Sprint-Olympiasieger Usain Bolt:Antwort auf der Strecke

Vom Hampelmann zum ernsthaften Showman - zumindest kurzzeitig: Usain Bolt beginnt seinen triumphalen Abend mit den gewohnten Mätzchen, doch dann zeigt er sich hochkonzentriert und rennt allen davon. Auch ein Münchner Arzt könnte an dem gereiften Sprinter seinen Anteil haben.

Jürgen Schmieder, London

Nach dem Rennen war Usain Bolt wieder Usain Bolt. Er band sich eine jamaikanische Fahne zu einem Cape um, so dass er ein wenig aussah wie ein bunter Superman. Er positionierte sich vor den Fotografen und präsentierte seine Sternendeuter-Bogenschütze-Geste, während der Ehrenrunde schlug er gar einen Purzelbaum. Usain Bolt war wieder so, wie ihn sich die Menschen wünschen, die am Sport vor allem das Spektakel schätzen.

Auch auf der Pressekonferenz erklärte Bolt zunächst das Spektakel - und gestand erst einmal eine Niederlage gegen seinen Widersacher Yohan Blake ein: "Ich muss ihm die Medaille geben, denn er hat mich im Halbfinale klar geschlagen." Freilich ging es da nicht mehr um ein Rennen, sondern um die Show, die die Läufer davor abziehen. "Da war Yohan stärker, also musste ich mir etwas fürs Finale einfallen lassen."

Vor diesem Finale zeigte Bolt dann eine witzige Choreografie. Zunächst schüttelte er zwei Finger nach unten ("Meine Freunde haben gesagt, dass ich Hasenohren machen soll"), dann fuhr er sich über den Kopf ("Respekt für meinen Friseur"), dann ahmte er einen DJ nach und schließlich imitierte er noch einen Westernhelden. Das Gestentheater gewann er deutlich gegen Yohan Blake (freundliches Biest), Justin Gatlin (Soldat) und Asafa Powell (Hypnotiseur).

Dann jedoch wurde Bolt ernst, mit dem Finger auf dem Mund bedeutete er den Zuschauern, nun bitte ruhig zu sein. Da wirkte er nicht wie Usain Bolt, da wirkte er wie ein normaler Sprinter, der sich auf einen Lauf vorbereitet. Bolt gewann das 100-Meter-Rennen, den wohl prestigeträchtigsten Wettbewerb bei den Olympischen Spielen. 9,63 Sekunden brauchte er für die Strecke, diese Zeit war auch nötig, den der Lauf am Sonntagabend gilt als das schnellste Rennen in der Geschichte. Hätte sich Asafa Powell nicht verletzt, dann wären zum ersten Mal bei einem Olympiafinale alle Läufer unter zehn Sekunden geblieben.

"Wenn es darauf ankommt, dann liefere ich ab", sagte Bolt danach, "ich habe die Antwort auf die Kritik auf der Strecke gegeben." Als er sich erklärte, blickte er recht ernst drein, ohnehin wirkte er bei seinen Auftritten bisher nicht so locker, nicht so lässig wie sonst. Usain Bolt, dieser Showman, er tritt bei diesen Spielen für seine Verhältnisse konzentriert, ja fast seriös auf.

Kein Vergleich zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking, als Bolt mit offenen Schnürsenkeln lief, 20 Meter vor der Ziellinie abbremste und immer noch einen Weltrekord schaffte. Kein Vergleich zur Weltmeisterschaft in Berlin im Jahr 2009, als er permanent mit dem Maskottchen herumalberte und erneut Weltrekord lief. Und auch kein Vergleich zur WM in Daegu im vergangenen Jahr, als er so lange blödelte, bis er im Finale einen Fehlstart praktizierte und ausschied. "Daran werde ich immer denken", sagte Bolt nun.

Es gibt wohl drei Gründe für seine Transformation: Bolt wird in drei Wochen 26 Jahre alt, das Alter für Dumme-Jungen-Streiche hat er nun hinter sich. Er war durchaus kritisiert worden - 2008 von IOC-Präsident Jacques Rogge, 2009 auch von anderen Läufern -, dass es sich aus Respekt vor den anderen Teilnehmern einfach nicht gehöre, mit ungebundenen Schuhen zu laufen oder ein Rennen nicht konzentriert zu beenden.

"Mehr als nur ein Doktor"

Zum anderen hat Bolt festgestellt, dass sein erstaunlicher Körper nicht unverwundbar ist. Ihn plagten immer wieder kleinere Verletzungen, vor allem der Rücken bereitete ihm Probleme, was auch in der Oberschenkel ausstrahlte. Immer wieder ist er nach München gekommen, um sich von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt behandeln zu lassen. Mit Erfolg, nach dem Rennen hielt Bolt ein wahre Eloge auf den Arzt.

"Er ist mehr als nur ein Doktor", sagte Bolt, "ich besuche ihn nun schon, seit ich 19 Jahre alt bin. Er hat mich zum Abendessen eingeladen, er hat mich am Wochenende besucht, um mich zu behandeln, er hat mich verstanden. Er hat sich den Muskel angesehen, dann hat er mich behandelt und meinem Trainer Ratschläge gegeben. Daran haben wir uns gehalten. Er hat mir geholfen, mich zu entwickeln. Ich danke ihm und den Mädchen in der Praxis, was sie für mich getan haben."

Vor allem aber, und das ist wohl der wichtigste Grund für die Seriösität, hat Bolt einen Widersacher bekommen, der ihn antreibt. Große Leistungen im Sport entstehen meist dadurch, dass es da zwei Menschen in einer Disziplin gibt, die sich gegenseitig an die Grenze treiben, bis sie schließlich diese Grenzen verschieben oder neu definieren. Michael Phelps hatte beim Schwimmen Ryan Lochte, Usain Bolt hat beim Sprint Yohan Blake.

Blake hatte Bolt bei den jamaikanischen Ausscheidungen geschlagen, zwei Mal sogar, Blake war über 100 und 200 Meter schneller gewesen. "Er hat mich gepusht und dafür gesorgt, dass ich nicht nachgelassen habe", sagte Bolt, "er trainiert härter als ich, das weiß ich. Aber wenn die große Bühne aufgebaut wird, dann bin ich bereit abzuliefern."

Bolt lieferte ab ("Mein Trainer würde sagen, dass es kein perfektes Rennen war - also sage ich auch 'Nein'"), er fletschte währenddessen die Zähne, er erlaubte sich auch am Ende ("Ich habe kurz daran gedacht, so was zu machen wie in Peking") keine Mätzchen und lief bis zum Ende durch. Er war ein ernsthafter Sprinter in diesem Moment. Er musste das tun, sonst hätte er wohl doch noch verloren. Usain Bolt, der ja immer ein bisschen größer als das Leben selbst wirkt, will nun auch die 200 Meter erneut gewinnen.

"Dann bin ich eine Legende", sagte Bolt. Er wird auch diesen Wettbewerb äußerst konzentriert absolvieren müssen, will er gegen Blake siegen. Er muss der ernsthafte Sprinter Usain Bolt sein. Bis zur Ziellinie. Danach darf er wieder Showman sein - und er hat sich mit großer Sicherheit schon eine Choreografie ausgedacht.

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