Süddeutsche Zeitung

SSV Jahn Regensburg:"Das war's noch lange nicht"

Der neue Geschäftsführer Roger Stilz spricht im Interview über die Kraft der Worte, die Ziele des Jahn für die nächsten Jahre - und den Versuch, der Omikron-Variante des Corona-Virus mit professioneller Nüchternheit zu begegnen.

Interview von Mathias von Lieben

Seitdem der Schweizer Roger Stilz am 1. Dezember sein Amt als neuer Geschäftsführer Sport beim Fußball-Zweitligisten Jahn Regensburg angetreten hat, hat der Verein drei Spiele in Serie verloren und ist von Tabellenplatz drei auf Platz acht gerutscht. Trotzdem hat der Jahn mit 28 Punkten nach 18 Spieltagen den erfolgreichsten Saisonstart der Vereinsgeschichte hinter sich. Der Relegationsplatz ist nur zwei Punkte entfernt. Stilz, 44, soll in der Oberpfalz nun an die erfolgreiche Arbeit von Vorgänger Christian Keller anknüpfen. Einst selbst als Spieler in der Schweizer Nationalliga B und in der deutschen Regionalliga aktiv, war Stilz zuletzt Sportdirektor des belgischen Zweitligisten Waasland-Beveren. Davor leitete er fast fünf Jahre lang das Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC St. Pauli und war Co-Trainer beim Hamburger SV sowie beim 1. FC Nürnberg.

SZ: Herr Stilz, beim Blick auf Ihre Vita kann man schon mal durcheinanderkommen: Ausbildung in der Schweiz zum Grundschullehrer, Studium der Germanistik, der Allgemeinen Geschichte und Philosophie in Zürich und Hamburg. Außerdem haben Sie vor Ihrer Karriere im Fußball als freiberuflicher Journalist gearbeitet. Sind Sie ein Exot?

Roger Stilz: Vielleicht ist mein bisheriger Lebenslauf auf eine gewisse Weise ungewöhnlich. Andererseits habe ich ja auch sehr lange Fußball gespielt. Im Endeffekt ist das für mich auch nicht relevant. Relevant ist, ob ich eine gute Arbeit verrichte und den Verein voranbringen kann. Es geht um Leistung und um Inhalt. Aber klar ist auch: Diese etwas bunte Biografie, das bin ich. Das ist mein Rucksack, den ich über die Jahre gefüllt habe.

Können Sie in Regensburg von dem vollen Rucksack profitieren?

Ich kann viele meiner Erfahrungen einbringen. Mit Blick auf meine Lehrer-Ausbildung glaube ich beispielsweise, dass pädagogisches und methodisches Grundgeschick auch im Fußball sehr hilfreich sein kann. Denken Sie nur an Gespräche mit Spielern. Oder an die Fähigkeit, sich selbst und den Mitarbeitern eine grundsätzliche Tagesstruktur zu geben. Die Fußballlehrer-Lizenz und die verschiedenen Trainerstationen haben mein Verständnis vom Fußball geschärft und weiterentwickelt. Und außerdem glaube ich, Stichwort Studium, an die Kraft der Worte. Es ist wichtig, wie man mit den Menschen spricht, dass man zuhören kann und sich gemeinschaftlich in einem konstruktiven Diskurs verbessert.

Gutes Stichwort. Der Jahn hat den erfolgreichsten Saisonstart der Vereinsgeschichte hinter sich. Hat Ihr Vorgänger Christian Keller, der den Verein Ende Oktober verlassen hat und kommenden April beim 1.FC Köln Sportdirektor wird, nicht bereits das Maximum aus dem Verein herausgeholt?

Diese Geschichte ist geschrieben worden und ist eng mit Christian, aber auch allen anderen Mitarbeitern hier verbunden. Aber der Fußball verzeiht es nicht, wenn man sich auf etwas ausruht. Dementsprechend ist der SSV Jahn sehr gut beraten, sich immer wieder bewusst zu werden, wer er ist, wo er hinwill und was es zu ergänzen gibt. Und dafür bin ich da, mit Mut und Demut zugleich. Man kann nach dieser ordentlichen Vorrunde natürlich sagen: das war's. Aber das war's noch lange nicht.

Welche Ziele haben Sie denn mittelfristig mit dem Jahn?

