Sprinter Asafa Powell:Ein unvollendetes Genie

Immer noch schnell, aber nicht so schnell wie Usain: Der frühere Sprint-Weltrekordler Asafa Powell steht im Schatten der Überfigur Usain Bolt. Bei den Olympischen Spielen in London unternimmt der 29-Jährige nun den x-ten Versuch, doch noch eine Einzel-Goldmedaille zu gewinnen.

Thomas Hahn, Rom

Finstere Wolken sind aufgezogen über der Miene des Sprinters Asafa Powell, alles an ihm sieht nach Gewitter aus, und wenn ihn eine Frage erreicht, antwortet er in knappen Sätzen. Powells Laune ist bescheiden, was vielleicht auch an der Konstellation dieser Zusammenkunft am späten Donnerstagabend liegt. Powell ist zur Pressekonferenz nach dem 100-Meter-Rennen beim Diamond-League-Meeting in Rom dazugerufen worden, als Begleiter von Usain Bolt.

Asafa Powell press conference in Rome

"Die Ziellinie ist mein Ziel, nicht Bolt oder irgendjemand sonst": Asafa Powell versucht, den Anschluss an Weltrekordler Usain Bolt nicht völlig zu verlieren.

(Foto: dpa)

Ein undankbarer Job, denn neben Olympiasieger Bolt wirkt zur Zeit jeder blass, erst recht an einem Abend wie diesem, an dem Bolt die 100 Meter in 9,76 Sekunden runtergerissen hat. Powell ist Zweiter in 9,91 Sekunden geworden und dabei so schräg aus den Blöcken gekommen, dass er am Anfang in die Bahn seines Nebenmannes trat. Bolt ist zufrieden. Die Römer haben ihn gefeiert, seine Pantomimen kamen wieder erstklassig an, seine Zeit natürlich auch, und dann hat er auch noch die italienische Fahne durchs Olympiastadion getragen. So ein Spaß. "Ich schätze die Zuschauer", sagt Bolt, "sie haben mir viel Liebe gegeben." Asafa Powell sagt: "Ich bin sauer."

Es gab eine Zeit, da ist der Jamaikaner Asafa Powell, 29, die Sensationsfigur der Leichtathletik gewesen, nicht sein jüngerer Landsmann Usain Bolt, 25. Da hat Powell die Maßstäbe im Sprint gesetzt mit seiner aufrechten Art zu laufen, mit seinem explosiven Start, mit seinen Zeiten von 9,77 bzw. 9,74, die zwischen 2005 und 2007 insgesamt vier Mal Weltrekord bedeuteten. Powell war der erste Sportler, der seinen Landsleuten im großen Stil zeigte, dass man nicht in die USA auswandern muss, um etwas Besonderes zu erreichen, dass man genauso daheim in Kingston bleiben kann auf der kleinen Karibik-Insel. Powell war die Vorzeigekraft des eigenwilligen Trainers Stephen Francis, der sich mit seinem Klub MVP gerne auch gegen das jamaikanische Sport-Establishment stellte.

Und heute? Powell gehört immer noch zu den schnellsten Menschen der Welt mit seiner Bestzeit von 9,72 (2008), er ist immer noch eine Attraktion und der prominenteste Francis-Schüler. Trotzdem wirkt er wie die tragische Figur des Sprints, wie ein unvollendetes Genie, das im entscheidenden Augenblick immer scheitert.

In diesem Olympiajahr läuft Powells x-ter Versuch, das Einzel-Gold zu gewinnen, das ihm fehlt, und endlich den wilden Verrissen etwas entgegenzusetzen, denen er sich in Jamaika immer wieder ausgesetzt sieht. Aber eigentlich läuft schon wieder alles darauf hinaus, dass Powell am Ende als Verlierer vom Platz geht, allenfalls abgefunden als Mitgewinner in Jamaikas Staffel oder als Bronze-Platzierter wie 2009 bei der WM in Berlin. An Bolt ist so verdammt schwer vorbeizukommen für ihn.

