Süddeutsche Zeitung

SSV Jahn Regensburg:Die Männer, die dem Jahn neues Leben einhauchten

  • 50 000 Karten hätte Jahn Regensburg für das Relegationsspiel gegen 1860 München am Freitag verkaufen können.
  • Geldprobleme, Abstieg und die Korruptionsaffäre warfen den Verein zurück. Geschäftsführer Christian Keller brachte den Jahn wieder in die Spur
  • Der Jahn stehe für das Auf und Ab. Die Euphorie sei eine Momentaufnahme.

Von Max Ferstl

Der SSV Jahn Regensburg strahlt nun also weit hinaus über die Stadtgrenzen vor dem Hinspiel der Relegation um einen Platz in der zweiten Fußball-Bundesliga. Ganz Deutschland interessiert sich plötzlich für diesen kleinen Verein, ach was, die ganze Welt: Am Dienstag schauten fünf Asiaten beim Mannschaftstraining zu. Um 10.30 Uhr beobachteten sie, wie sich die Regensburger die Bälle zuschoben. Leise tuschelten die Zuschauer aus Fernost, ihre Gesichter verschanzten sie hinter Sonnenbrillen. Waren es etwa Spione des TSV 1860 München, auf den der Jahn in der Relegation trifft? Der Verdacht entkräftete sich, als einer auf Englisch zugab, eigentlich nur den Regensburger Torhüter Philipp Pentke zu kennen.

Es ist eine kleine Episode aus der Oberpfalz, die wohl irgendwie mit dieser Euphorie zusammenhängt, von der sie in Regensburg gerade sprechen. Jetzt, da ihr Jahn in die zweite Liga aufsteigen und die Sechziger in die dritte Liga hinabstoßen könnte. "Sobald was geht, sind alle da", sagt Hans Meichel. Das sei zwar überall so, aber in Regensburg ist das besonders krass. Meichel weiß, wie die Stadt und ihr Verein ticken.

Die Euphorie ist eine Momentaufnahme

Er ist im Stadtteil Kumpfmühl aufgewachsen, mit 19 zum Jahn gewechselt, später in die Jahrhundertelf des Klubs gewählt worden. Am Dienstag sitzt Meichel, heute 70 Jahre alt, in einem Café im Regensburger Süden. Die weißen Haare legen sich wie ein Kranz ums kahle Haupt. Meichel sagt: "Wenn der Jahn normal spielt, kommt die Stadt. Wenn er gut spielt, die Region." Diesmal scheint es, als würde die ganze Oberpfalz und halb München kommen wollen. Meichels Handy klingelt, ein Freund sucht noch nach Tickets: "Tut mir leid, Charly, ich hab' keine Karten", sagt Meichel. Wie soll er auch welche haben?

Am Sonntag, als feststand, dass es gegen die Löwen geht, bildete sich eine Schlange vor der Geschäftsstelle, die weit hinaus auf den Parkplatz reichte. Am Montag war das Spiel dann ausverkauft. Beim Jahn schätzen sie, dass sie über 50 000 Tickets hätten verkaufen können. Ins Stadion passen aber nur etwas mehr als 15 000 Leute. Meichel ist lange genug dabei, um zu wissen, dass diese Euphorie eine Momentaufnahme ist, typisch Jahn. Er malt mit dem Zeigefinger eine Schlangenlinie: "Der Jahn steht für das Hin und Her, das Auf und Ab. Er bleibt nie auf einer Ebene." Wenn es ein Gefühl gäbe, das den Verein beschreibe, wäre es: "die Unsicherheit".

Zuverlässig war der Jahn meist nur, wenn es darum ging, peinliche Schlagzeilen zu produzieren: Mal warteten die Mitarbeiter monatelang auf Gehälter, mal drehte der Stromanbieter im alten Jahnstadion den Saft ab, weil der Klub seine Rechnungen nicht bezahlt hatte. Die Regensburger haben sich an derlei Geschichten gewöhnt. "Mei, der Jahn", sagt Horst Eberl halb ironisch, halb trotzig. Eberl war von 2006 bis 2009 Sportchef beim Jahn, früher Spieler, 1968 schoss er in der Verlängerung des Pokals ein Eigentor gegen den FC Bayern. Er sagt: "Seit ich denken kann, hat der Jahn Geldprobleme."

Früher hatte Eberl ein Lotto-Geschäft in der Residenzstraße. Er erinnert sich, wie er in den Nullerjahren Briefmarken aus dem Geschäft mit in die Jahn-Geschäftsstelle nahm. "Sonst hätten wir nicht mal mehr die Post beantworten können." Der Jahn ähnelte einem Auto, das eine Menge Sprit säuft und regelmäßig einen Totalschaden produziert. Doch anstatt verschrottet zu werden, zahlte der Bauunternehmer Volker Tretzel die anfallenden Reparaturen. Und die Fahrt ging weiter. Hoch und runter. So rasant, dass man beinahe übersehen hätte, wie sich in den vergangenen Jahren etwas gedreht hat.

