SSV Jahn Regensburg:Der Philosoph

Jahn Regensburg - Roger Stilz

"Neue Sachen auszuprobieren, ist mir genauso wichtig, wie die Dinge immer von verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das tut meinem Kopf gut": Roger Stilz, neuer Sportchef beim Jahn.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

In Roger Stilz nimmt ein weltgewandter Schweizer mit akademischem Lebenslauf seine Arbeit als Sportchef von Jahn Regensburg auf. Franz Kafka und Thomas Bernhard haben ihn im Studium begleitet - in der Praxis möchte sich der 44-Jährige nun möglichst schnell von seinem Vorgänger emanzipieren.

Von Mathias von Lieben

Dass in Roger Stilz ein weltgewandter Zeitgenosse in die Oberpfalz kommt, das wurde schon auf seiner ersten Pressekonferenz am Mittwochvormittag deutlich. Gefragt nach seinem vergangenen Engagement als Sportdirektor beim belgischen Zweitligisten Waasland-Bereven, einem Vorortsklub von Antwerpen, führte er als Motiv sprachliche Entwicklungsmöglichkeiten an: "Ich habe sowohl Englisch, Flämisch und Französisch sprechen müssen", sagte der neue Sportchef von Jahn Regensburg: "Neue Sachen auszuprobieren, ist mir genauso wichtig, wie die Dinge immer von verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Das tut meinem Kopf gut."

Wie viele Sachen er schon ausprobiert hat, wird beim neuen Sportchef des aktuellen Zweitligadritten Jahn Regensburg mit Blick auf seine Biographie schnell klar. Während seiner aktiven Karriere spielte Stilz, gebürtig aus St. Gallen, erst für vier Schweizer Vereine in der zweitklassigen Nationalliga B, bevor er 2004 für ein Germanistik-Studium nach Hamburg zog und beim linksalternativen FC Altona und Stadtnachbar SC Victoria anheuerte. Und das war erst der Anfang seiner recht steilen Karriere.

2013/2014 lotste ihn der Hamburger SV als Co-Trainer in den Volkspark und setzte ihm in seinen zwölf Monaten in Thorsten Fink, Rodolfo Cardoso, Bert van Marwijk und Mirko Slomka vier Trainer vor die Nase. Als Stilz mit Slomka den Verein in der Relegation gegen Greuther Fürth gerade noch so vor dem Abstieg gerettet hatte, wechselte er 2014 zum 1. FC Nürnberg - erst als Assistent von Valerien Ismael, dann von René Weiler. Anschließend kehrte er zurück nach Hamburg und leitete für vier Jahre das Nachwuchsleistungszentrum des FC St. Pauli. Bei seiner Vorstellung sagte er damals: "Die konzeptionelle Arbeit hatte mir immer schon gefallen."

Alleine diese Vita, sagte der Jahn-Vorstandsvorsitzende Hans Rothammer, qualifiziere den 44-jährigen Stilz rein fachlich für das Erbe von Christian Keller, dessen Vertrag als Alleingeschäftsführer überraschend nach achteinhalb Jahren Ende Oktober endete. "Wir wollten aber auch eine Persönlichkeit installieren, die die Werte des Jahn - gegenseitige Wertschätzung und ein menschliches Miteinander - vollends verkörpert. Bei Roger sind wir davon überzeugt, dass er das tun wird." Stilz wird von nun an gemeinsam mit dem neuen kaufmännischen Geschäftsführer, Philipp Hausner, die Verantwortung beim Jahn tragen. "Diese neue Konstellation ist zwar durchaus eine Herausforderung", sagte Stilz nun, "sie bietet aber auch mehr Gestaltungsspielraum und die Chance, neue Dinge anzuschieben."

Auch fernab des Sportlichen lohnt ein Blick in die Biographie von Stilz. Erst hat er eine Ausbildung zum Grundschullehrer in der Schweiz gemacht, bevor er in Zürich und Hamburg Germanistik, Geschichte und Philosophie studierte. Thema seiner Lizenziatsarbeit: Franz Kafka und Thomas Bernhard. Später, mit knapp 30, schrieb er als freiberuflicher Journalist für die Welt Konzertkritiken, einmal sogar einen Gastbeitrag für die sehr linke Fabrikzeitung aus Zürich. "Vom Konzertkritiker zum Sportchef", so hatte die NZZ mal ein Porträt über ihn betitelt.

Auch wenn Stilz eher links-sozialisiert ist, passt der bodenständige Schweizer mit seinem akademischen Background außerordentlich gut ins Jahn-Gefüge

Auch wenn Stilz eher links-sozialisiert ist und im konservativen Regensburg manchmal das raue Flair der Weltstadt Hamburg vermissen dürfte, passt der bodenständige Schweizer mit seinem akademischen Background außerordentlich gut ins Jahn-Gefüge. Neben Kapitän Benedikt Gimber, der Betriebswirtschaftslehre studiert, hat der Verein zwölf weitere Spieler im Kader, die entweder derzeit studieren oder bereits ein Studium oder eine Ausbildung hinter sich haben. Verteidiger Sebastian Nachreiner schreibt zum Beispiel an der Uni Regensburg an seiner Jura-Doktorarbeit, Jann George paukt für Klausuren in evangelischer Theologie. Durchaus vorstellbar, dass sie mit Stilz auch mal bei einem Glas Merlot über den Sinn des Lebens philosophieren.

Auf das sportliche Abschneiden dürfte Stilz während der ersten Wochen noch keinen großen Einfluss haben - auch wenn er im Gegensatz zu Christian Keller bei allen Spielen auf der Ersatzbank Platz nehmen will. Sollte der Jahn jedoch auf einem der Aufstiegsplätze überwintern, kommt auf Stilz die Herausforderung zu, das wachsende Missverhältnis zwischen dem Saisonziel Klassenverbleib und der tabellarischen Realität zu moderieren. "Klar ist das eine tolle Momentaufnahme. Dass wir aber in der vergangenen Saison den Klassenerhalt erst am letzten Spieltag geschafft haben, zeigt, wie schnell sich die Dinge ändern können."

Gefragt nach seinen Zielen und Visionen mit seinem neuen Verein gibt sich Stilz betont demütig. "Am ersten Tag gleich große Missionen auszurufen und dem Verein die eigenen Ideen überzustülpen, wäre unangemessen." Er habe einige Ideen, die er aber an die Gegebenheiten und die bestehende Vereinsidentität anpassen wolle. Zugleich deutete er vorsichtig an, sich mittelfristig von seinem Vorgänger emanzipieren zu wollen: "Man muss immer offen für neue Impulse sein." So oft, wie der neue Sportchef in 30 Minuten das Wort neu benutzte, wird es wohl nicht allzu lange dauern, bis seine Handschrift erkennbar sein wird.

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