Süddeutsche Zeitung

Springreiten:Den Verband am Zügel

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Endlich ist Daniel Deußer erfolgreich im deutschen Team zurück, da kokettiert er vage mit einer Rückkehr nach Belgien - das lässt sich auch als Drohung auslegen.

Von Gabriele Pochhammer, Aachen

Daniel Deußer ist nicht nur ein überragender Reiter, er ist auch ein geschickter Taktiker. Im Parcours und auch sonst im Leben. Mit seinem kleinen mutigen Fuchs Tobago, der sich nach Aussagen seines Reiters "eher wie ein Pony" anfühle, verpasste er am vergangenen Wochenende nur um wenige Sekundenbruchteile seinen ersten Sieg im Großen Preis von Aachen, den er dem US-Amerikaner Kent Farrington auf Gazelle überlassen musste. Doch wie Platz zwei im Nationenpreis lief auch diese knappe Niederlage am Ende auf einen Triumph heraus: Deußer und Ahlmann reiten wieder erfolgreich im deutschen Team. Sie haben die Athletenvereinbarung mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) nach langem Hin und Her unterschrieben und dafür gesorgt, dass die deutschen Springreiter im August wieder guten Mutes zur EM nach Rotterdam fahren können. Alles in Butter also?

Nicht ganz. Ein Interview mit einem belgischen Fernsehsender sorgte gestern für Spekulationen. Die Gedanken, doch für seine Wahlheimat Belgien zu starten, "seien nicht ganz aus dem Kopf heraus", sagte Daniel Deußer ins Mikrofon. Aber seine erste Priorität sei es jetzt, für Deutschland zu reiten, modifizierte er einen Tag später seine Aussage. "Es hat mir einen Superspaß gemacht mit dem deutschen Team in Aachen und ich habe oft genug betont, dass ich jetzt meinen Weg mit der deutschen Mannschaft gehen will." Allerdings nicht ohne Wenn und Aber. Ein Grund für die sich lange hinziehenden Zwistigkeiten zwischen Ahlmann und Deußer und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), war das Gefühl, den Funktionären ausgeliefert zu sein, das Gefühl, der Verband stehe nur hinter seinen Reitern, wenn es Erfolge zu feiern gibt, aber nicht, wenn sie in Schwierigkeiten geraten.

Auch Christian Ahlmann ist Lebensgefährte einer Belgierin und könnte jederzeit wechseln

FN-Präsident Breido Graf zu Rantzau machte die Aufgabe, die beiden Top-Reiter zurückzugewinnen, zur Chefsache. Es wurde ein Neuanfang versprochen, es wurden Regeln verändert, etwa bei der Kontrolle der Stallbücher für die Spitzenpferde. "Es muss ein Strich gezogen werden", sagt der 37-jährige Deußer, der wie Ahlmann betont, dass es ihm nicht darum gehe, Doping oder Medikationsfälle zu verschleiern. Aber er werde genau beobachten, ob die Versprechungen, vor allem mehr Transparenz gegenüber den Sportlern, auch umgesetzt würden. "Ich weiß, dass Breido auf Seiten der Reiter steht, aber wer weiß, wie alles in zwei bis vier Jahren aussieht."

Dann hat er immer noch die Wahl, für Belgien zu starten, das Land, in dem er seit vielen Jahren lebt und das der gebürtige Hesse als seine Heimat bezeichnet. "Meine Frau ist Belgierin, mein Kind ist Belgier, hier fühle ich mich zu Hause."

Peter Weinberg, deutscher Nationaltrainer der belgischen Springreiter, früherer Nationenpreisreiter, hört es mit gemischten Gefühlen. Ein Teil seines Herzens sagt: "Ich war sehr glücklich über die Einigung der beiden mit der deutschen FN, ich habe immer gesagt, das müsst ihr doch irgendwie hinkriegen." Andererseits ist Deußer einer der weltbesten Reiter, verstärkt mit seinen Spitzenpferden Tobago, Calisto Blu, Killer Queen und Jasmien jedes Springteam der Welt. "Aber wir sind in Belgien auch nicht so schlecht aufgestellt", sagt Weinberg. Klingt nicht so, als warte der rote Teppich nur darauf, für Deußer ausgerollt zu werden. In Belgien gelten nahezu dieselben Regeln wie auch für deutsche Spitzenreiter und ihre Pferde, mit einer Ausnahme: Die belgischen Springreiter müssen nicht auch zu Hause zwischen den Wettkämpfen mit Dopingkontrollen rechnen. "Die Belgier sind stur", sagt Weinberg. "Der Verband sagt, die Pferde sind die Sportler, nicht die Reiter." Und deswegen werden einfach keine Trainingskontrollen bei den Reitern durchgeführt. In Deutschland, wo viele Experten diese Tests ebenfalls für überflüssig halten, werden sie gemacht, schon damit keiner sagen kann, Reiter seien keine richtigen Athleten.

Daniel Deußer hat wie Christian Ahlmann viel erreicht. Er hat jetzt ein Druckmittel, das er nicht aus der Hand gibt: den Wechsel nach Belgien, den übrigens auch Ahlmann als Lebensgefährte einer Belgierin und Vater zweier Kinder mit ihr, jederzeit vollziehen könnte. Deußer wurde vom Gejagten zum Jäger, vom Kontrollierten zum Kontrolleur. In einer Weise haben die beiden die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) in die Knie gezwungen, bestimmen jetzt die Spielregeln mit. Dass der Wiedereinstieg ins Team sportlich überaus erfolgreich verlief, ist mehr als eine glückliche Zugabe. Es ist die Voraussetzung dafür, dass die beiden auch in Zukunft für Bundestrainer Otto Becker unverzichtbar sind.

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SZ vom 23.07.2019
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