Man kennt das vom Münchner Oktoberfest: In jedem der großen Bierzelte gibt es einen Bereich, der dem Chef und seinem Gefolge vorbehalten ist. Eine solche „Wirtsboxe“ hat sich auch Manfred Schwabl im Biergarten hinter dem Unterhachinger Stadion bauen lassen. In diesem mit einer Holz-Balustrade abgetrennten Bereich hält er Hof, kaum ein Gast, der nicht zumindest kurz vorbeischaut, um dem Präsidenten des Fußball-Drittligisten SpVgg Unterhaching die Hand zu schütteln oder ihn gleich in ein längeres Gespräch zu verwickeln.
Dabei hat Schwabl zwei Wochen vor dem Saisonstart am 4. August bei Borussia Dortmund II kaum Zeit zum Durchatmen. Noch ist der Kader nicht komplett, es fehlt ein Innenverteidiger, der idealerweise auch Qualitäten als defensiver Mittelfeldspieler hat. Und ein Ersatztorwart. Denn René Vollath, der bereit war, seinen Stammplatz zu räumen und künftig als Back-up und Mentor für U17-Weltmeister Konstantin Heide da zu sein, hat den Verein nun doch verlassen. Er wechselte ausgerechnet zum Lokalrivalen 1860 München.
„Letztlich hatte jeder seinen Anteil daran, dass uns René verlassen hat“, sagt der Hachinger Präsident. Vollath selbst hatte vor gut zwei Wochen bekanntgegeben, seinen Nebenjob als Torwart-Trainer der Profis und Leiter der Hachinger Keeper-Akademie aufzukündigen und nicht mehr auf eine Verlängerung seines bis 2025 gültigen Vertrags zu setzen, die ihm längst zugesagt worden war. Mittlerweile ist der Transfer zu den Löwen vollzogen, nach SZ-Recherchen fließt eine Ablösesumme in Höhe von 90 000 Euro für den 34-Jährigen, der sich zudem dazu verpflichtet haben soll, 15 000 Euro für Unterhachings Wohltätigkeitsprojekt „Haching schaut hin“ zu spenden.
Damit wechselte jetzt schon der dritte Stammspieler der Rot-Blauen nach der abgelaufenen Saison an die Grünwalder Straße – nach Stürmer Patrick Hobsch und Verteidiger Raphael Schifferl, die keine gültigen Verträge mehr bei der SpVgg hatten. „Hobschi hat mir schon im Winter gesagt, dass er zu Sechzig will und ich verstehe das“, sagt Manfred Schwabl. Bei Schifferl, der aus dem österreichischen Wolfsberg ausgeliehen war, habe es keine Möglichkeit gegeben, ihn zu verpflichten: „Er wollte in die zweite Liga.“ Böses Blut wegen Vollath gebe es nicht, ergänzt der Hachinger Präsident. Er habe sich mit 1860-Geschäftsführer Christian Werner ausgesprochen.
Die prominenten Weggänge werden durch U21-Spieler ersetzt, das bringt Geld aus den DFB-Fördertöpfen
Nun gilt ohnehin die volle Konzentration bei den Unterhachingern der heißen Phase der Vorbereitung, die bisher von den Testspielergebnissen her alles andere als erbaulich verlaufen ist. 1:1 gegen den Regionallisten Wacker Burghausen, 2:3 gegen den FC Bayern II, ebenfalls Regionalligist, und am Mittwochabend im Sportpark eine 1:3-Niederlage gegen den Zweitligaaufsteiger SSV Ulm, so lauten die jüngsten Ergebnisse. Für Schwabl kein Grund zur Sorge: „Wir hatten in den drei Spielen schwere Beine, die Vorbereitung ist gnadenlos hart.“
Das habe sich auch beim Trainingslager in Schlanders in Südtirol gezeigt, wo das Team gleich 30 Bergläufe absolvieren musste. „Und weil zehn der Jungs sogar noch einen 31. Lauf durchgezogen haben, gab’s von mir 500 Euro für die Mannschaftskasse“, sagt der Präsident. All die prominenten Weggänge, die das Team durch die erfolgreiche Saison 2023/24 getragen hatten, etwa auch die Welzmüller-Brüder Maximilian und Josef (beide Karriereende), Jugend-Nationalspieler Maurice Krattenmacher (FC Bayern, weiterverliehen nach Ulm), der Schweizer U21-Auswahlspieler Aaron Keller (Leihe Ulm) oder Stürmer Mathias Fetsch (SC Freiburg II), wurden durch junge Talente ersetzt. Schließlich soll der Kurs fortgesetzt werden: Durch den Einsatz von möglichst vielen U21-Spielern den Großteil des DFB-Fördertopfes abgreifen und potenziell lukrative Verkaufskandidaten ausbilden.
