Süddeutsche Zeitung

Sprint der Männer:Gratulanten mit ausdruckslosen Gesichtern

Der Russe Alexander Loginow, überführter Dopingsünder, wird drei Jahre nach seiner Sperre Weltmeister. Die Konkurrenz schwankt zwischen Wut und Vergebung.

Von Volker Kreisl, Antholz

Der Handschlag fiel kurz und knapp aus. Martin Fourcade stand schon an seiner Position auf dem Podest für die Blumenübergabe, genauso wie sein Teamgefährte Quentin Fillon Maillet. Und nun, wenige Sekunden später, wurde auch die Hauptperson auf die Bühne gebeten. Der Sieger hüpfte hinauf, Fourcade und Fillon Maillet erwiderten seinen Handschlag, aber nur kurz und still und mit ausdruckslosem Gesicht, dann stieg Alexander Loginow aus Saratow in Russland auf seinen Siegerplatz. Er ist nun der neue Weltmeister im Sprint.

Die Szene war ähnlich spannend wie ein Schlusssprint, mehr noch vielleicht, denn Loginow ist nicht gerade beliebt unter internationalen Kollegen, jedenfalls jenen, die das staatlich gelenkte Systemdoping in Russland frustriert. Vor drei Jahren, bei der Weltmeisterschaft in Hochfilzen, hatte Martin Fourcade als Sieger wutentbrannt die Mixed-Staffel-Blumenzeremonie verlassen und war abgehauen, auch deshalb, weil Loginow unter den Bronzegewinnern war. Loginow, der kurz zuvor erst eine Sperre wegen der Einnahme des klassischen Blutbeschleunigers Epo abgesessen hatte.

Doch 2020 in Antholz bleibt ein solch großer Eklat wegen des 28-jährigen Russen offenbar aus, auch wenn der Ärger unter den Läufern in den Köpfen weiter gärt. Den Sport zumindest drängte der Fall Loginow für einen Abend doch wieder zur Seite, somit auch das Abschneiden der Deutschen, die sich mehr erwartet hatten in diesem Sprint, als die Plätze sieben (Arnd Peiffer/39,7 Sekunden zurück), acht (Philipp Horn/44,2), 14 (Benedikt Doll/ 1:11,6 Min.) und 40 (Johannes Kühn/1:59,3). Auch Peiffers Gedanken kreisten nicht nur um das Verfolgungsrennen am Sonntag. Bei Loginow sei schon ein "Geschmäckle" dabei. Tarjei Bö aus Norwegen erklärte, man zähle Loginow innerlich nicht mehr mit. Sein Teamkollege Christiansen findet: "Überführte Dopingsünder sollten nicht mehr bei einer WM laufen." Fourcade hielt sich in der Pressekonferenz noch eher zurück. Wenn Loginow von der Biathlon-Szene anerkannt werden wolle, würde es helfen, "wenn man spricht und nicht still bleibt, wenn man sich den Fragen der Journalisten stellt und nicht nur auf Russisch antwortet, auch wenn man Englisch versteht und etwas sprechen kann. Das wäre sicher ein richtiger Schritt".

Er war offensichtlich hin- und hergerissen. Einerseits hatten Fillon Maillet und Fourcade für kurze Zeit schon einem französischen Doppelsieg entgegengeblickt, weil sie gut geschossen und sich die Kraft besser eingeteilt hatten als ihre eigentlichen Dauerkonkurrenten, die norwegischen Brüder Tarjei und Johannes Bö. Aber dann bog auf der großen Stadion-Leinwand plötzlich Loginow vom zweiten Schießen kommend ums Eck, der hier spät ins Rennen gegangen war und in dieser Saison lange wegen Rücken- und Ellbogenproblemen hinterhergelaufen war. Fourcade, längst im Ziel, senkte den Blick, konnte es nicht glauben, aber es war wahr: Loginow hatte Fourcades Tempo mitgehalten und ließ auch in der Schlussrunde nicht nach.

Andererseits ging es Fourcade eben auch um die eigene Rückkehr unter die Besten, nach einer erfolglosen und früh abgebrochenen Saison 2018/2019 ohne WM-Medaillen. Und weil Johannes Bö ihm mit 16 Weltcupsiegen auch noch den eigenen Rekord (14 für Fourcade) abgenommen hatte, weil Fourcades eigentlicher Maßstab also die Norweger sind, weil er diese nun hinter sich gelassen hatte, deshalb war der Tag für den zehnmaligen Weltmeister auch ein bestandener Test. Auf den nüchternen Handschlag folgte schnell ein durchaus heftiges Fuchteln mit den Skiern, als Fourcade offiziell als Dritter ausgerufen wurde.

Anlass zum Fuchteln und Luftboxen hatten die deutschen Biathleten diesmal nicht. Sie hatten auf der schweren Strecke durchaus Teilerfolge erzielt, aber das half höchstens fürs weitere Selbstbewusstsein, nicht aber fürs Ergebnis. Beim Laufen schafften Doll, Kühn und Horn sehr ordentliche Noten, verhinderten aber eine bessere Platzierung am Schießstand. Doll sagte: "Ich habe schnell gemerkt, dass ich richtig gute Ski habe und schnell unterwegs bin. Es ist umso ärgerlicher, dass es am Schießstand nicht geklappt hat." Für einen Medaillenerfolg im Verfolgungsrennen am Sonntag (15.15 Uhr; Frauen: 13.15 Uhr) ist die Ausgangslage schwierig. Die Rückstände sind zwar nicht unaufholbar, aber doch beachtlich, bedenkt man, zu welchen Topleistungen sich bei dieser WM noch Norweger und Franzosen anstacheln könnten. "Es wird schwer", sagte Peiffer.

Immerhin, die Skipräparation scheint für die deutschen Wachser kein Problem zu sein, und das ist auch ein gewisser Rückhalt für die Mannschaft und für Peiffer, der sich auch nicht unbedingt leichttut, diesen Loginow-Sieg richtig einzuordnen und zu verarbeiten, sprich abzuhaken. Einerseits hegt er einen Grundverdacht wegen des russischen Dopingsystems, andererseits ist da dieser Anspruch, dass Loginow nach abgesessener Sperre als rehabilitiert zu gelten hat: "Das anzuerkennen", sagt Peiffer, "fällt mir nicht leicht."

Und viel besser dürfte der Unmut von Peiffer und der anderen Biathleten übers russische System auch nicht dadurch werden, dass sie durch die nachträgliche Sperre des Russen Jewgeni Ustjugow nun wohl im Nachhinein zu Staffel-Olympiasiegern 2014 aufsteigen. Seit Jahren schon hat sich das angedeutet, aber den Moment des Sieges könne ihm, Erik Lesser, Simon Schempp und Daniel Böhm auch keiner zurückgeben, sagt Peiffer. Sollte die Sperre rechtskräftig werden, "dann wissen wir eben auch, dass wir damals betrogen worden sind", schließt er: "Ganz ehrlich, ich bin froh, wenn das endlich vorbei ist."

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SZ vom 16.02.2020
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