St. Pauli:Raus aus dem Mittelalter

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78 weibliche Fans aus 21 Ländern im Portrait: Eine Ausstellung im Museum des Zweitligisten zeigt, was Frauen auf der ganzen Welt am Fußball lieben. Aber auch, dass das weiterhin nicht allen Männern gefällt.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Als um 1910 die ersten Frauen beim Fußball auftauchten, waren sie quasi unsichtbar. Es gab sie, aber es wurde nicht über sie gesprochen. Das änderte sich nur langsam. Maria Petri, Jahrgang 1939, musste sich in den 1960er Jahren als Fan des FC Arsenal im Stadion noch dies hier anhören: "Zurück in die Küche mit dir. Weiß dein Mann überhaupt, dass du hier bist?" Es gab aber auch Avancen an potenzielle weibliche Fans: Mal durften sie umsonst zuschauen, mal wurde ihnen, etwa vor der WM 1966 in England, in einem Fernsehspot erklärt, was Abseits ist. Was das Fußballspielen anging, galt bis Anfang der 1970er Jahre oft noch der Satz, Fußball zerstöre die Anmut des Frauenkörpers und beeinträchtige die Gebärfähigkeit.

Heute sind die Frauen ein fester Bestandteil des Fußball-Publikums. In Österreich sind inzwischen 38 Prozent der Zuschauer in der Männer-Bundesliga weiblich, in Deutschland 25 Prozent, wobei der FC St. Pauli mit 35 Prozent den höchsten Anteil hat. Am Hamburger Millerntor ist nun auch die erste Ausstellung über weibliche Fans zu sehen. "Fan.Tastic Females - Football Her.Story" heißt sie, ihr Kern sind 78 Porträts von Fans aus 21 Ländern. Sechs verschiedene Kategorien wurden gebildet: "Weibliche Fans wie du und ich", "Weibliche Ultras", "Frauen in Führungspositionen", "Ikonen der Fankultur", "weibliche Fan-Netzwerke", "weibliche Fangruppen". Man erfährt, dass es in Österreich die "Sektion Menstruation" gibt und in der Slowakei die "Gangsters Girls". In Russland gibt es eine weibliche Hooligan-Gruppe. Seitdem 2018 auch in Saudi-Arabien das Stadionverbot für Frauen aufgehoben wurde, ist Iran der einzige Staat, der es Frauen noch verbietet, bei einem Spiel dabei zu sein. Außer sie sind als Männer verkleidet.

Die Liebe zum Spiel hat oft auch eine politische Dimension. Ay Ben, eine 38-jährige Innenarchitektin und Fan von Besiktas Istanbul, erzählt in einem der Interviews, die größtenteils von den Initiatorinnen Daniela Wurbs (einst Geschäftsführerin von "Football Supporters Europe") und Antje Grabenhorst geführt wurden, dass sie in 90 Minuten "alle Schwierigkeiten und die Probleme in meinem Land" vergisst. Daphne Goldschmidt, 33, ehrenamtliches Vorstandsmitglied von Hapoel Katamon Jerusalem, setzt sich dafür ein, dass Musliminnen, Jüdinnen und Christinnen zusammenspielen. In Deutschland sorgen Sandra Schwedler (St. Pauli) und Katharina Dahme (Babelsberg 03) als Aufsichtsratsvorsitzende dafür, dass progressive Politik gemacht wird. Und es gibt Grace Donald, Jahrgang 1924, die seit den 1930er Jahren zum FC Clyde Glasgow hält. Die 94-Jährige, die seit Kurzem das Haus nicht mehr verlassen kann, verabschiedete sich jüngst mit einer bewegenden Botschaft von ihrem Klub.

Aber - auch darum geht es den Initiatorinnen - es gibt noch immer sexistische Vorurteile, versinnbildlicht in einer "Wall of Shame". Jüngstes Beispiel (das keinen Eingang in die Ausstellung fand): Ultras von Lazio Rom forderten zum Saisonstart in der Serie A auf Flugblättern Frauen dazu auf, die vorderen zehn Reihen der Fankurve nicht mehr zu betreten. Diese seien Männern vorbehalten. Dazu die frühere Nationalspielerin Carolina Morace, Trainerin des neuen Frauen-Profiteams des AC Mailand: "Offenbar befinden wir uns wieder im Mittelalter."

Die Ausstellung im St. Pauli Museum ist noch bis zum 22. September zu sehen und geht dann auf Deutschland- und Europatour.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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