Das hat auch mit Christian Keller zu tun. In seinem Büro liegen Bücher über Verhandlungstaktik, Unternehmensführung, "strategisches Management". Keller ist bestens gelaunt. Er könne sich an kein Jahn-Spiel erinnern, "bei dem man das Stadion viermal hätte ausverkaufen können". Vor vier Jahren hat sich Keller der Aufgabe verschrieben, aus dem dubiosen Jahn einen professionellen Fußballklub machen. "Mei, der Jahn" sollte raus aus den Köpfen.

Geschäftsführer Keller verordnete dem Klub einen Sparkurs, tauschte den verschwenderischen Motor, drosselte die Leistung. Prompt stieg der Jahn 2015 in die Regionalliga ab - gerade als das neue Stadion fertig wurde. Bei den naturgemäß skeptischen Regensburgern hatte Keller fortan einen schweren Stand: Der sei von auswärts, schimpften sie in der Kurve, trage schwarze Anzüge und rede gescheit über "professionelle Strukturen" und "strategische Ziele". So einer passe nicht zum Jahn, hieß es.

Inzwischen scheint es doch zu passen. Keller sagt: "Jetzt werde ich oft dafür gelobt, wie toll wir das gerade machen. Aber die wesentlichen Veränderungen haben wir schon 2013 und 2014 angestoßen, also in der Abstiegszeit. Jetzt wirken sie sich langsam aus." Die Zahl der Sponsoren ist in den vergangenen Jahren von 60 auf 210 gestiegen, der Jahn nimmt hier mehr Geld ein als zu Zweitliga-Zeiten. Keller hat dem Klub eine seriöse Lackierung verpasst. Bis im Januar die Regensburger Korruptionsaffäre hochkochte.

Regensburgs Ligazugehörigkeit seit 2004

2003/04 2. Bundesliga, 16. (Abstieg)

2004/05 Regionalliga Süd, 8.

2005/06 Regionalliga Süd, 17. (Abstieg)

2006/07 Bayernliga 1., (Aufstieg)

2007/08 Regionalliga Süd, 9.

2008/09 3. Liga, 15.

2009/10 3. Liga, 16.

2010/11 3. Liga, 8.

2011/12 3. Liga, 3. (Aufstieg)

2012/13 2. Bundesliga, 18. (Abstieg)

2013/14 3. Liga, 11.

2014/15 3. Liga, 20. (Abstieg)

2015/16 Regionalliga Bayern, 1. (Aufstieg)

2016/17 3. Liga 3., (derzeit Relegation)

"Vielleicht wird es einmal anders"

Tretzel, der langjährige Jahn-Mäzen, soll für sein Engagement bei Grundstücksvergaben von der Stadt bevorteilt worden sein. Er kam zwischenzeitlich in Untersuchungshaft, genau wie Joachim Wolbergs, Regensburgs Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender beim Jahn. "Ich habe gedacht: Das gibt es nicht", sagt Keller. "Auf einmal steht der Jahn in einem Rampenlicht, in das er gar nicht mehr wollte. Obwohl wir nichts dazu beigetragen, keinen Fehler gemacht hatten."

Es gehört zu den Pointen dieser Saison, dass sich das Team von Trainer Heiko Herrlich ausgerechnet in dieser Zeit in der Tabelle nach oben schob. Armin Wolf, eine Institution im Regensburger Radio, 800 Jahn-Spiele hat er kommentiert, sieht in der Krise einen Grund des Aufschwungs: "Das Team bildet einen verschworenen Kern. Da dringt von außen nichts rein." Man ist zusammengerückt in Regensburg.

Es bleibt die Frage, was kommt diesmal nach der Euphorie? Wieder ein Tief? "Vielleicht wird es einmal anders", hofft Hans Meichel. "Der Jahn ist ja inzwischen prima aufgestellt." Diese Erkenntnis hat sich offenbar auch außerhalb des Klubs durchgesetzt. Die fünf Trainingskiebitze kommen nämlich aus Malaysia, erfährt man auf Nachfrage, und absolvieren gerade eine Ausbildung an einer Regenstaufer Berufsschule. Der Besuch beim Jahn-Training gehört quasi zum Unterricht. Hier könne man etwas lernen, findet der Ausbildungsleiter, "über Führungsqualitäten".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3521024
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.05.2017/anla
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.