Im Sommer 2008 fing Bolt an, die Weltrekorde über 100 und 200 Meter und jeden Titel an sich zu reißen, den es gibt. Seither läuft die Bolt-Show, der Powell einfach nichts entgegensetzen kann. Über 200 Meter sowieso nicht, die läuft Powell nämlich so gut wie nie. Aber auch sonst: Bolt gewinnt und versetzt die Leute in Begeisterung mit seinen Clownerien. Powell gewinnt nicht - und Clownerien macht er keine.

Powell fehlt der nötige Killer-Instinkt

Alles wirkt so perfekt bei Bolt, die Show, die Zeiten, die Dramaturgie des Auf und Ab. Selbst nach Enttäuschungen schlägt Bolt zuverlässig zurück. Vergangene Woche lief Bolt in Ostrau die 100 Meter in 10,04 Sekunden. Kopfschütteln. Staunen. Wie kann der Bolt nur? "Ich hatte einen schlechten Tag", sagte Bolt und konterte in Rom mit seinen 9,76, die vor fünf Jahren noch Weltrekord bedeutet hätten. Er habe besser geschlafen und vernünftiger gegessen, erklärte Bolt. Er, der Fastfood-Freund, der sich nach seinen Coups immer zum Genuss von Hühner-Nuggets bekannt hatte? "Ich esse schon immer noch Fastfood", sagte Bolt, "aber wenn man älter wird, muss man besser auf die Ernährung achten."

Sprinter Asafa Powell: Usain Bolt posiert nach seinem Sieg beim Diamond-League-Meeting in Rom mit der italienischen Nationalflagge.

Usain Bolt posiert nach seinem Sieg beim Diamond-League-Meeting in Rom mit der italienischen Nationalflagge.

(Foto: AP)

Powell sagt: "Die Ziellinie ist mein Ziel, nicht Bolt oder irgendjemand sonst." Und er sagt: "Es ist einfach. Wenn du Bolt schlagen willst, musst zu 9,77 laufen, wenn er 9,78 läuft, und 9,99, wenn er 10,0 läuft. Fertig." Das sind Sätze, mit denen er den übermächtigen Landsmann klein reden will. Aber am Ende des Tages zählen die Tatsachen, und nach denen ist es eben meistens so gewesen, dass Bolt derjenige war, der 9,77 lief, wenn andere 9,78 liefen. Powell dagegen hat in wichtigen Wettkämpfen immer der nötigen Killer-Instinkt gefehlt. Oder er war verletzt wie 2011 bei der WM in Daegu, als Bolt wegen Fehlstarts im 100-Meter-Finale disqualifiziert wurde.

Trainingsweltmeister ist Powell auch nicht unbedingt. Und die Lage wird nicht entspannter für ihn, denn Glen Mills, der verbandsnahe Bolt-Coach aus dem Verein RTC, hat in Yohan Blake, 22, längst das nächste Jahrhunderttalent in Position gebracht. Nach Bolts Aus in Daegu wurde Blake 100-Meter-Weltmeister, später rannte er die 200 Meter in 19,26 Sekunden, in der zweitschnellsten je erzielten Zeit. Sowas kann Powell nicht.

"Ich bin sauer", sagt Asafa Powell also am späten Donnerstagabend in Rom. Sein Training laufe gut, aber: "Ich habe das Rennen nicht so umgesetzt, wie ich es wollte." Schlechter Start, zu viel Tempo verloren am Schluss. Usain Bolt hört entspannt zu. Selbstkritik ist auch eine Art, sich stark zu reden, Powells 9,91 sind schließlich nicht schlecht. Aber natürlich macht Asafa Powell dem Olympiasieger keine Angst.

Demnächst sind die jamaikanischen Trials, nur die ersten Drei qualifizieren sich für den Einzelstart bei den Sommerspielen. Und wenn sich Usain Bolt dabei überhaupt eine Sorge macht, dann die, dass sein älterer Weggefährte aus der anderen Trainingsgruppe, der verdiente Ex-Weltrekordler Asafa, mit seiner verletzlichen Seele den Härten des gewachsenen Konkurrenzdrucks unter Jamaikas Sprintern nicht gewachsen sein könnte.

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