Bundestrainer Otto Becker ist nicht zu beneiden. Er soll beim CHIO in Aachen nun herausfinden, welche Springreiter die deutschen Farben bei den Weltreiterspielen im September in Tryon im US-Bundesstaat North Carolina erfolgversprechend vertreten können. Aber zum einen galoppieren die Deutschen nun schon seit zwei Jahren durch eine Talsohle, zum anderen reißen sich nicht alle darum, für Deutschland zu starten. Wenn seine Teamreiter in der Soers eine gute Figur machen, dann kann Becker schon zufrieden sein. Dies sind Simone Blum, Hans Dieter Dreher, Marcus Ehning, Laura Klaphake und Maurice Tebbel - wer von ihnen beim Nationenpreis am Donnerstag als Reservist auf der Tribüne bleiben muss, das sollte die erste schwere Prüfung entscheiden, der Preis von Europa.
Den gewann am Mittwochabend der Schwede Henrik von Eckermann, für die Deutschen zählte aber weniger der Sieg als die sichere Darbietung. Während Hans-Dieter Dreher auf Embassy II mit einem Abwurf passabel durchkam, enttäuschte Simone Blum auf Alice durch einen unnötigen Amateurfehler: Sie startete 15 Sekunden zu spät und kassierte zu ihrem einzigen Abwurf auch noch vier Fehler für Zeitüberschreitung. "Sie hat gepennt", sagte Otto Becker. Die elfjährige Fuchsstute Alice musste im Winter wegen einer Verletzung lange pausieren, jetzt ist sie wieder frisch und munter. "Alice liebt den Sport", sagt Blum, "je höher desto besser." Das Pferd sei vorsichtig und dennoch schnell: "Das Rundum-Paket stimmt."
Anders als andere Top-Talente, ist Alice unverkäuflich. "Sie wird bei uns alt werden", verspricht Blum. Das ist eine gute Nachricht für Otto Becker, der sich nie sicher sein kann, ob nicht zahlungskräftige Ausländer zugreifen, wenn ein Talent die Bühne betritt. "Wir brauchten mehr Top-Pferde, dann hätte man auch mehr Alternativen", sagt er.
Mindestens bis zur WM in den USA hat Laura Klaphake noch die zehnjährige Catch Me if you Can unter dem Sattel, ein Pferd am Anfang der Karriere und deswegen so interessant für den Luxushandel. Aber Besitzer Paul Schockemöhle hat versprochen, die Stute zu behalten, mindestens bis Ende dieses Jahres. "Dann setzen wir uns zusammen", sagt die 24-Jährige, deren Vater Josef Klaphake ein führender Angestellter bei Schockemöhle ist. Dann wird man weitersehen. Im vorolympischen Jahr 2019 haben Pferdehändler Hochkonjunktur, wenn alle noch einen Vierbeiner für Tokio 2020 suchen. Laura Klaphake, die ihrem Sport neben dem Masterstudium in Immobilien-Management betreibt, hat bereits 2017 einen starken Auftritt in Aachen gezeigt. Auch schlug sie sich wacker bei ihrem ersten Championatseinsatz bei der EM in Göteborg 2017. Wie für Simone Blum wäre auch für sie ein Platz in Aachener Nationenpreisteam eine Premiere. Und den hat sie nach einer fehlerfreien Runde am Mittwoch so gut wie sicher.
Auf andere Reiter musste Otto Becker verzichten. Da ist Philipp Weishaupt mit dem elfjährigen Hengst Convall, der im Preis von Europa eine glänzende Nullrunde hinlegte. Der Angestellte von Ludger Beerbaum steht dem Nationenpreisteam in diesem Jahr nicht zu Verfügung, sondern will sich auf den Großen Preis von Aachen am Sonntag konzentrieren. Da hat er die Gelegenheit, eine Sonderprämie von 250 000 Euro zu gewinnen, es wäre der zweite Sieg in der Grand- Slam-Serie innerhalb eines Jahres, über die sich auch Pferdebesitzer Beerbaum freuen würde. Convall, Sieger im Großen Preis von Aachen 2016, ist erste Wahl für die Weltmeisterschaft. Einem Verkauf des Pferdes steht eines in Wege: sein manchmal sehr eigenwilliger Charakter, mit dem reiche Durchschnittsreiter schwer zurechtkommen.
Andere muss Becker in diesem Jahr ganz aus seinen Plänen streichen: Daniel Deußer, Siebter der Weltrangliste und einziger Deutscher unter den Top Ten, und Christian Ahlmann. Beide haben die Athletenvereinbarung des deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nicht unterschrieben, in der sie sich zu unangemeldeten Trainingskontrollen von Pferd und Reiter sowie zum Verzicht auf das Anrufen öffentlicher Gerichte verpflichten. Beide haben schlechte Erfahrungen mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) gemacht, jedenfalls aus ihrer Sicht, und fühlten sich in verschiedenen Doping- beziehungsweise Medikationsverfahren vom Verband ungerecht behandelt. Allerdings liegen diese Vorfälle schon mehrere Jahre zurück. Bis 2016 haben Ahlmann und Deußer stets die DOSB-Vereinbarung unterschrieben, beide ritten auch im Rio-Team. Daher wird nun spekuliert, dass sie wieder mit von der Partie sein werden, wenn sie ein absolutes Top-Pferd haben. Und die späte Rache vor allem dazu nutzen, den Reiterverband vorzuführen. Darauf jedenfalls hofft Otto Becker.