Zweite Bundesliga:Von Texas über Pipinsried an die Reeperbahn

Zweite Bundesliga: Wurde beim FC St. Pauli vom Co-Trainer zum Chefcoach befördert: Fabian Hürzeler, 29.

Wurde beim FC St. Pauli vom Co-Trainer zum Chefcoach befördert: Fabian Hürzeler, 29.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

An Weihnachten mal schnell zum jüngsten Chefcoach im deutschen Profifußball befördert: Fabian Hürzeler, 29, soll den FC St. Pauli vor dem Abstieg bewahren.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Fabian Hürzeler hat eine schwere Sünde begangen, als er noch Spielertrainer beim FC Pipinsried war. Er sündigte Woche für Woche, Monat für Monat, am Ende waren es vier Jahre in der bayerischen Provinz. Und in dieser für die Fußballbranche langen Zeit hat er tatsächlich das geschafft, was in Pipinsried noch keiner schaffte. Beziehungsweise übers Herz brachte, weil dieser Frau kaum jemand einen Wunsch ausschlagen konnte: Fabian Hürzeler hat niemals die berühmte Fischsemmel von Kathi Höß gekostet.

Kathi Höß, das ist in diesem Zusammenhang wichtig, war bis zu ihrem Tod im vergangenen Jahr die gute Seele des Dorfklubs, der unter der Regie von Hürzeler seine beste Zeit hatte. Sie wusch die Trikots, stellte das leibliche Wohl der Zuschauer sicher und versorgte die Mannschaft mit warmherziger Unterstützung. Für Hürzeler, so erzählte er es mal selbst, war Kathi Höß in Pipinsried stets eine wichtige "Bezugsperson" - und damit einer der Menschen, die ihren Anteil daran haben, dass der 29-Jährige soeben zum Trainer des Zweitligisten FC St. Pauli ernannt wurde, als derzeit jüngster Chefcoach in Deutschlands Profiligen.

Hürzeler muss sich bei St. Pauli in einer heiklen Gemengelage behaupten

Vom Dachauer Hinterland in die Elbmetrople, aus den südlichen Fischsemmel-Gefilden hoch in den Norden der Republik, wo nach aktuellem Stand der Sprachforschung ausschließlich Fischbrötchen existieren: In der Trainerkarriere von Hürzeler, einem bekennenden Liebhaber von Würstchen und Pommes, ging alles immer sehr schnell.

Er war oft der Jüngste und wurde in der Öffentlichkeit häufig unterschätzt. Doch in Fachkreisen genoss er stets einen exzellenten Ruf, weshalb es einige Experten nur bedingt überrascht hat, dass Hürzeler nun beim Kiezklub in die Verantwortung gerufen wurde. "Wir haben verschiedene Optionen geprüft und sind der Überzeugung, dass Fabian in dieser Situation die optimale Besetzung für uns ist", wurde St. Paulis Sportchef Andreas Bornemann im offiziellen Kommuniqué des Vereins zitiert.

Mit "heikel" wäre die aktuelle Situation fast zurückhaltend beschrieben: St. Pauli, das in der Vorsaison noch begeisternden Offensivfußball zeigte, hat sich zum Jahresende in den Niederrungen der Zweitliga-Tabelle eingefunden. Der bisherige Chefcoach Timo Schultz wurde während der langen Winterpause beurlaubt und erhielt zum Abschied keine warmen Dankesworte, sondern eine Generalabrechnung des Sportchefs Bornemann. Das wiederum missfiel den St. Pauli-Fans, die Schultz nach 17 Jahren Klubzugehörigkeit als wahrhaftige Kiezgröße betrachteten - und deshalb unverzüglich eine Petition ins Leben riefen, mit der die Entlassung rückabgewickelt werden sollte. Nach kurzer Zeit kamen immerhin mehr als 12 000 Unterschriften zusammen.