Die aktuelle Saison war bislang gut, keine Frage. Und ich möchte auch nicht tiefstapeln. Aber in der vergangenen Saison, das ist gerade einmal ein halbes Jahr her, haben wir erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt geschafft. Deswegen sind wir gut beraten, uns in den nächsten Monaten und Jahren erst einmal weiter zu stabilisieren, um zu einem etablierten Mitglied der zweiten Bundesliga zu werden. Denn wir sehen ja, wie schnell das gehen kann - und zwar in beide Richtungen.

"In der Kunst, in der Musik und in der Literatur sagt man oft, dass aus dem Chaos Großes entstehen kann. Im Fußball ist das nicht so."

Aufstiegs-Träume sind also kein Thema?

Jeder weiß, woher wir kommen. Jeder weiß, wo wir vor sechs Monaten waren. Und damit ist auch schon alles gesagt. Schauen wir doch beispielhaft nach Heidenheim. Die spielen jetzt seit vielen Jahren zurecht oben mit und sind bisher trotzdem nicht aufgestiegen. Und in dieser Saison spielen außerdem traditionelle Bundesligisten wie Schalke, Bremen und Hamburg in der zweiten Bundesliga. Wem etwas anderes für den Jahn vorschwebt, der ist nicht realistisch.

Wie entwickelt man denn einen Verein wie den SSV Jahn und das Fußballspiel weiter?

In der Kunst, in der Musik und in der Literatur sagt man oft, dass aus dem Chaos Großes entstehen kann. Im Fußball ist das nicht so. Ich glaube im ersten Schritt an klare Strukturen und an ein Organigramm in einem Fußballverein. Und wenn die Struktur vorhanden ist, kann eine eigene Kultur entstehen. Sind diese beiden Punkte gegeben, dann ist Platz für Kreativität - auf und neben dem Spielfeld. Ich habe den größten Respekt vor den gewachsenen Strukturen, der klaren Identität, die hier in Regensburg implementiert wurde. Es gibt ein klares Spielsystem und eine klare Philosophie. Das wollen wir erhalten und gleichzeitig überlegen, welche Farbtupfer wir 2022 setzen können, damit wir uns weiterentwickeln und konkurrenzfähig bleiben.

Dürfen sich die Fans nun in Regensburg auf einen offensiven, unterhaltsamen Fußball freuen?

Was bedeutet unterhaltsam? Finden Sie, Atlético Madrid spielt unterhaltsamen Fußball? Ich finde schon. Ihrem Spiel liegt aber ein äußerst defensiver Grundgedanke zugrunde. So einfach lässt sich die Frage also nicht beantworten. Ich möchte, dass sich unsere Fans mit der Spielweise der Mannschaft jede Woche und an jedem Spieltag identifizieren können. Und dafür braucht es eine DNA. Diese zu entwickeln und zu erhalten ist nicht so einfach. Daran wollen wir stets arbeiten. Ein Faktor ist aber klar: Wenn Sie die finanziellen Möglichkeiten manch anderer Zweitligaklubs sehen, dann werden wir hier nicht jede Woche ein Offensivfeuerwerk abhalten können.

Gehört zu der DNA denn auch Trainer Mersad Selimbegovic?

Ich habe Mersad jetzt fast jeden Tag gesehen, viel mit ihm gesprochen und auch seine Arbeit beim Training und während der Spieltage erlebt. Allein die Punkte, die Mersad zusammen mit der Mannschaft in der bisherigen Saison erzielt, sprechen für ihn. Und auch die Art und Weise, wie die Mannschaft seit Wochen auftritt. Ich habe Mersad bisher als sehr offenen und guten Trainer kennengelernt.

Ein Faktor, der sowohl von Ihnen als auch den Vereinsverantwortlichen als Grund für Ihre Verpflichtung genannt wurde, waren die gemeinsamen Werte wie Bodenständigkeit und Glaubwürdigkeit. Spielen solche Werte im Profifußball denn überhaupt noch eine Rolle?

Ein klares Wertefundament in einem Verein wie beim SSV Jahn, das im besten Fall organisch gewachsen ist, ist dann unabdingbar, wenn man sich zum Ziel setzt, in die Herzen der Menschen vorzudringen. Ich glaube, dass das Identifikationspotenzial so deutlich größer ist, als wenn etwas künstlich übergestülpt wird. Wenn ein externer Investor kommt und sagt, so machen wir das, ohne die Menschen zu kennen, dann kann das sowohl resultattechnisch als auch finanziell funktionieren. Aber es fehlen unter Umständen Identität, Emotion und Verbundenheit. Ich will nicht beurteilen, was besser oder schlechter ist. Aber hier in Regensburg ist eine Wertegemeinschaft entstanden und ich fühle mich sehr wohl damit.

