SSV Jahn Regensburg:Unerklärlich gut

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Endlich mal wieder auf der Sonnenseite: Sebastian Ernst (links, gegen Fabian Reese) und die Regensburger erlebten ungewohnte Glücksgefühle. (Foto: Sascha Janne/Imago)

Der Jahn rehabilitiert sich nach dem Debakel in Ulm mit einem 2:0 gegen Hertha BSC. Gegen die kriselnden Berliner präsentieren sich die Oberpfälzer derart verändert, dass sie selbst nach Erklärungen suchen.

Von Linus Freymark

Zu all dem Schönen, das den Fußball ausmacht, zählt zweifellos die Tatsache, dass manche Dinge nicht zu erklären sind. Trotz all der Analysen, der technischen Hilfsmittel und der Expertise echter wie selbst ernannter Fachleute bleibt manches ein ewiges Rätsel. Das ist ein großes Glück: Wenn alles nach Drehbuch laufen würde, wo wäre da der Reiz?

Einigermaßen unerklärliche Dinge passieren derzeit auch in der Oberpfalz: Dorthin war der SSV Jahn Regensburg vergangene Woche mit einer 1:5-Packung im Gepäck von seinem Auswärtsspiel beim SSV Ulm zurückgekehrt. Das Debakel im Donaustadion gegen einen Mitaufsteiger schien der Beweis dafür zu sein, dass die Jahnelf in der zweiten Bundesliga nicht bestehen kann. Dazu kam am Samstagmittag auch noch Besuch aus der Hauptstadt: Mit Hertha BSC schaute ein selbst ernannter Aufstiegsaspirant im Jahnstadion vorbei. Die Berliner rennen zwar einmal mehr den eigenen Erwartungen hinterher, können aber mit einem Kader aufwarten, der unter logischen Gesichtspunkten für einen klaren Auswärtssieg hätte sorgen müssen.

Aber weil das mit Logik und Erklärungen nun mal so eine Sache ist, hat der Jahn am Samstag tatsächlich 2:0 gewonnen. Besonders erstaunlich: Der Regensburger Sieg war nicht nur der schwachen Vorstellung der Berliner geschuldet, die eine Leistung darboten, die ähnlich zweitligauntauglich war wie der Regensburger Rasen, der sich seit Wochen in einem beklagenswerten Zustand befindet. Nein, die Jahnelf kombinierte, erspielte sich eine Gelegenheit nach der nächsten und war sogar in der Lage, diese zu verwerten. Während Christian Kühlwetter (45. Minute) und Elias Huth (90.+2) vorne die beiden Treffer erzielten, hatte Torhüter Felix Gebhardt auf der anderen Seite des Feldes angesichts chronischer Unterforderung Zeit, sich von der anstrengenden Dienstreise nach Ulm zu erholen.

Da war Gebhardt wahlweise damit beschäftigt gewesen, sich in die Schüsse der Gegner zu werfen oder den Ball aus dem Netz zu holen und seine Vorderleute völlig zurecht zusammenzustauchen. Die alte Dame aus der Hauptstadt aber zeigte sich am Samstag dermaßen behäbig, dass sogar die zuletzt kaum existente Regensburger Abwehr die Berliner Offensive rund um Fabian Reese, Ibrahim Maza und Florian Niederlechner ohne große Mühe von Gebhardts Arbeitsplatz fernhielt.

Trotz der allgemeinen Ratlosigkeit hat es Patz offenbar geschafft, die Mannschaft wieder aufzubauen

Würde der Fußball nach den Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften funktionieren, hätte all das nicht passieren dürfen. Oder aber es würde einen verwuschelten Forscher geben, der irgendwann mit einer plausiblen Erklärung daherkommen würde. In den Regensburger Katakomben aber war ein solches Genie nicht zu finden. Stattdessen kratzte sich Torschütze Elias Huth einigermaßen ratlos an der Stirn, als er auf das veränderte Gesicht seiner Mannschaft angesprochen wurde. „Manches ist im Fußball nicht zu erklären“, diktierte er den Reportern dann in die Mobiltelefone. Auch sein Kollege Kühlwetter konnte lediglich zu Protokoll geben, er habe dafür „keine Erklärung“.

Für Regensburgs Trainer Andreas Patz war der „Totalausfall“ in Ulm auch eine Woche danach noch „unerklärlich“. Trotz der allgemeinen Ratlosigkeit hat es Patz aber offenbar geschafft, eine Mannschaft wieder aufzubauen, deren Klassenverbleib ähnlich wahrscheinlich schien wie eine Neuauflage der Ampelkoalition. Dafür hat Patz unter der Woche viele Einzelgespräche geführt und ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen: Die Aufstellung etwa wurde den Spielern erst eine Stunde vor Spielbeginn mitgeteilt. Dadurch wollte der Regensburger Übungsleiter die Spannung hochhalten - das scheint geklappt zu haben. „Jeder wollte in die Startelf, jeder wollte spielen“, berichtete Patz. Anders als in Ulm habe seine Mannschaft gegen Hertha BSC „ihr wahres Gesicht“ gezeigt. „Wir haben den Anschluss wiederhergestellt“, erklärte Patz mit Blick auf die Tabelle.

Mit dem einigermaßen unerklärlichen Sieg gegen die kriselnden Berliner und ihren angezählten Trainer Christian Fiél hat der Jahn den Abstand auf den Relegationsplatz 16 auf drei Punkte verkürzt. Mit einem weiteren Sieg am kommenden Freitag bei Greuther Fürth könnten die Oberpfälzer die rote Laterne an Eintracht Braunschweig weitergeben. „Von Aufgabe zu Aufgabe“ wollen sich die Regensburger so laut Patz aus dem Negativstrudel der vergangenen Wochen ans rettende Ufer hangeln.

Ob das gelingt? Und wenn ja: wie? Das kann niemand wissen in Regensburg, trotz des Coups gegen Hertha ist weder Patz noch sonst jemandem in der Oberpfalz der Durchbruch bei der Erfindung der prophezeienden Glaskugel gelungen. Und manche Dinge sind im Fußball nun mal unerklärlich. Das ist das Schöne – und das Gefährliche.

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