Es ist inzwischen nicht mehr so leicht, sich mit Simone Blum zu verabreden. Die Springreiterin ist, zwei Monate nach ihrem WM-Triumph in Tryon (USA), die Frau, mit der beim Weltcupturnier in der Stuttgarter Schleyerhalle alle reden wollen. Es sei schwierig, nach dem unerwarteten Titel wieder in die Normalität zurückzufinden und sich auf das zu konzentrieren, "was eigentlich unser Job ist", gibt die 29-Jährige zu. Schneller als gedacht prallte sie nach dem Höhenflug in North Carolina wieder auf den harten Boden der Tatsachen. Beim ersten Turnier der Weltcupsaison in Verona stürzte die elfjährige Alice, Blum schied aus.
"Es war eine Kombination aus einem Oxer und einem Steilsprung, und Alice sprang einfach viel zu früh ab", berichtet Blum. Sie schaffte die Weite nicht mehr, Pferd und Reiterin gingen zu Boden. "Es ist halt ein Riesenunterschied zwischen Prüfungen draußen und in der Halle", sagt Blum. In der Halle stehen die Hindernisse dicht beieinander, eingerahmt von üppigen Blumen-Arrangements. Dass Alice sich davon ablenken lässt, ließ sie schon in Tryon erkennen, aber da war im großen Stadion Platz genug, um auszuweichen und die Kontrolle wieder herzustellen.
In der Halle reichte nun eine minimale Unaufmerksamkeit für den Sturz, den Reiterin und Pferd unverletzt überstanden. Wie es aussieht, auch ohne mentale Auswirkung. Ihren ersten Kurs in der Schleyerhalle am Donnerstag absolvierte Alice ohne Abwurf. Beim Weltcupspringen will Blum Punkte fürs Finale sammeln. Dann wird man sehen können, ob die beiden den Zwischenfall wirklich verwunden haben.
Er erinnerte Blum auch daran, dass sie im Vergleich zu anderen Spitzenreitern nur eine kurze Anlaufzeit zu einem der größtmöglichen Reiter-Erfolge hatte. Vielleicht sei sie noch nicht erfahren genug, um alles zu koordinieren, was nach der WM auf sie eingestürzt sei: Interviews, TV-Auftritte, zeitraubende Fotoshootings. Hinzu kam eine langwierige Erkältung, die man Blum auch in Stuttgart noch anhört, insgesamt weniger Zeit fürs Training als sonst. Nicht zu vergessen ein weiteres Großereignis, diesmal im Privatleben: die Hochzeit mit ihrem Gefährten Hans Goskowitz, inzwischen Herr Blum.
Eine Fuchsstute, die er ihr vermittelte, markierte den Anfang ihrer Beziehung. Es war nicht Alice, sie entdeckte Hans Blum erst später. Seine Frau legt Wert darauf, dass ihr Ehemann sehr wohl Alice reiten darf. "Es ist nicht so, dass sie überhaupt keinen Mann an sich heranlässt, aber bei Fremden ist sie halt sehr skeptisch." Und fremd sind sich Hans Blum und Alice schon lange nicht mehr. Eine weitere Eigenheit hat Alice erst einmal abgelegt - sie ist nicht mehr so scharf auf Mangos, nachdem ihr als Folge des WM-Sieges ganze Kisten davon in den Stall geliefert wurden, auch wegen ihrer neuen Popularität. "Wir mussten so viele auf einmal füttern, damit sie nicht schlecht werden", sagt Blum. Jetzt ist erst mal Schluss damit.
"Ohne gutes Pferd bist du gar nichts", erklärt Blum. Und wie fragil eine Karriere ist, die auf ein einziges Top-Pferd baut, hat sie gerade in Verona erlebt. In Stuttgart wird Alice deswegen von zwei Stallgenossen unterstützt. Die zwölfjährige Westfalenstute Con Touch wurde früher von der US-Reiterin Laura Kraut geritten und ist bei Simone Blum für die schnellen Springen im Rahmenprogramm zuständig, etwa für das Kostümspringen. Dem Schimmel Cool Hill 2 gelten die Zukunftshoffnungen der Familie Blum. Hans Blum hat ihn Schritt für Schritt in den gehobenen Sport gebracht, jetzt sitzt seine Frau im Sattel des Achtjährigen, der in Stuttgart sein Weltcup-Debüt gibt. "Er hat unheimlich viel Vermögen und ist für sein Alter sehr weit", sagt Simone Blum. "Er war am Anfang ein bisschen kompliziert, aber das macht ja die Guten aus."
Vielleicht kann er Alice schon diesen Winter Arbeit abnehmen, sie wird wie bisher sehr dosiert eingesetzt. Die nächsten Ziele sind das Weltcup-Finale in Göteborg im April und die Europameisterschaft in Rotterdam. 2020 geht es in Tokio dann um Olympia-Gold, die einzige Trophäe, die einen WM-Titel noch übertreffen würde. Alice kann alles, vermutlich auch das.