Irgendwann, das Gespräch dauert schon fast eine halbe Stunde, da versetzt sich Jan Siewert gedanklich in sein Kinderzimmer. Er ist in Hausen aufgewachsen, einem Stadtteil von Mayen, rund eine halbe Autostunde entfernt von Koblenz. Sein damaliger Trainer habe ihn enorm geprägt, erzählt Siewert: „Er hat mich schon in der C-Jugend gefühlt nach jedem Spiel angerufen und gefragt, wie ich das Spiel gesehen habe. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was das soll. Ich habe dann zu Hause gesessen und aufgeschrieben, was mir eingefallen ist.“ So ging sie im Grunde also los, Siewerts Trainerkarriere, die ihn vor gut vier Wochen zur SpVgg Greuther Fürth geführt hat.
Ein Nachmittag in dieser Woche, Jan Siewert, 42, empfängt in einer schwarzen Trainingsjacke in seinem Büro im ersten Stock des Trainingszentrums und lässt sich auf einem grünen Sitzwürfel nieder, der neben einem kleinen Sofa steht. An der Wand hängen weiße Tafeln mit Magneten, das Fenster gibt den Blick auf die Trainingsplätze frei. Diese drei auf vier Meter sind seit etwas mehr als einem Monat sein Reich.
„Gefühlt“, sagt Siewert allerdings, „bin ich schon ein halbes Jahr hier. Die Zeit ist verflogen.“ Es sind eine Menge Eindrücke, die in seinen ersten Wochen auf ihn eingeprasselt sind, bevor es nun am Sonntag gegen Hannover 96 geht: Auftakt gegen den Karlsruher SC (2:3), dann das erste Auswärtsspiel in Ulm (1:1) und zuletzt der erste Sieg gegen Hertha BSC (2:1). Es war erst der dritte, den Siewert im Profifußball gefeiert hat – und das im 34. Spiel. Siewert zählte bislang also meistens zu den Verlierern. Bevor er nach Fürth kam, hielt er sich beim FSV Mainz 05 nur drei Monate auf der Bundesliga-Bank, bei Huddersfield Town musste er schon nach sieben Monaten gehen. Mit beiden hatte er nur jeweils ein Mal gewonnen. Eine Statistik, die Unsicherheit säen könnte, vielleicht sogar Selbstzweifel. Aber davon ist in Siewerts Trainerbüro nichts zu spüren.
Fürths Trainer spricht jetzt von Entwicklung. „Wenn jemand aufhört zu lernen, ist er auf dem falschen Weg“, sagt Siewert und formuliert dann noch einen Satz, der eine Menge über ihn aussagt: „Mein Auftrag ist es, die beste Version der Spieler herauszuholen. Erst dadurch kann auch ich die beste Version von mir werden.“
Er habe gelernt, herauszufinden, was der Charakter einer Mannschaft ist, sagt Siewert
Es sind ungewöhnliche Töne in einer Branche, in der es viele gibt, die sich mit einer gewissen Breitbeinigkeit in den Vordergrund drängen. Siewert hingegen, das wird im Gespräch immer wieder deutlich, versteht sich selbst als Lernender. Im Austausch mit den Spielern wird auch er besser. Er, Siewert, ist einer von ihnen. Deshalb bringt es auch ihn weiter, eine Mannschaft weiterzubringen. So sieht er das. Und so kommt im Gespräch gar nicht erst der Hauch von Zweifeln auf. Siewert weiß selbst, dass er vor ein paar Jahren noch nicht so weit war wie heute. „Über die Entwicklung der Spieler habe ich mich auch entwickelt“, sagt Fürths Trainer, „der Jan Siewert, der vor fast zehn Jahren mit 32 in Essen angefangen hat, ist definitiv nicht mehr der Jan Siewert von heute.“
Inzwischen, und das sei wohl der größte Fortschritt, verstehe er Mannschaften besser. Welche Prozesse gerade im Gange sind, was die Gruppe benötige, welche Knöpfe er wann drücken muss. Seine Fühler sind feiner geworden. Er habe gelernt, herauszufinden, was der Charakter einer Mannschaft ist, sagt Siewert und stellt dann ein paar Fragen, die er sich selbst stellt, um ein Team zu verstehen: „Was ist wichtig? Was ist der Kern der Mannschaft? Und was bedeutet das dann für meine Idee, Fußball spielen zu lassen?“
Für Fürth ist Siewerts Verpflichtung auch eine Rückkehr zu sich selbst. Die SpVgg hat sich ja eigentlich einem gepflegten Ballbesitzstil verschrieben, doch Siewerts Vorgänger, Alexander Zorniger, stand eher für einen Sprinterfußball, der das Augenmerk darauf legte, worauf es ankommt, wenn die anderen den Ball haben. Mit Siewert will das Kleeblatt wieder zurück zum Fürther Flachpass, der längst identitätsstiftend geworden ist. Wenn Siewert im Büro über seine Idee von Fußball spricht, fällt immer wieder das Wort „Aktivität“. Das ist ihm besonders wichtig. Er will, dass seine Mannschaft ihr Spiel dem Gegner aufzwingt – und nicht umgekehrt.
„Ich finde es wichtig, dass die Spieler aus Überzeugung schieben und ich sie dabei unterstütze.“
Aktivität ist auch deshalb ein zentraler Begriff, weil Siewert ihn selbst mit jeder Faser verkörpert. Er sprüht nicht nur vor Energie – sie schießt beinahe aus ihm heraus. Im Gespräch merkt man das auch daran, dass er immer wieder seine Hände benutzt, wenn er sich erklärt.
Siewert legt jetzt dar, wie er seine neue Mannschaft führt. „Ich finde es wichtig, dass die Spieler aus Überzeugung schieben und ich sie dabei unterstütze“, sagt Fürths Trainer. Er meint: Die Spieler sind die Aktiven – er begleitet sie bloß und hilft ihnen auf ihrem Weg. Auch diese Ansicht ist im Fußball, der ja auch eine Welt der Wichtigtuer und Selbstdarsteller ist, nicht allzu verbreitet. Doch Siewert hat nichts Eitles an sich, nichts Stelzfüßiges.
Als er in Mainz Interimstrainer war und gefragt wurde, wie es denn für ihn sei, nur bis auf Weiteres im Amt zu sein, da sagte er: „Welcher Bundesligatrainer ist denn nicht Trainer bis auf Weiteres?“ Es war eine spontane Gegenfrage und eine ziemlich gute Antwort, erfrischend, etwas spitzzüngig, der Realität tief ins Auge schauend. Auch das ist Jan Siewert.