggressive Variante entschieden und mitgeteilt, St. Pauli könne seinem Team "nicht das Wasser reichen". Asamoah, der einst "für die Dortmunder ein Hasstyp" war, sagt: "In Derbys muss man kratzen, beißen, das kann auch mal über das Erlaubte hinausgehen." Die Erinnerungen an die letzten Bundesliga-Duelle zwischen St. Pauli und dem HSV liegen allerdings so weit zurück, dass nur noch ein Spieler im Aufgebot ist, der beim letzten Treffen 2002 dabei war: Collin Benjamin, der Reservist. Damals schoss der Namibier beim 4:0 ein Tor für den HSV und sagte: "Jetzt kann ich eigentlich erschossen werden. Mehr ist für einen Hamburger Jung nicht drin."

Doch zwei der nur 23 Pauli-Siege in 129 Duellen sind unvergessen. Der eine war der bisher einzige Bundesliga-Triumph am 3.September1977 im Volksparkstadion. Über das 2:0 gegen ein HSV-Team mit Größen wie Keegan, Magath oder Kaltz sagt der einstige St. auli-Trainer Diethelm Ferner: "Der HSV hat uns nicht ernst genommen. Die kannten uns wohl erst nach dem Schlusspfiff." Der andere Höhepunkt passierte am 13.Februar 1960. Da fertigte der Außenseiter am Millerntor den Favoriten mit 4:1 Toren ab. Damals wurde der FC St. Pauli 50 Jahre alt. Jetzt wurde er 100. Das einzige Problem: Die HSV-Profis könnten den Gegner diesmal ernster nehmen.

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