Sprint-Trainer Stephen Francis:"Die Kontrolleure sind so weit hinterher"

Tyson Gay and Asafa Powell test positive for banned substances

Asafa Powell und Tyson Gay (re.): Ertappt in einem unausgefeiltem System

(Foto: dpa)

Nach den Dopingbefunden in der Leichtathletik enthüllt Coach Stephen Francis zweifelhafte Kontakte des Ex-Weltrekordlers Asafa Powell und tadelt das Testsystem. Die Doping-Bekämpfer feierten lediglich Pseudo-Erfolge, während einige Athleten unentdeckt weiter dopten.

Von Thomas Hahn

Das Fest hat Fahrt aufgenommen im kleinen Stadion Allmend. Mit wohlwollendem Interesse schauen die Tribünengäste auf die Bahn, wo Amerikaner und Karibik-Sprinter um die Wette rennen. Die Luft ist voll mit Applaus und Freude, und neben der Arena herrscht ein lebhaftes Nebeneinander von Leichtathleten und Betrachtern.

Da stapft plötzlich eine massige Gestalt aus dem bunten Treiben: Stephen Francis, einer der Schöpfer des jamaikanischen Sprintwunders, Trainer des Ex-Weltrekordlers Asafa Powell und des Staffel-Olympiasiegers Nesta Carter beim Klub MVP, Gegenspieler von Usain-Bolt-Coach Glen Mills. Francis trägt einen Stoffhut und zieht ein Rollköfferchen hinter sich her. Zeit für ein Gespräch über die Doping-Dinge, Mister Francis? Francis fragt einen Mitarbeiter nach dem Zeitplan und brummt: "Geben Sie mir zehn Minuten."

Es dauert dann doch ein bisschen länger, aber das macht nichts. Stephen Francis hat sich nie versteckt, und auch an diesem Abend, auf dem Aufwärmplatz des Meetings von Luzern, stammelt er nicht rum, obwohl die Zeiten rosiger sein könnten für ihn. Die Dopingfälle, die gerade den olympischen Kernsport erschüttern, betreffen zwei seiner besten Sportler: Asafa Powell und Sherone Simpson, die Olympia-Zweite von 2008. Im Grunde sogar drei, weil manche Medien zunächst auch Nesta Carter zu den insgesamt fünf Leichtathleten zählten, die bei den Jamaika-Trials positive Dopingproben abgegeben haben.

Carter gehört aber nicht dazu. Nach einer Doping-Benachrichtigung wäre er wohl auch nicht am Samstag in Madrid angetreten, um dort auf Platz zwei der 100-m-Weltrangliste zu laufen (9,87). Carter hat laut Francis auch nicht kurzfristig wegen einer Oberschenkelverletzung für Luzern abgesagt, wie die Schweizer Veranstalter meldeten. "Er hatte Muskelkater nach Madrid, weil die Bahn dort so hart war." Carter blieb im Trainingslager in Lignano und will übernächstes Wochenende in London starten. "Er ist okay", sagt Francis. Aber zornig wegen der voreiligen Berichte. "Er überlegt, juristische Schritte einzuleiten."

Mit Carter hat Francis gerade kein Problem. Mit Sherone Simpson schon, mit Powell erst recht. Außerdem mit Paul Doyle, dem amerikanischen Manager der beiden, der für sie im Mai den umstrittenen kanadischen Physiotherapeuten Chris Xuereb anstellte. Und ganz grundsätzlich mit dem Anti-Doping-System. Die Befunde auf das Stimulans Oxilofrin gehen möglicherweise auf ein verunreinigtes Nahrungsergänzungsmittel zurück. Wenn sich das bestätigt, wäre es das zweite Mal, dass ein MVP-Mitglied wegen eines Versehens viel Ärger und wenige Monate Sperre bekommt: 2010 musste die Olympiasiegerin Shelly-Ann Fraser-Pryce pausieren, weil ein Zahnarzt in Shanghai ihr das Schmerzmittel Oxycodon gegeben hatte.

Doping-Bekämpfer feiern lediglich Pseudo-Erfolge

Francis' Vorwurf an die Doping-Bekämpfer: Sie feiern nur Pseudo-Erfolge und testen an den Profi-Manipulierern vorbei. "In den vergangenen zwei Jahren, beginnend mit den Vorbereitungen auf Olympia in London, gab es zwei neue Steroide, die Athleten genutzt haben und weiterhin nutzen, ohne erwischt zu werden", sagt Francis. "Die Doping-Kontrolleure sind so weit hinterher."

Aber Francis schont auch seine Sportler nicht, schon gar nicht Asafa Powell, den er wegen seiner Alleingänge schon im vergangenen Jahr aus seiner Gruppe werfen wollte. Wenn Francis von seinem Verhältnis zu Powell erzählt, erzählt er die Geschichte einer Entfremdung. Francis hat Powell entdeckt, Powell war sein erster Star. Mit der Zeit ließ Francis Powell mehr Freiheiten, was nach der Wahrnehmung des Trainers dazu führte, dass er die Kontrolle über Powell zusehends an Doyle verlor. Powells Bilanzen wurden schlechter.

Francis verfolgte mit Argwohn, was Doyle sich einfallen ließ, um Powells Verletzungsprobleme zu beheben. Francis sagt, dass Powell vor Olympia 2012 für zweieinhalb Wochen einfach verschwand. Und zwar nach Toronto, an die Klinik des Sportmediziners Anthony Galea. Galea hatte schon Patienten wie Tiger Woods, wurde aber 2011 schuldig gesprochen, falsch ausgezeichnete Medikamente in die USA eingeführt zu haben, unter anderen Wachstumshormone.

Francis sagt, Powell hätte sich auf einen verurteilten Mediziner nicht einlassen dürfen: "Wie kannst du es zulassen, dass dein Manager dich zur Klinik von Doktor Galea bringt?" Und Francis findet auch, dass die Sportler sich nicht auf Chris Xuereb hätten einlassen dürfen, der laut der Zeitung Globe and Mail lange an Galeas Klinik arbeitete und gar keine Ausbildung als Physiotherapeut habe. Francis sagt, er habe Xuereb abgelehnt. Es nützte nichts. Xuereb habe sogar in Powells Haus gewohnt. Francis geht davon aus, dass verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel, die von Xuereb stammten, zu den Positivtests führten.

Xuereb hat das dementiert. Aber für Francis ist der Fall klar, und er findet, dass Asafa Powell noch Glück hatte mit seinem Oxilofrin-Befund. "Nächstes Jahr hätte es schlimmer kommen können. Dann hätten sie ihn wahrscheinlich auf Steroide gesetzt. Oder auf was anderes. Das ist meine Meinung." Seine Konsequenzen? "Wenn jemand mit mir trainieren will", sagt Francis, "kann er von nächster Saison an nicht mehr Paul Doyle als Manager haben."

Das Flutlich ist angegangen im Stadion Allmend, und Stephen Francis denkt nochmal laut über seinen Schüler Asafa Powell nach. Ob der nochmal zu alter Form findet? "Ich würde sagen nein, weil er zu weit gegangen ist in seinem Verhalten." Dann redet Stephen Francis noch eine Weile weiter, bis aus dem Nein immerhin ein Vielleicht doch geworden ist. "Ich glaube nicht, dass Asafa verstanden hat, dass er an dieser Episode schuld ist", sagt der Coach. "Sollte er das doch verstanden haben, dann hat er eine Chance."

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