In der Nach-Sandro-Wagner-Ära hat der Kader einen Altersdurchschnitt von 22 Jahren
„Wir starten nach der Sandro-Wagner-Ära in eine neue Zeitrechnung“, nennt Schwabl den gewaltigen Umbruch in der Mannschaft. Der gesamte Kader habe nun einen Altersschnitt von 22 Jahren, er gehe davon aus, dass die Stamm-Elf mit einem Schnitt von etwa 25 Jahren in die Saison gehe. Wer von den jungen Zugängen das Zeug zum Leistungsträger hat, will der Präsident nicht prognostizieren: „Erst mal sehen, wer durch die Vorbereitung gut durchkommt.“ Einen starken Eindruck macht Stürmer Lenn Jastremski, der in der vergangenen Saison vom FC Bayern an den Grazer AK verliehen war und maßgeblich zum Bundesligaaufstieg der Steirer beitrug. Ausgerechnet im Test gegen Bayern II traf er doppelt.
Noch unklar ist, inwiefern Luc Ihorst, 24, zum Saisonstart schon fit sein wird: Der 1,90 Meter große Mittelstürmer, der ablösefrei von Eintracht Braunschweig geholt wurde, laboriert an Oberschenkelproblemen, die auf andere Körperregionen ausstrahlen. Andere Neue wie Verteidiger Ben Schlicke (von Greuther Fürth) oder Flügelstürmer Andy Breuer (von Saarbrücken), beide 18, sind noch sehr unerfahren im Männerfußball. Dennoch glaubt Schwabl daran, dass sein Team auch in der zweiten Saison nach dem Aufstieg die Klasse halten kann: „Ich bin zumindest bedingt optimistisch.“
Eine Einstellung, die er mit Cheftrainer Marc Unterberger teilt. Der hatte schon beim Trainingsauftakt vor einem Monat geradezu euphorisch geklungen: „Ich freue mich, aus diesem Haufen eine Mannschaft zu machen“, sagte Unterberger und betonte, dass er es aus seiner Zeit als Jugendtrainer gewohnt sei, „jedes Jahr mit 20 Neuzugängen zu arbeiten“.
Der Präsident hat indes noch eine andere Baustelle: Mittlerweile gibt es ein klares Bekenntnis des Unterhachinger Gemeinderats zum Verkauf des Sportparkstadions inklusive der Nebenplätze, Gaststätte und VIP-Haus an den Verein. Laut einem unabhängigen Gutachten soll das 42 000 Quadratmeter große Areal 7,56 Millionen Euro netto kosten, nachdem man vor vier Jahren bereits mit der Kommune einig war, nur für das Stadion 3,3 Millionen Euro zu bezahlen. Nun muss die Finanzierung auf ganz andere Beine gestellt werden. „Wir werden jetzt die Köpfe zusammenstecken und schauen, wie wir das machen“, sagt Hachings Vize Peter Wagstyl. Und vielleicht bekommt Manfred Schwabl dort dann ja irgendwann eine eigene Loge, vergleichbar mit seiner Wirtsboxe im Biergarten.