Die bisherige Bundesligasaison des FC St. Pauli ist in etwa so gelaufen, wie das zu erwarten war. Bereits vor dem ersten Spiel war dem Kiezklub der eigene Platz in der Nahrungskette zugewiesen worden, als der umjubelte Aufstiegstrainer Fabian Hürzeler ein Angebot aus England annahm, welches aus dessen Sicht deutlich zu gut war, um es abzulehnen. Zwischenzeitlich entspann sich eine Kontroverse um angebliches Antichristentum, weil der Verein eine Kooperation mit der Punkband Bad Religion startete und Merchandise mit durchgestrichenem Kreuz vertrieb, wobei es sich bei genauem Hingucken lediglich um das Logo der Band handelte und der Aufruhr somit unbegründet war. Von der Plattform X hat sich St. Pauli aus staatspolitischer Verantwortung zurückgezogen, in weiterhin vorbildlicher Weise einen Duschbus für Obdachlose vor dem heimischen Millerntorstadion parken lassen, seine wirtschaftliche Zukunft in einer vorrevolutionären Genossenschaft organisiert und in all dem Trubel Bemerkenswertes vollbracht: Sportlich läuft’s mehr als ordentlich und Woche für Woche gefühlt ein wenig besser – auf Platz 14 befindet man sich gleich zwei Ränge über dem berühmten Strich, der die Abstiegszone markiert.
Wahrscheinlich steckt darin die bedeutendste aller Erkenntnisse: Die bisherige sportliche Zwischenbilanz kommt nicht überraschend, sondern ist eine geradezu zwangsläufige Konsequenz bei einem Klub, der eine schlüssige Gesamtstrategie verfolgt und atmosphärisch mit sich selbst im Reinen ist.
Genossenschaft des FC St. Pauli:„Wir spüren die finanzielle Schere am eigenen Leib“
Der FC St. Pauli will mit der finanziell übermächtigen Konkurrenz mithalten – und gründet eine Genossenschaft. Vorständin Miriam Wolframm erklärt, wie auf diesem ungewöhnlichen Weg bis zu 30 Millionen Euro zusammenkommen sollen.
„Wir sind Bundesligaaufsteiger und würden gerne Bundesligist werden“, hat St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann jüngst bei einer Art Jahresrückblicksrunde gesagt, und trotz des scheinbaren Widerspruchs war das ein absolut wahrheitsgemäßer Satz. Der Klub ist gekommen, um zu bleiben, aber bei der Akklimatisierungsphase handelt es sich nun mal um einen Prozess, der wegen des wirtschaftlichen Ungleichgewichts in der Liga frühestens in einigen Jahren abgeschlossen sein kann. Bis dahin, das wissen sie beim linken Kiezklub, ist beinharter Klassenkampf angesagt – und zwar zuvorderst auf dem grünen Rasen, wo man am Saisonende mindestens zwei, bestenfalls drei oder mehr Konkurrenten hinter sich lassen will.
Die St. Paulianer wollen organisch wachsen und auf überzeugende Transferchancen warten
Zu diesem Zweck haben Bornemann und Coach Alexander Blessin eine Kollektivmannschaft gebastelt, mit allen Vor- und Nachteilen. Zu den Vorteilen zählt, dass die Spieler demütig und lernwillig sind und dem Vernehmen nach eine derart unerschütterliche Einheit bilden, wie man das auf St. Pauli länger nicht mehr erlebt hat. Die Mannschaft, sagte Bornemann Anfang Januar, habe in dieser Saison „nicht ein einziges Mal enttäuscht“, obwohl der eine oder andere zusätzliche Punkt vielleicht schon drin gewesen wäre. Zu den Nachteilen gehört, dass die innerbetriebliche Gruppendynamik viel Detailarbeit erfordert. Selbst wenn die Paulianer es sich plötzlich leisten könnten, würden sie in diesem Transferwinter eher nicht wie die aktuell punktgleiche TSG Hoffenheim agieren, die ihrem Kader einige teure Einzelkönner, aber auch mutmaßlich Eitelkeiten beigefügt hat. Die Mannschaft soll organisch wachsen – und Kaderlücken werden somit erst geschlossen, wenn sich auf dem Markt eine wirklich überzeugende Chance ergibt.
Auch deswegen hat der Sportchef Bornemann im Sommer darauf verzichtet, den nach dem Aufstieg in die USA abgewanderten Spielmacher Marcel Hartel mit einem spontanen Hauruck-Transfer zu ersetzen und stattdessen ein tiefergehendes Eingreifen im Januar bevorzugt: In Mittelfeldmann James Sands (leihweise aus New York) und den Angreifern Noah Weißhaupt (leihweise vom SC Freiburg) und Abdoulie Ceesay (450 000 Euro Ablöse, zuvor beim estnischen Klub Paide Linnameeskond) wurden gleich drei neue Spieler geholt, die allesamt bislang unbefriedigte Bedürfnisse stillen könnten.
Der US-Amerikaner Sands soll strategisches Geschick einbringen und die beanspruchten Jackson Irvine und Eric Smith im Zentrum entlasten. Vom früheren deutschen Juniorennationalspieler Weißhaupt, 23, erhofft man sich, dass er auf dem Kiez den nächsten Entwicklungsschritt vollzieht und die Offensive mit seinem Tempo ergänzt. Und der 20-jährige Gambier Ceesay kommt zwar aus der Nische, er hat für sein Alter aber einen brachialen Körper und könnte im besten Fall Stürmer Johannes Eggestein (zwei Saisontore) von hinten ein bisschen anschieben. St. Paulis Trainer Blessin hat sich ein wenig mehr Kadertiefe gewünscht und bekommen. Bei Wiederaufnahme des Spielbetriebs an diesem Samstag gegen Eintracht Frankfurt (Anpfiff 15.30 Uhr) wird sich nun erstmalig zeigen, ob der beachtlichen Defensivstärke des Teams fortan noch das ein oder andere Zusatztörchen hinzugefügt werden kann.
Das ist allerdings eher nicht der Grund, warum St. Paulis Präsident Oke Göttlich am Freitag auf dem Trainingsgelände in der Hamburger Kollaustraße erwartet wird. Göttlich möchte die Spieler bei dieser Gelegenheit erinnern, Anteile an der im Dezember gestarteten Genossenschaft zu zeichnen, mit der Fans und Gönner das heimische Millerntorstadion erwerben und ihrem Herzensklub zusätzliche Wirtschaftskraft ermöglichen können. Bislang kamen fast 20 Millionen Euro zusammen, erhofft hatte man sich bis zu 30 Millionen. Doch auch da will man sich nicht stressen lassen: Schritt für Schritt soll’s vorangehen - bis aus einem Bundesligaaufsteiger ein echter Bundesligist geworden ist.