"Es gibt selbstverständlich keinen Kausalzusammenhang zwischen viel Geld und keinen Werten."

Sie waren vor Ihrem Engagement beim Jahn Sportdirektor beim belgischen Zweitligisten Waasland-Beveren, der zu 97 Prozent dem Konglomerat Bolt Football Holdings gehört. Dahinter steht der amerikanische Milliardär David Blitzer, der auch Anteile an zwei NBA-Teams, einem NHL-Team, Premier-League-Klub Crystal Palace, Estoril in Portugal und dem FC Augsburg hat. Gab es da auch diese Wertegemeinschaft?

Ich kann sagen, dass ich bei "Bolt" sehr wohl Menschen mit klaren Grundwerten kennengelernt habe. Es gibt selbstverständlich keinen Kausalzusammenhang zwischen viel Geld und keinen Werten. Klar ist aber, dass mit dem Fußball Geld verdient wird und auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Man kann also zum einen nicht sagen, dass früher alles besser war und die Werte verloren gegangen sind, und zum anderen kann man nicht romantisch und realitätsfremd die aktuellen Entwicklungen übersehen. Es gibt heute viele Modelle, die es zu diskutieren gilt. Investoren-Modelle, die funktionieren oder nicht. Aber auch Traditionsvereine, die sehr gute Arbeit verrichten, aber teilweise auch das Geld ihrer Mitglieder zweckentfremdet haben. Und es gibt wertebasierte Traditionsvereine, die die Sache gut machen. Am Ende muss jeder wissen, wo er sich besser aufgehoben fühlt. Aber wenn man sich unsere Nachbarländer anschaut, dann geht die Tendenz eher in die Richtung, dass immer mehr Vereine von Investoren-Modellen angetrieben werden. Belgien war für mich eine interessante und lehrreiche Erfahrung, die aber mit dem SSV Jahn nicht zu vergleichen ist.

Welches Modell bevorzugen Sie?

Auf jeden Fall 50+1. Ich bin der Meinung, dass die Vereinsgeschichte und die gesellschaftliche Verbundenheit in die Stadt und Region die Triebfeder unserer Arbeit sind. Und das sollte auch so bleiben. Und mit Blick auf finanzielle Aspekte sollten wir vor allem die wirtschaftlichen Möglichkeiten in unserer Region ausschöpfen. Ich glaube, das hat eine größere Kraft.

Lassen Sie uns zum Schluss noch auf die Corona-Pandemie blicken: Die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Bayern, Hendrik Wüst und Markus Söder, hatten im Zuge der Diskussion um den ungeimpften Bayern-Profi Joshua Kimmich eine Impfpflicht für Fußballprofis gefordert. Nachvollziehbar?

Wir haben auf der Geschäftsstelle und im sportlichen Bereich, also sowohl bei den Trainern als auch bei der Mannschaft, eine 100-prozentige Impfquote. Damit ist unsere Haltung in dieser Debatte klar. Die Winterpause haben wir für Booster-Impfungen genutzt und wir haben weitere Schritte auf der Agenda. Ich muss diese Situation deswegen nicht auch noch politisieren.

Kaum ein Profifußballklub bleibt zum Start ins neue Jahr verschont von Meldungen über Corona-Infektionen mit der neuen Omikron-Variante und entsprechende Quarantäne-Maßnahmen. In anderen Sportarten müssen längst Spiele verlegt werden. Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung?

Wir versuchen, der Gemengelage mit einer professionellen Nüchternheit zu begegnen. Dabei ist das Zusammenspiel zwischen medizinischer Abteilung, Trainerteam und Geschäftsführung entscheidend. Wir folgen selbstverständlich den Vorgaben und haben uns in der Prävention wie erwähnt so gut wie möglich gewappnet.

Haben Sie Hoffnung auf Besserung?

Ich bin ein hoffnungsvoller und positiver Typ. Ich bin mir sicher, dass wir das gemeinsam als Gesellschaft packen. Aber es dauert alles schon sehr lange an und es ist mittlerweile wirklich zäh in manchen Momenten. Ich kann die Leute gut verstehen, wenn sie etwas müde sind. Ich hoffe, dass wir das in den Griff kriegen.

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