Es ist also kein einfaches Milieu, in dem sich Hürzeler jetzt behaupten muss. Und auch für ihn persönlich ist die Lage kompliziert. Es war schließlich Schultz höchstselbst, der Hürzeler 2020 als Assistenztrainer zum Hamburger Stadtteilklub holte. Die beiden hatten sich kennengelernt, als Hürzeler ein paar Jahre zuvor bei St. Pauli hospitiert hatte, und sie blieben in Kontakt. Über eine Handynachricht kam dann auch der Job zustande: Ob er, Hürzeler, sich vorstellen könne, als Co-Trainer beim Kiezklub anzufangen? Hürzeler konnte sich das sogar sehr gut vorstellen, obwohl das für ihn nicht gerade der nächstlogische Schritt auf der Karriereleiter war. Aber das hatte Hürzeler zuvor auch nicht sonderlich gekümmert.

Pipinsrieds "Conny" Höß war der Entdecker und Förderer Hürzelers

Womit man wieder beim FC Pipinsried angelangt wäre, der immer auch so etwas wie der FC Familie Höß war. Gegründet und mitfinanziert wurde der heutige Viertligist von Konrad "Conny" Höß, dem Mann der Vereinsheims-Koryphäe Kathi. Und jener "Conny" Höß fasste 2016 einen Entschluss, der seinerzeit in der Lokalpresse heftige Irritationen auslöste: Er machte Hürzeler zum Spielertrainer der Bayernliga-Mannschaft, obwohl der gerade mal 22 Jahre alt war und keinerlei Vorerfahrung als Coach hatte.

Heute lässt sich sagen: Höß, der für diese Entscheidung in der Fußballregion belächelt wurde, hatte ein gewaltiges Potenzial erkannt, bevor es andere taten. Und weil er diese Entscheidung auch gegen Widerstände durchsetzte, hat er einen großen Anteil an einer der vielleicht ungewöhnlichsten Trainerbiografie im deutschen Profifußball.

Hürzeler wurde in Houston, Texas, geboren und spielte in der Jugend des FC Bayern. Zum Sprung ins Profiteam fehlte aber etwas, und so war das auch etwas später in Hoffenheim und beim Stadtrivalen 1860 München. Deshalb folgte Hürzeler dem Ruf des Dorf-Patriarchen Höß, er entschloss sich bewusst für eine Art duale Ausbildung. Der Job als Pipinsrieder Spielertrainer war für ihn gelebte Fußballpraxis, und die lebte Hürzeler als Mittelfeldakteur auf recht spezielle Art und Weise aus: In 87 Spielen für den Dorfklub handelte er sich sagenhafte 46 gelbe, fünf-gelb rote und eine rote Karte ein. Parallel bildete sich Hürzeler in der Theorie fort und arbeitete als Co-Trainer bei Jugendnationalteams des DFB. "Er hat einen anderen, besonderen Blick auf die Dinge", sagt einer, der sich gut im deutschen Trainermarkt auskennt: "Das liegt daran, dass er einen Werdegang hinter sich hat, den sonst keiner vorweisen kann."

Genau das steckte hinter der Grundidee von "Conny" Höß, genau das entsprach dann auch der Vorstellung seines St. Pauli-Vorgängers Timo Schultz: Hürzeler gilt als ein akribischer Detailfanatiker, der sich mit rustikaler Sprache Respekt verschafft, er ist gewissermaßen ein analoger Laptoptrainer, der sich auch an der Seitenlinie das Mittelfeldraubein bewahrt hat. Und die Idee ist jeweils aufgegangen: Unter Hürzeler stieg Pipinsried erstmals in die Regionalliga auf, im Jahr darauf hielt der kleine Klub fast sensationell die Klasse. Auch in seinen zwei Jahren als Assistent bei St. Pauli wurde Hürzeler stets seriöse Arbeit bescheinigt, weshalb schon länger spekuliert wurde, ob er womöglich bald von einem Dritt- oder Zweitligisten als Chefcoach engagiert werde.

Diese Wegmarke hat Hürzeler nun also mal wieder erreicht, bevor die meisten damit gerechnet hatten. Wie es für ihn weitergeht, dürfte nun vor allem davon abhängen, ob der FC St. Pauli auch über den Sommer hinaus weiterhin ein Zweit- und kein Drittligist sein wird.

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