Süddeutsche Zeitung

SSC Neapel:Mertens statt Messi

In Neapel stellt der Belgier den besten Fußballer der Welt beim 1:1 gegen Barcelona in den Schatten.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenigstens die Sicht von oben, aus dem Hotel, war erhaben. Der Vesuv, der Golf von Neapel, die enge Stadt mit ihrem wunderbaren Gewusel, und Capri so nah. Der FC Barcelona wohnte nicht in einem dieser Fünfsternehäuser direkt am Lungomare, der Meerespromenade, sondern in einem Glaskasten etwas dahinter mit Sicht über alles. Fünf Stockwerke hatten sie gebucht, vom 26. bis zum 30. Offenbar wollte man auch ein bisschen abgeschirmt sein, in Zeiten des Coronavirus. Das ist zwar noch nicht in Neapel angekommen, zumindest gibt es da noch keine bekannten Infektionsfälle. Im Stadio San Paolo zum Achtelfinale Napoli gegen Barça saßen dann aber doch etliche Zuschauer mit Gesichtsmasken auf den Rängen, für alle Fälle.

Es hätte ein "esoterischer Abend" werden können, wie es eine Zeitung schrieb. Erwartet wurde, dass Diego Armando Maradona seine ungefähre Inkarnation, seinen Landsmann Lionel Messi, an der Hand in seinen alten Tempel führen würde. Nicht leibhaftig zwar, Maradona reiste am Ende dann natürlich doch nicht an. Aber mit der baren Suggestivkraft, die in diesem Moment steckte. Napoli gegen Barça war mindestens zu hundertzehn Prozent dieser Premiere gewidmet: Messi an Maradonas Stätte der Glorie - er hatte da noch nie gespielt. Nach der Begegnung kann man sich fragen, ob dem wohl besten Fußballer der Gegenwart das Pathos gegeben ist, von der Überhöhung unweigerlich lebt. Eher nicht.

Messi geht mit der Bedeutungsschwere solcher Spiele um, wie er mit seiner Klasse lebt: recht bescheiden, leise. "Melancholisch", findet die Gazzetta dello Sport.

Am Ende stand es 1:1, und so fühlte sich der Abend auch an. "In der Nacht von Maradona und Messi taucht Mertens auf", titelte Il Mattino, die Lokalzeitung Neapels.

Dries Mertens, so heißt ein schmächtiger Belgier, 32, mit langer Zunge, die er zum Jubel weit aus dem Mund streckt. Sieht merkwürdig aus, ein bisschen so wie die Gesichter der neuseeländischen Rugbyspieler beim Haka, dem Tanz vor dem Spiel. Bei Mertens soll es eine Hommage an einen Bediensteten des Vereins sein, der, so hört man, die Spieler jeweils in der Kabine mit Grimassen animiert.

Messi in Maradonas Stätte? Die Fans im San Paolo singen zur Begrüßung Lieder über Diego

Dieser Mertens also, den sie in Neapel nach sieben Jahren beim Klub "Ciro" rufen, als wäre er ein Sohn der Stadt, traf so, wie man das von Messi hätte erwarten können: mit einem schönen Schlenzer ins entferntere Eck. Es war sein 121. Tor für Napoli, auf der Allzeitrangliste der besten Torschützen des Vereins liegt er jetzt gleichauf mit Marek Hamsik, ganz oben. An dritter Stelle: Diego Armando Maradona, mit 115 Toren. Es gab "Olé-olé-olé-olé, Ciro, Ciro"-Chöre, vielleicht hilft das nun bei der Vertragsverlängerung.

Überhaupt, die Chöre: Als Messi das Stadion betrat, begrüßten sie ihn mit einem Reigen von Gesängen aus einer anderen Zeit, alle waren sie für Diego, auch die ultimative Reverenz war da. "O mamma, mamma, mamma, ho visto Maradona." Oh Mamma, ich habe Maradona spielen sehen. Was kann da noch kommen? Ein Zuschauer hielt ein Schild hoch, darauf stand: "Benvenuto nella casa di D10S." Willkommen im Haus Gottes. Die 10 im Wort Dios steht für die Rückennummer Maradonas.

Messi spielte im Zentrum des Angriffs, mal als richtiger, mal als falscher Neuner, flankiert von Arturo Vidal, einem sehr falschen Flügel, und von Antoine Griezmann, der auch nicht gerade gerne über links kommt. Aufs Tor schoss Messi nie, und das war nicht unwesentlich dem taktischen Design von Napolis neuem Trainer Gennaro Gattuso geschuldet. Der hat seine Mannschaft so disponiert, mit zwei dicht stehenden Abwehrlinien, dass die Korridore vor Messi immer zugestellt waren. Es war aber nicht ein Käfig im herkömmlichen Sinn, den sie da um den Star herum errichteten, Messi wurde auch kaum mal gefoult: Es war mehr ein Netz, ein Wald, ein Wald von Beinen. Auch Napolis Flügelstürmer Lorenzo Insigne und José María Callejón halfen oft hinten aus. Da blieb nicht viel Platz für Manöver, nicht einmal für Dribblings. Und Messi schien der Sinn nicht wirklich danach zu stehen, sich groß in Szene zu setzen an Maradonas heiliger Stätte, vielleicht aus Respekt?

Es reichte eine kurze Unachtsamkeit im Geflecht, ein Sekundenschlaf Napolis, und schon schnitt sich der Ball einen Weg direkt ins Zentrum, dahin, wo's wehtut, und da stand nicht Messi, sondern Nelson Semedo, der legte ab auf Griezmann, der nur vollenden brauchte. Es war ein Abend mit zwei chirurgischen Eingriffen. Esoterik? War nicht. Das Unentschieden, fand Gattuso danach, lasse alles offen fürs Rückspiel. Nur dass dann Respekt keine Rolle mehr spielt.

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SZ vom 27.02.2020
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